Ein Leben in Widersprüchen

05.10.2011
Der englische Publizist Christopher Hitchens führte zwei Leben in einem: Er war britischer Trotzkist und amerikanischer Demokrat, stritt vehement gegen den Vietnamkrieg und setzte sich später für den Irakkrieg ein. Nun hat er seine Autobiografie geschrieben.
Kaum jemand in der Welt der veröffentlichten Meinung hat einen so verlässlich guten schlechten Ruf wie der englische Reporter und Publizist Christopher Hitchens. Das letzte große Thema, mit dem er sich bei den einen in die Nesseln gesetzt, für die anderen die Goldene Nahkampfspange der Aufklärung verdient hat, ist sein vehementer Antitheismus.

Davor hatte er selbst alte Kampfgefährten vergrault, indem er jeden öffentlich als blauäugigen Feigling beschimpfte, der 9/11 nicht als Produkt des islamistischen Terrorismus erkennen, sondern wahlweise der CIA oder dem Mossad in die Schuhe schieben wollte. Dann plädierte er für den Feldzug gegen Saddam Hussein. Und seine Einsichten in den "Faschismus mit islamischem Antlitz" kamen aus keiner "Aktenlage", geheim oder nicht, sondern aus vielen, auch gefährlichen Reporterreisen in (Vor-)Kriegsgebiete, etwa den kurdischen Irak, und nicht zuletzt aus den Erfahrungen im Kampf gegen den Aufruf zum Mord an Salman Rushdie, religiös verbrämt als "Fatwa".

Zum ersten Mal fällt Hitchens in den 1970er-Jahren in Großbritannien öffentlich auf. Da ist er trotzkistischer Aktivist und engagiert sich gegen Krieg, Rassismus und kapitalistische Sauereien aller Art. Der glühende Anti-Stalinist nächtigt gelegentlich in Haftanstalten. Gleichzeitig infiltriert er, als Student der allerfeinsten Oxforder Balliol Colleges, genüsslich die Clique, die später die Polit- und Kulturelite des untergegangenen Empires bestücken wird. Dem anarcho-libertären Geist dieser (vorwiegend) upper class-Bohème bleibt er treu.

Gebildet und scharfsinnig schreibt er ab 1981 aus Washington D.C., in praktisch jedem Presseorgan von Rang. Er lässt sich kein öffentliches Podium, kaum eine Talkshow und schon gar keine Gelegenheit entgehen, die "Mächtigen & Wichtigen" der Welt von ganz nah anzusehen und auszuplaudern, "aus welchem Stoff sie gemacht sind". Das trägt ihm bei den einen den Ruf des kulturpolitischen name-droppers ein, die anderen schätzen seine unbestechliche Hellsicht, seine Solidarität und seine fundierte, elegante Prosa.

Hitchens kann man offenbar entweder lieben oder hassen - gleichgültig links (oder rechts) liegenlassen geht nicht. Und wenn man seine Memoiren gelesen hat, die jetzt unter dem Titel "The Hitch" erschienen sind, weiß man auch warum: Es ist die logische Parallele zu seinem "Leben in doppelter Buchführung". Facettenreich, selbstironisch, auch rührend schildert er, wie er schon früh merkt, dass er eigentlich immer beides gleichzeitig haben will - Dazugehören und Einzig-Sein, Politik und Kunst. Das macht ihn, fast hinter dem eigenen Rücken, zur lebenden Brücke zwischen scheinbar entgegengesetzten Ufern.

"The Hitch" ist das "Making of" eines öffentlichen Intellektuellen, der immer aus der "falschen Ecke" kommt – Soldatensohn unter Pazifisten, Mittelschichtler im Oberklassen-Oxford - und sich immer wieder häuten muss, um sich treu bleiben zu können. Er ist ein orwellianischer Anti-Totalitarist, der auf alle Fundamentalismen allergisch reagiert. Das ist die logische Klammer um sein ungestümes Leben, seinen vermeintlichen Bellizismus und seinen Furor gegen Religionen jeder Couleur. Und das macht aus diesem Buch ein hinreißendes Manifest der Aufklärung.

Besprochen von Pieke Biermann

Christopher Hitchens: The Hitch - Bekenntnisse eines Unbeugsamen
Aus dem Amerikanischen von Yvonne Badal
Blessing Verlag, München 2011
672 Seiten, 22,95 Euro