Ein koptischer Liturgie-Ingenieur

Von Andreas Malessa · 07.04.2012
Moheb Mekhaiel hat die Gottesdienste seiner koptischen Gemeinde in Stuttgart stark verändert: Er hat das 363 Seiten starke Mess-Buch vom Arabischen ins Deutsche übersetzt. Damit die in Deutschland geborenen Kinder auch etwas von der Messe verstehen.
Der Altarraum der Kirche ist durch eine Holzwand voller Heiligenbilder abgetrennt; in der Mitte dieser sogenannten Ikonostase sieht man durch eine Torbogenöffnung einen bärtigen Priester mit goldbestickter Mitra auf dem Kopf den kerzenumstandenen Altar umschreiten; dichte Weihrauchschwaden lässt er in den Kirchenraum wabern. In der ersten Bankreihe stehen Männer in weißen Gewändern mit roten Schulter-Schärpen und singen. Hinter ihnen knapp 100 Gemeindemitglieder jeden Alters, die kniend beten.

Die orthodoxen Christen Ägyptens, die Kopten, zelebrieren hier in Stuttgart in einer ehemals evangelischen Kirche die älteste Gottesdienstordnung des Christentums. Sie soll auf den Evangelisten Markus, den Gründungsheiligen ihrer Konfession, zurückgehen. Die Bibelabschnitte werden auf Griechisch gelesen, die Gesänge und Gebete in der alt-ägyptischen Hieroglyphensprache Koptisch, einzelne Anweisungen in Arabisch. Knapp 2000 Jahren lang hat sich
am Mess-Buch der Kopten kaum was geändert. Bis vor ein paar Jahren. Als Moheb Mekhaiel das "Heilige Euchologion" seiner traditionsbewussten Kirche ins Deutsche übersetzte. Ein Theologe? Ein Sprachforscher? Nicht ganz:

"Ich lebe in Deutschland seit 1991, ich habe in Karlsruhe Elektrotechnik studiert und später hab` ich auf dem Gebiet der Spracherkennung promoviert. Es sollte damals den Computern, den Rechnern, auch den Robotern, beigebracht werden, wie sie die Sprache der Menschen verstehen und darauf reagieren, allerdings war der Unterschied, dass ich nicht nur die reine Sprache verarbeitet und ausgewertet habe, sondern auch die Lippenbewegungen, damit die Systeme in Umgebungen, die ziemlich laut sind im Hintergrund, noch halbwegs funktionieren."

Der Entwicklungsingenieur eines Automobilkonzerns nimmt sich die 363 Seiten dicke Gottesdienst-Liturgie seiner Kirche vor? Warum?

"Ich komme selber aus einer koptischen Familie. Das bedeutet, dass man von Kindesbeinen an regelmäßig in die Kirche geht, dass man relativ früh getauft wird – mit 40 Tagen idealerweise – und dass man dann an der Heiligen Kommunion teilnimmt. Seit 40 Jahre haben wir Ägypter in Deutschland, die teilweise oder deren Kinder kein koptisch verstehen oder arabisch! Und deswegen muss eine Übersetzung her, die die Deutschen und die Ägypter verstehen."

Priester Johannes Ghali hat von sieben Brotfladen, die heute nacht frisch gebacken wurden, einen symbolisch "makellosen" ausgewählt, hat das Brot zerteilt und an die vor ihm wartenden Gläubigen weitergereicht. Dankbar und ehrfurchtsvoll küssen sie danach das ihnen hingehaltene Evangelienbuch, das kleine Kruzifix oder die Hände des Priesters. Rein äußerlich scheinen viele Teilnehmer deutsch-ägyptische Familien zu sein. Moheb Mekhaiel nickt und lächelt :

"Ich hab eine ganz tolle deutsche Frau, die aus Freiburg kommt, eine Badenserin, kennengelernt. In der freien Zeit, genauer gesagt beim Schwimmen in einem Schwimmbad. Diese Beziehung hat sich dann entwickelt und inzwischen sind wir verheiratet und haben eine ganz entzückende Tochter. Damit meine Frau einen Kopten wir mich heiraten dürfte, müsste sie natürlich getauft werden als Erwachsene. Das hat hier, in der Kirche in Stuttgart, stattgefunden und dann stand nichts mehr im Weg, dass wir heiraten. Wir sind auch von unserem Priester, Vater Johannes, hier getraut worden und zwei Tage später dann standesamtlich in Freiburg."

Im katholischen Freiburg ist die Reihenfolge üblicherweise umgekehrt, aber für Moheb Mekhaiel kam erst der Segen Gottes und dann die Unterschrift des Standesbeamten:

"Meine Eltern fanden es zunächst mal ungewöhnlich, dass ich mich in ein Deutsche verliebt habe. Grad meine Mutter hat sich mit der Situation nicht ganz abgefunden. Bei meinem Vater war es so, dass es egal ist, so lange ich dafür sorge, dass mein Haus, meine Familie, eine christliche Familie wird, die dann auch auf dem Glauben, den wir in Ägypten hatte, beruht."

Beruht denn der praktische Alltag des hochspezialisierten Naturwissenschaftlers auf jenem Glauben, den ihn seine Familie in Ägypten gelehrt hat?

"Zu den Familienritualen gehört natürlich, dass wir vor dem Essen beten. Dass ich, bevor ich das Haus verlasse, ein kurzes Gebet halte. Manchmal gelingt`s mir nicht und dann muss ich es halt bei der Fahrt im Auto beten. Dass wir die Fastenzeiten einhalten – meine Frau weniger, weil sie bis vor kurzem unser Kind gestillt hat – und natürlich : Dass wir gemeinsam in die Kirche gehen."

Moheb Mekhaiel verbindet offenbar problemlos die Ehrfurcht vor den jahrtausendealten Regeln seiner Kirche mit dem Pragmatismus, den er als junger Vater seiner deutsch-ägyptischen Tochter gegenüber an den Tag legen wird : Eiersuchen, Süßigkeiten und Geschenke wird es
durchaus am Termin des westlichen, des katholisch-evangelischen, Osterfestes geben:

"Wir haben beim Feiern von Ostern ein Problem: Dass wir in der Regel eine Woche später Ostern feiern. Aber das Problem ist ja bei Weihnachten auch, dass wir am 7. Januar erst feiern. Grad für Kinder ist es nicht nachvollziehbar, wenn die anderen Kinder anfangen dürfen, Schokolade zu essen, wenn wir noch fasten."

Aber ähnlich locker sieht seine Stuttgarter Gemeinde die Frage der dogmatischen Prüfung dessen, was er da im "Heiligen Euchologion" übersetzt hat. Sein in rotes Leder mit Goldprägung gebundenes Exemplar enthält ein Autogramm des vor kurzem verstorbenen koptischen Patriarchen von Alexandria, den koptische Christen als "Papst Schenuda III" verehrten. Heißt das, er hat Moheb Mekhaiels deutsche Übersetzung autorisiert?

"Das ist leider nicht autorisiert, weil es stellt sich die Frage : Wer soll das autorisieren ? Das wäre an erster Stelle der Papst bzw bei uns die Synode in Ägypten. Die sind aber alle dem Deutschen nicht mächtig !"
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