Ein Labyrinth zum Hören und Sehen

10.12.2010
Wenn es denn so einfach wäre. Was es natürlich nie ist ... bei Labyrinthen. Tun wir einfach so, als wäre es einfach. Die Story, oder das, was man erzählen kann: Der preisgekrönte Fotograf Will Navidson zieht mit seiner Familie in ein altes Farmhaus aus dem Jahre 1720. Bald erkennt er, dass es hier Räume gibt, die im Grundriss nicht verzeichnet sind. Eine Tür öffnet sich, die nicht ins Zimmer der Kinder führt, [...]
"Irgendwas ist hier. Ich werde belauert."

Unter dem Haus tut sich ein riesiges, unbekanntes Labyrinth auf, das Navidson mit einer Expedition erkundet, von der einige Teilnehmer nicht zurückkehren. Ein Film darüber wird als "Der Navidson Report" bekannt.

"Hier bin ich. - Er hat zurück gefunden. - Hier bin ich. - Tritt in Daisys Schlafzimmer. - Daddy, ich habe einen Albtraum gehabt. [Abrissgeräusch.]"

Soweit die eine Ebene. In einem zweiten Erzählstrang sammelt ein blinder alter Mann Material zum Film, das - Ebene 3 - von dem jungen drogensüchtigen Johnny Truant weiter bearbeitet wird.

"Könnt ihr euch immer dabei zusehen, wie ihr jede einzelne Gewissheit auseinander nehmt, die euch bisher am Leben hielt."

Das klingt nicht komplex, sondern hört sich auch so an. Denn das Hörspiel "Das Haus" ist "drei Hörspiele" "Das Haus". Dreimal eine Stunde, für jede der drei Ebenen, die bei Start der DVD zeitgleich ablaufen.

"Könnt ihr euch immer dabei zusehen ..."

Noch eine Labyrinth-Struktur, eine kleinere als die der Erzählung, trotzdem eine schön konzipierte Analogie zu dieser Erzählung: die Navigation durchs DVD-Menü mittels Maus auf dem Computer oder mit der Fernbedienung auf dem Fernseher. Hin zum Bonusmaterial der Hörspielproduktion, zu Links im Internet, zu einem Interview mit dem Schriftsteller Mark Z. Danielewski, der "Das Haus" schrieb und sich philosophisch wie - um im Bild zu bleiben -, wie labyrinthisch über das Nichts äußert:

OMark Z. Danielewski: "Ja, da gibt's ne Menge im Nichts. Eine riesige Menge von atomaren Partikeln beispielsweise."

"Könnt ihr euch immer dabei zusehen ..."

In Mark Z. Danielewskis Roman "Das Haus" drückt sich die labyrinthische und nichtlineare Erzählung in unterschiedlichen typografischen Stilen und einem wechselnden Layout aus. In der Hörspieladaption kann sich der Hörer auf drei Wegen dem Labyrinthischen annähern und so die Realität hinter einem Schleier der Illusion entschwinden sehen, da unter dem Haus.

"Dabei können Sie zwischen drei Zugängen wählen."

Zumindest soviel Gewissheit gibt es hier. Option eins: Alle drei Hörspiele hintereinander, vollständig ohne Wechsel der Ebenen zu hören. Zwei: Einen eigenen Weg durch "Das Haus" finden durch eigenständiges Klicken - landläufig Zappen -, Zappen zwischen den Ebenen, die das DVD-Menü grafisch immer bereitstellt. Schauen und Hören also. Oder - drei - die DVD springt eigenständig zwischen den Varianten des Hörspiels hin und her, die "Labyrinth", "Fäden" und "Dunkelkammer" heißen.

"Das erste, was mir an Zampanos Wohnung aufgefallen ist, war der Geruch: gallig, faulig. Sogar richtig eklig."

Ach ja, die Sinnfrage.

"Und etwas ungeheuer Komplexes dringt hier ein."
Erwarten Sie bitte nicht auch noch von mir eine Reiseanleitung ins Labyrinth. Davon gibt es auf dieser wunderbaren Hörbuch-DVD jede Menge, die sich allerdings als Sackgassen erweisen. Wahrscheinlich. Keine Geschichte, die man hört, wenn man sich durch das Labyrinth der Geschichte [...]

"Irrgarten-Läufer."

[...] das Labyrinth des Hauses [...]

"Irrgarten-Läufer."

[...] der akustischen Ebenen bewegt, [...]

"Irrgarten-Läufer."

[...] keine Geschichte ist die gleiche.

"Irrgarten."

Ach ja, auf YouTube kursieren Teile des Films "Der Navidson Report". Fake oder authentisch? Keiner weiß es. Noch eine Ebene.

Die DVD "Das Haus" vermittelt eine neue Hör-Erfahrung. Vor den Machern dieses Hörspiels und denen dieser DVD muss man den Hut ziehen.

"Ist euch das auch schon mal passiert, dass ihr euch zuguckt, wie ihr in der Vergangenheit etwas macht, und jedes Mal wollt ihr Halt schreien, den Verlauf der Handlung umlenken, die Gegenwart noch mal neu ordnen."

Wenn Hörspiel und die als Seh-Medium gebräuchliche DVD - Sehen und Hören! - wie hier formal so überzeugend zusammen kommen, dann ist das zweifellos eindrucksvoll.
"[...] den Verlauf der Handlung umlenken, die Gegenwart noch mal neu ordnen."

Ob es allerdings der Konzentration aufs Hören zuträglich ist? Gute Frage.

Besprochen von Hartwig Tegeler

Mark Z. Danielewski: Das Haus. House of Leaves
Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Christa Schuenke unter Mitarbeit von Olaf Schenk
Der Audio Verlag, 2010
3 x 53 Minuten, 29,90 Euro