"Ein künstlerischer Kontinent"

Von Rudolf Schmitz · 22.10.2013
Ob Holzschnitt, Kupferstich oder Aquarell – der Renaissancekünstler Albrecht Dürer war ein Meister der Perfektionierung. Im Mittelpunkt der Frankfurter Schau steht der sogenannte Heller-Altar mit original erhaltener Flügel-Malerei und Vorzeichnungen atemberaubender Gewand- und Anatomiestudien.
"Albrecht Dürer ist so etwas wie ein künstlerischer Kontinent."

Und um diesen Kontinent zu erschließen, hat Frankfurts Kurator Jochen Sander zwei Stockwerke des Museums, insgesamt 1000 Quadratmeter Fläche zur Verfügung. 190 Werke von Dürer, noch einmal neunzig von Vorgängern und Zeitgenossen. Um klar zu machen, wie innovativ dieser Renaissancekünstler war, wie stilbildend, wie unermesslich reich. Für die geradezu psychodelischen Holzschnitte der "Apokalypse" ist in den warmgrauen und auberginefarbenen Räumen eine eigene Apsis gebaut. Und endlich einmal hängen sie so niedrig, dass man sie auch wirklich studieren kann.

"Er hebt nicht nur den Holzschnitt auf ein bis dahin ungesehenes technisches, aber zugleich auch ästhetisches Niveau. Erasmus von Rotterdam schildert es völlig begeistert, dass Dürer ohne Farbe, nämlich im Holzschnitt, Gewitter oder Wetterleuchten oder Dinge, die man eigentlich gar nicht sehen könne, wie Gefühle und Ausdruck wiedergeben könne. Das kann er in der Tat, das tut er aber über eine unglaublich verfeinerte technische Innovation auch im Bereich des Holzschnitts, das gilt für den Kupferstich, das gilt für die Landschaftsaquarelle. Dürer ist ein Meister der Perfektionierung, er greift unendlich viele Anregungen auf, die in der Luft liegen, aber er systematisiert sie und setzt sie zugleich in einer Konsequenz und künstlerischen Qualität um, die ihres gleichen in der Zeit gesucht hat und die einfach seinen Rang bis heute ausmacht."
Natürlich zeigt die Frankfurter Ausstellung genügend delikate Gemälde, zum Beispiel die Pendants der jungen Betenden mit offenem Haar aus dem Städel und die kokett erscheinende junge Frau mit geflochtenem Haar aus Berlin. Schwestern, dieselbe Frau, einmal als Fromme, dann als Sünderin? Oder den sensationellen Hieronymus aus Lissabon, mit seinem mächtigen Kopf und dem bläulich schimmernden Lockenbart, der den Betrachter grübelnd anschaut, mit dem Finger auf einen Totenschädel deutend. Eine Bildauffassung des Gelehrten, die Joos van Cleve und Lucas van Leyden nicht ruhen lässt, bis auch sie ihre Bildkommentare geliefert haben. Noch einmal Jochen Sander:

"Wie alle großen Porträtisten muss er eine unglaubliche Einfühlungsgabe gehabt haben und gleichzeitig vor allem auch den Erwartungen natürlich seiner Kunden gerecht werden. Wir haben sehr unterschiedliche Porträts, zum Beispiel das den ehemaligen Zwanzigmarkschein zierende der Elsbeth Tucher aus Kassel, das ist für die Gattin einer der reichsten und auch traditionsreichsten Patrizierfamilien Nürnbergs gemalt, die Tucher, und das fällt dann auch prompt etwas konservativer im Habit aus als ein anderes Bild, was er für einen weniger traditionsorientierten Auftraggeber malt."

Im Mittelpunkt der Ausstellung ein Auftragswerk für Frankfurt, der Heller-Altar, gefertigt für den wohlhabenden Jakob Heller. Wegen des Neubaus des Historischen Museums war der Altar verfügbar, das ist der eigentliche Grund für die Frankfurter Dürer-Ausstellung. Das Original ist verbrannt, hier sieht man eine Kopie, aber die Grisaille-Malerei der Flügel ist erhalten. Sie zeigt den Wettstreit von Dürer und Grünewald. Unter den Vorzeichnungen zum Heller-Altar sind atemberaubend schöne Gewand- und Anatomiestudien.

Dürer will mit den Humanisten auf einer Stufe verkehren. Seine Studien, seine Forschungen, seine Proportionslehre zeigen, dass er sich als gelehrter Künstler versteht und empfiehlt. Dem restaurierten Dresdner Skizzenbuch sind zwei aus Holz gefertigte Gliederpuppen zur Seite gestellt. Vom "Meister IP" gefertigt, aus mehr als fünfzig Einzelteilen, mit Tiersehnen im Innern. Sie werden in einer digitalen Medienstation zum Leben erweckt. Dann die meisterlichen Kupferstiche: Der "Reiter", der "Hieronymus im Gehäus", die "Melancholie".

"Er versteht es eben, und das ist es, was auch heute jedem Betrachter unmittelbar eingeht, die heimelige Atmosphäre einer Butzenscheiben verglasten Gelehrtenstube wieder zu geben wie das kalte nächtliche Mondlicht, das die einzige Lichtquelle bei der Melancholie ist. Wie das auf dem Seidenkleid dieser Personifikation dieser Melancholie aufleuchtet – also das ist die schlichte technische Perfektion, die im Medium des Kupferstichs geradezu malerische … man hat fast den Eindruck, man sieht die Farbe, obwohl es nur schwarz-weiß ist. Er experimentiert nicht nur mit der Technik, er experimentiert auch mit der Darstellung, er liefert im Grund genommen so etwas wie ein Denkbild."

Bei Dürer wird es einem nicht langweilig. Und so ist diese Ausstellung, die seinen künstlerischen Weg bebildert, auch im kleinen Format ganz groß. Wenn es zum Beispiel um Dürers Illustrationen für Flugblätter geht, sein berühmtes Nashorn von 1515 – ein Tier, das er nur vom Hörensagen kannte.

"Das zeigt eben in der Tat genau seine künstlerische Größe, dass er aus der Imagination heraus, nur nach Beschreibungen, ein Tier imaginiert, was ja in der Tat, wenn man genau hinguckt, in der Tat aussieht wie ein Panzerreiter oder ein gepanzertes Pferd mit Horn auf der Nase, was aber so plausibel in sich ist, so überzeugend, dass es für Generationen die Vorstellung dieses exotischen Tiers absolut bestimmt hat."

Dürer im Städel Museum Frankfurt, das ist eine unaufgeregte Schau der aufregenden Werke. Maßvoll und angemessen weiträumig entfaltet sie den bewundernswerten Horizont dieses deutschen Renaissancekünstlers.

Die Ausstellung ist vom 23. Oktober 2013 bis zum 2. Februar 2014 im Frankfurter Städel Museum zu sehen.

Webseite zur Ausstellung:
Albrecht Dürer im Städel Museum
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