Ein Leben auf Reisen

Rezensiert von Barbara Wahlster · 23.12.2005
Nachdem der persische Journalist Dawud zwölf Jahre im niederländischen Exil verbracht hat, unternimmt er eine Reise nach Südafrika. In der Fremde entdeckt er eine verblüffend vertraute Welt. Weggefährten, die er in der alten Heimat zurückgelassen hat, werden in diesem poetischen und weisen Buch zu fiktiven Reisebegleitern.
Nach dem Ende der Apartheid unternimmt der Journalist Dawud mit niederländischen Literaten eine Lesereise durch Südafrika. 12 Jahre hat der Perser inzwischen im europäischen Exil verbracht und sich dort einigermaßen angekommen geglaubt. Nun entdeckt er in der Fremde eine verblüffend vertraute Welt, fühlt sich auffallend heimisch.

Dazu trägt unter anderem der Umgang mit der einst von den Holländern importierten Sprache Afrikaans bei. Dawud erscheint dieser Umgang weitaus großzügiger, weniger normiert und spielerischer als in den Niederlanden, seiner neuer Heimat und darum offener: statt der bekannten Ausgrenzung verspricht sie Zugehörigkeit.

Gleichzeitig entdeckt der Schriftsteller seine Hilflosigkeit angesichts der Armut, sein Befremden, wenn er, der in Europa der Außenseiter ist, zuweilen zum "Sir", zum Weißen befördert wird, denn die Kultur der Rassentrennung hat überlebt. Widersprüche, die zu einer Reise gehören, so wie vertrauensvolle Nähe, viel zu kurze Begegnungen, Trennungen zur Unzeit, unbegreifliche Konstellationen und ebenso irritierende wie beglückende Momente – auch bei den Lesungen der Gäste und ihren südafrikanischen KollegInnen.

Reisen eröffnen nicht nur neue Erfahrungsräume, sie sind Ausflüge in eine andere Form der Zeitlichkeit und durch den Wegfall der eigenen gesellschaftlichen Normen häufig auch Versprechen auf Abenteuer. Doch mit Dawud bewegt sich kein auftrumpfender Held auf der Suche nach Selbstbestätigung durch Südafrika, sondern ein aufmerksamer, mitfühlender Beobachter.

Mit sich trägt er neben seiner Liebe zur Literatur auch die Geschichte seiner politischen Aktivitäten im Iran, die Verfolgung, das Exil, ebenso wie das Wissen um die Schicksale der zurückgebliebenen Freundinnen und Freunde. Fünf von ihnen sind seine fiktiven Reisebegleiter, mal näher dabei, mal auf eigene Faust unterwegs. Von den Fünfen haben in Wirklichkeit nur zwei das Gefängnis überlebt, die anderen drei sind getötet worden. Darunter auch der Erzähler Attar, der sich zurücknehmen kann, um Dawud auf traditionell chronistische Weise wie auch durch literarisch aktuelle Perspektivwechsel zu Wort kommen zu lassen.

Die schmerzliche Abwesenheit der einst Vertrauten verwandelt sich so in Präsenz, in eine liebevolle und eigenwillige Einbindung in die vorübergehende Sonderform eines Lebens auf Reisen. Eher beiläufig macht das Buch den Verbündeten von einst das Geschenk "leben zu dürfen", das heißt die ehemaligen Freiheitskämpfer bewegen sich endlich auf befreitem Terrain.

Sie finden dort Trost, Rat, Offenheit, Antworten auf ihr Schuldgefühl, auf ihre Versagensängste, erstmals auch die Liebe. Die nicht gelebten Leben, die beschädigten Biografien erhalten eine sehr real erträumte Existenz und damit eine Art Auszeit aus der Wirklichkeit wie sie Reisen eben auch darstellen.

Als eine Art Verzauberung erscheint diese Wiedererweckung oder Geisterexistenz im Zwischenreich der Literatur. Ohne Leugnung der Vergangenheit und ohne Überhöhung - so beiläufig selbstverständlich, wie es nur der Traum, die Poesie und – wer weiß – das Klima Afrikas gestatten. Gleichzeitig ergeben sich ganz banale und alltägliche Situationen, Begegnungen mit einfachen Bediensteten, die normalerweise ungenannt im Hintergrund bleiben oder mit Exilanten, Flüchtlingen und Zugereisten.

Vergangenheit und Gegenwart, den Riss durch die Biografien, die Gleichzeitigkeit von Trauer und Freude, von Fremdheit und Angenommensein, all das Disparate der unterschiedlichen Erlebniswelten sämtlicher Beteiligten fügt der Autor Kader Abdolah zu einer vielstimmigen Leichtigkeit.

So eröffnen Zitate aus klassischen persischen Reisetexten jedes Kapitel und legen ganz eigene paradoxe, gleichnishafte Fährten aus. Über Zeit und Raum hinweg knüpft der Schriftsteller Netze – auch mit eingefügten südafrikanischen und niederländischen Gedichten. Bereits in "Die geheime Schrift", seinem ersten, auf Deutsch erschienenen Roman hat der 1954 geborene Autor sein beeindruckendes und aus vielen Quellen gespeistes Erzähltalent unter Beweis gestellt.

Dem ehemaligen Aktivisten der iranischen Studentenbewegung, der 1988 vor den Mullahs fliehen musste und mittlerweile mit seiner Familie in den Niederlanden lebt, ist erneut ein wunderbar schwebendes, ein poetisches und weises Buch gelungen. Es zeigt mit seiner Verbindung von drei Welten und Kulturen, von Erinnerung, Wissen und aktueller Beobachtung, dass es lediglich an unserem Verstand liegt, wo er die Grenze zieht und das Denken in die Beschränkung verweist.

Kader Abdolah
Dawuds Traum,

aus dem Niederländ. Von Christiane Kuby
Klett-Cotta, Stuttgart 2005, 190 S., 18,90 €