Ein Leben zwischen Hoffen und Bangen

Vorgestellt von Florian Felix Weyh · 01.04.2007
Während des Zweiten Weltkriegs lebten auch zahlreiche Ausländer in den deutschen Städten, die von den Alliierten bombardiert wurden. In "Berichte aus der Abwurfzone" berichten sie von einem Leben zwischen Hoffen und Bangen und dem Bemühen der Deutschen, ihr Alltagsleben trotz des Bombenhagels fortzusetzen.
"Ich war im Rundfunk und schrieb gerade meinen Sendebeitrag, als die Sirenen losgingen und fast unmittelbar darauf die Flakgeschütze zu bellen anfingen. Komischerweise hatte ich mich wenige Minuten vorher mit dem Zensor des Propagandaministeriums darüber gestritten, ob eine Bombardierung Berlins möglich sei."

Historisch interessierte Leser kennen William Shirer, jenen CBS-Korrespondenten, der bis 1940 aus Berlin nach New York funkte. Unter den unabhängigen Zeitzeugen, die als Journalisten, Diplomaten oder Geschäftsleute vom Innenleben des Dritten Reichs nach außen berichteten, ist er bis heute der bekannteste geblieben. Seine Sendungsmanuskripte und Tagebücher stecken voller Erlebnisse, die die offizielle Propaganda verschwieg, weswegen Oliver Lubrich dem Amerikaner in seinem Sammelband "Berichte aus der Abwurfzone" einen prominenten Platz einräumt. Dessen innerlich zerrissene Position zwischen Hoffen und Bangen spiegelt die Lage vieler Ausländer im Dritten Reich wider:

"Ich werde mich in dem ganz und gar nicht angenehmen Dilemma befinden, zu hoffen, dass sie dieser Stadt mit Bomben richtig einheizen, ohne mich dabei zu treffen."

Wer nicht gerade mit den Nazis liebäugelt, will, dass der Krieg von den Alliierten gewonnen wird. Doch je länger dieser andauert, umso mehr wächst das Kopfschütteln über die Strategie der Briten und Amerikaner. Die Zerstörung militärischer und volkswirtschaftlich bedeutsamer Ziele weitet sich zum Flächenbombardement, trägt mithin das implizite Eingeständnis, dass die militärische Präzisionsbombardierung offensichtlich weniger wirksam als geplant ausgefallen ist. Das Hauptziel des Flächenbombardements liegt in der Zermürbung der Zivilbevölkerung. Erweist sich aber dieser Effekt als kriegsverkürzend? Zunächst einmal stützen die Aussagen der Zeitzeugen diese Vermutung:

"Ein Flugalarm von zwei bis drei Stunden Dauer mitten in der Nacht bedeutet eine physische wie psychische Belastung. Wer das zu ertragen hat, kann den Verlust nicht einfach durch ein paar Stunden mehr Schlaf in der nächsten Nacht wettmachen. Schon das bloße Warten ist außerordentlich anstrengend. Man ist stets im Ungewissen. Das gesamte Leben orientiert sich an den Fliegermeldungen"

… notiert der Schwede Arvid Fredborg, und der US-Journalist Louis Lochner berichtet 1942:

"Der Leiter einer großen Fabrik für Präzisionsinstrumente erzählte mir, nach jedem Luftangriff könne man den folgenden Arbeitstag praktisch vergessen, da die Männer außerstande seien, genaue Berechnungen durchzuführen."

Dennoch ging der Krieg drei Jahre weiter. Materielle Zerstörung und psychische Zermürbung verlangsamten die deutsche Militärmaschinerie, ohne sie letal zu lähmen; entscheidend waren die klassischen Schlachten an der Front, nicht die Menge der abgeworfenen Bomben im Hinterland. Die Piloten, deren Sichtweise einzelne Dokumente ebenfalls enthüllen – sie gehören zu den spannendsten Passagen im Buch – ahnen dieses Missverhältnis aus Gefahr für ihr eigenes Leben, Elend für die Zivilbevölkerung und zweifelhaftem militärischen Nutzen. Der britische Flieger Beirne Lay flüchtet sich in beißenden Sarkasmus, als er 1943 von seinem Einsatz auf Regensburg zurückkehrt, wo er immerhin ein Flugzeugmotorenwerk bombardierte, mithin ein militärisch bedeutsames Ziel:

"Selbst aus so großer Höhe konnte ich sehen, dass wir das Zielobjekt erwischt hatten. Der Preis? Nicht der Rede wert. 200 Mann Flugpersonal."

Ein trauriges Kapitel des 20. Jahrhunderts findet in den reichhaltigen Dokumenten der "Berichte aus der Abwurfzone" seine facettenreiche Überlieferung. Dabei hätte es allerdings genügt, auf echte Aufzeichnungen zurückzugreifen und literarische Bearbeitungen zu ignorieren. Weder Kurt Vonnegut noch Céline vermögen Erhellenderes zu sagen als in Tagebüchern, Reportagen oder Biographien verzeichnet steht, ja die versuchte Ästhetisierung des Bombenkriegs bekommt leicht den Anstrich des Anrüchigen. Sinnlosigkeit, Schrecken und die fürchterliche Naivität, mit der das Naziregime den Bombenkrieg unterschätzte – wiewohl es dessen Auswirkungen als Täter überschätzte –, teilen sich viel nachdrücklicher in Alltagsbeobachtungen denn in literarischer Sprache mit. William Shirer berichtet etwa 1940, wie entlang der Autobahn Berlin-Köln ausrangierte landwirtschaftliche Geräte so drapiert wurden, dass sie aus der Luft wie Flugabwehrkanonen aussahen, und sein CBS-Nachfolger Howard Smith amüsiert sich über die Tarnnetze, die 1941 in Berlin acht Kilometer lang vom Brandenburger Tor bis weit nach Charlottenburg gespannt wurden, um den feindlichen Piloten durch Verschwinden der Magistrale die Orientierung zu erschweren. Nach den ersten Winterstürmen waren die Netze zerfetzt – eine ebenso absurde Maßnahme wie die Fensterverglasung, die noch 1943 in den Berliner Außenbezirken stattfand, während in der Nacht andernorts ganze Stadtteile in Trümmer gefallen waren. All diese Zeugnisse zeigen die Surrealität des Bombenkriegs, gegen dessen Destruktivität sich die Bevölkerung mit Stoizismus wappnete. Man versuchte, in den Trümmern so weiterzuleben, wie man es gewohnt war. Ja sogar Blumen ließen sich im Mai 1945 in Köln schon wieder am Straßenrand kaufen. Die Journalistin Martha Gellhorn, Ernest Hemingways Ex-Gattin, wunderte sich zu Recht:

"Die Blumen wirkten in diesem Ambiente ein wenig irre, und angesichts der Tatsache, dass es gar keine Häuser gab, die man damit schmücken konnte, mochte einem das Ganze schon absurd erscheinen."

So ist der Mensch: Er pocht auf Zivilisation, kaum hat sich der Staub des Zusammenbruchs verzogen. Die "Berichte aus der Abwurfzone" relativieren unseren luxurierenden Begriff von Normalität. Möge sich nur niemand dazu hinreißen lassen, "alles war doch nicht so schlimm" aus den Dokumenten herauszulesen. Es war schlimm – und ist es in jedem Bombenkrieg erneut.

Oliver Lubrich (Hrsg.:) Berichte aus der Abwurfzone
Eichborn Verlag [Andere Bibliothek], Frankfurt am Main 2007
"Berichte aus der Abwurfzone"
"Berichte aus der Abwurfzone"© Eichborn Verlag