Ein Kontinent für Rihm

Von Jörn Florian Fuchs · 21.08.2010
Er war der eigentliche Star der Festspiele: Der aus Karlsruhe stammende Wolfgang Rihm wurde diesen Sommer an der Salzach nicht nur im Programm üppig präsentiert, auch das Publikum hatte den leicht bacchus-haft wirkenden Tonsetzer ins Herz geschlossen - trat er im oder außerhalb des Konzertsaals auf, so war ihm ein Applausregen sicher.
Neben der Uraufführung seiner Opernfantasie "Dionysos", die eher szenische Musik denn Musiktheater war, gab es zehn Veranstaltungen unter dem Titel "Kontinent Rihm" und vier Mal eine so genannte "Exegese Rihm". Hier diskutierten etwa Nike Wagner, Ingo Metzmacher oder Jens Malte Fischer über Leben, Werk und Wirkung des komponierenden Wunderkönigs, der am Ende der Debatten jeweils vom Objekt zum Subjekt, sprich zum Gesprächsteilnehmer avancierte.

Der Kontinent hingegen bot eine ganze Reihe von instrumentalen Werken Rihms in unterschiedlichsten Besetzungen sowie Chormusik - meist in Resonanz mit weiträumig adäquaten Stücken von Gesualdo, Stockhausen, Webern, Morton Feldman oder Jörg Widmann.

Entstanden sind auf diese Weise Verbindungslinien zwischen unterschiedlichsten Epochen und Stilen, es wurde Einflüssen auf Rihms Oeuvre nachgespürt und seine große Wirkung auf jüngere Kollegen deutlich.

Durch die intensive Konzertstrecke des Kontinents konnte man den künstlerischen Weg Rihms mit verfolgen und dabei fiel vor allem auf, wie weit sich Rihm mittlerweile von seinen radikalen Anfängen entfernt hat. Heute schreibt Rihm vorwiegend kulinarische Musik, gut gemacht, schön anzuhören aber wenig revolutionär. Ein Gegenbeispiel ist die 2007 uraufgeführte Cantata Hermetica QUID EST DEUS auf Texte des Hermes Trismegistos, in 24 Variationen wird hier Gott umkreist: der/die/das Unerreichbare, Uneinholbare. Rihm versucht eine mal recht konkrete Annäherung ans Sujet, mal driftet er in schwebende Tonwelten ab. Am Ende erzählen Hermes/Rihm von Gott als dem "Licht, das ohne Brechung leuchtet. Es kommt herüber. Aber in den Dingen ist es nur als Gottförmigkeit".

Auf große Zustimmung stieß die Choreografin Sasha Waltz, sie brachte ihre Sicht auf Rihms "Jagden und Formen" mit nach Salzburg. Rihm inszeniert hier bereits in der Musik ein Spektakel sich überlagernder, sich bekämpfender oder sich aufhebender Strukturen. Das recht groß besetzte Orchester spielt meist nicht unisono, vielmehr treten einzelne Instrumentengruppen nacheinander auf. Rihm arbeitete sich an "Jagden und Formen" über längere Zeit ab, in Salzburg hörte und sah man den Zustand aus dem Jahr 2008. Die Choreografie von Sasha Waltz ist zunächst eher ‚werkdienlich', was anfangs zu zackig-mechanischen Bewegungen führt, während auch die Musik entsprechend ruppig klingt. Rasch endet glücklicherweise die etwas platte Bebilderung, nun gibt es einige Minidramen, vertanzte Kurzgeschichten und auch ein Hauch Ironie durchweht die sich schlussendlich zu einem Ganzen rundenden Fragmente.

Tags zuvor hörte man im Großen Festspielhaus Rihms Violinkonzert "Gesungene Zeit" mit den Wiener Philharmonikern unter Riccardo Chailly und der Solistin Anne-Sophie Mutter. Der Name Mutter zieht natürlich, doch vermutlich war ein Großteil der Geigenbegeisterten eher entgeistert, da tatsächlich ‚nur' dreißig feine Rihm-Minuten geboten waren - von keiner Zugabe getrübt.

Gesungen wird in diesem bezaubernden Stück viel, vorwiegend leise Töne in höchsten Höhen flirren durch den Raum, das Orchester liefert dazu eher sparsame, tastende Hintergrundklänge. Im Publikum erregte das mal feinfühlige, dann wieder kurz eruptive Werk deutlichen Widerstand - Handys klingelten, es wurde getuschelt. Nach der Pause kamen die von diesem sozusagen trojanischen Violinkonzert Enttäuschten mit Bruckners "Romantischer" wieder voll auf ihre Kosten.

Neben dem Rihm-Schwerpunkt bot Konzertchef Markus Hinterhäuser ein ganzes Bündel von hochkarätigen Kammerkonzerten unter dem Stichwort "Brahms-Szenen", Anja Harteros und Angelika Kirchschlager gaben wunderbare Liederabende und Matthias Gorne lud zu einer dreiteiligen Schubertiade mit "Schöner Müllerin", "Winterreise" und "Schwanengesang" ein. In einer kurzweiligen, sehr informativen "Schule des Hörens" ließ er sich außerdem in die Karten bzw. in die Stimmbänder blicken.

Von einem Künstler allerdings hätte man in diesem Sommer lieber nichts gehört. Rolando Villazón quälte sich durch gut sechzig Minuten Liedgesang am Abgrund.

Schon bei den drei Eröffnungsstücken von Henri Duparc geriet man in Sorge ob Villazóns immer wieder wegbrechender Mittellage, bereits die ersten Töne klangen gepresst, undeutlich, gequält. Deutlich besser wurde es bei zwei Liedern von Massenet und Fauré, die folgenden vier recht eingängigen Stücke Fernando Obradors waren dann wieder recht blass und eher unkonturiert.

Zwei Stunden nach Konzertende sang Villazón in einem einschlägigen Lokal im Festspielbezirk Schnulzen aus dem Radio mit - hoffen wir einfach, dass dies kein Menetekel ist und rasch ein Wunder geschieht, das die vokalen Wunden zum Verschwinden bringt.