Ein kleines Eifel-Wunder

Von Ludger Fittkau · 09.06.2013
Der Nürburgring, insolvent und von vielen totgesagt, hat ein eindrucksvolles Lebenszeichen von sich gegeben - und das jenseits des Autofetischismus. Rock am Ring, das sind mehr als 25 Stunden Live-Programm, 85.000 Besucher und prall gefüllte Zeltplätze an der Piste.
"Germany! I have never seen this many people in my tired live. I love this place."

Dan Reynolds ist von den Menschenmassen beim größten deutschen Rockfestival beeindruckt. 85.000 bei "Rock am Ring" - ausverkauft.

"Thank you for having us today. This is incredible!"

Die skurrile Kulisse des Nürburgrings könnte dem Frontmann der amerikanischen Indie-Rock-Band "Imagine Dragons" allerdings durchaus vertraut vorkommen. Denn auch wenn in der Eifel die Spielcasinos fehlen: Die Band stammt aus Las Vegas, Teile der Vergnügungsmaschinerie des Nürburgrings kennt man dort seit Langem.

Die Achterbahn gleich hinter der Center Stage, die nie gelaufen ist. Die Diskotheken der einer Westernstadt ähnelnden "Grünen Hölle", die Kinos und Läden in den unendlichen Betonhallen des Freizeitzentrums, die heute allerdings weitgehend leer stehen. Die Band "Imagine Dragons" legte gleich zum Auftakt von "Rock am Ring" jedenfalls so furios los, als ob ihr in der Eifel alles sehr vertraut ist.

Der Nürburgring steckt voller Überraschungen. Die Rennbahn ist pleite, die Insolvenzverwalter bieten sie weltweit zum Verkauf an. Doch wer an diesem Wochenende in die Eifel kommt, reibt sich die Augen: statt der Tristesse eines leerstehenden Freizeitzentrums prall gefüllte Zeltplätze an der Piste.

Dann zum Auftakt am Freitag auch noch strahlende Sonne statt des obligatorischen Regens, der die Zeltplätze normalerweise in Sumpflandschaften verwandelt: die Eifel - ein fast perfekter Sommertraum.

"Fettes Brot" lässt es sich nicht nehmen, den Nürburgring als Veranstaltungsort ironisch aufzuspießen: Die "Brote" kommen mit Mofas auf die Bühne geknattert. Auftakt zu einer großartigen Live-Show:

"Ja, die haben halt eine Super-Bühnenshow hingelegt, haben das Publikum immer wieder animiert, mitzumachen und haben fast alle alten Songs gespielt, die man so kennt. Das war super."

Fettes Brot: "Das ist Rock am Ring würdig."

Natürlich kommt dann auch irgendwann der Regen. Doch darauf sind die "Rock am Ring"-Besucher vorbereitet. Diszipliniert stehen sie auf den Zeltplätzen auch im Schlamm Schlange, um eine Duschmarke zu bekommen oder ein Frühstücksbrot.

"Matsch? Natürlich habe ich schon mal im Matsch gespielt. Aber auf dem Festival noch nicht, ne."

Einige sind schon beinahe die ganze Woche da, das Festival wird zum Kurzurlaub ausgedehnt.

"Aus Berlin. Aus Berlin extra angereist. 600 Kilometer mit dem Auto."

Spritkosten, 150 Euro Eintritt - da muss bei der Verpflegung gespart werden:

"Wir haben viel selber mitgebracht, so fürs Frühstück und T-Shirt habe ich mal so gute 100 Euro mitgenommen."

"Es ist auch mein erstes Festival. Super-cool!"

In diesem Jahr wird die friedlich Atmosphäre auf den Zeltplätzen allerdings ein wenig getrübt. Die Polizei registriert offenbar bandenmäßig organisierte Zeltdiebstähle. "Festivalkriminalität" heißt das im Jargon des Ordnungshüters Joachim Brandscheid:

"Ein wenig auffallend war doch die hohe Anzahl von Diebstählen aus Zelten. Das waren in den letzten 24 Stunden alleine 84 Zeltdiebstähle und Taschendiebstähle.

Ja, es ist uns gestern Abend zufällig aufgefallen und es ist eben ein bisschen nervig, weil man jetzt hier hinrennen muss zur Polizei und so ..."

Ein ideales Festivalgelände
Dann aber geht es weiter mit dem Musikprogramm. Seit fast 30 Jahren gibt es "Rock am Ring". Im letzten Jahr sah es angesichts der Pleite des Nürburgrings fast so aus, als ob das Festival die Eifel verlassen muss - der badische Hockenheimring, aber auch ein altes Flugfeld bei Mainz waren schon als Alternativen im Gespräch.

Ein alter Security-Mann, der seinen Namen nicht nennen will, weil er eigentlich eine Genehmigung zum reden braucht, betont, wie hoch wichtig das Festival für die Eifelregion ist:

"Oh, sehr hoch, sehr hoch! Das, was hier vertilgt wird, oder das, was hier umgesetzt wird, das ist schon immens. Ich bin am Montag auch hier, wenn es den Müll zu beseitigen gilt …"
Das Areal des Nürburgrings ist ein ideales Festivalgelände. Hier in der dünn besiedelten Eifel stört man keine ruhebedürftigen Nachbarn. Im Gegenteil: Die umliegenden Dörfer profitieren von den Menschenmassen, die versorgt werden müssen.

"Diese Rockveranstaltung, die kann man ja hier im freien Gelände machen. Hier wird ja keiner belästigt. An anderen Orten, da ist dann schon um zehn oder um elf ein Nachbar, der sich beschwert und das ist hier nicht."

Wenn in wenigen Stunden mit den Top Acts "Green Day" und "Seeed" Rock am Ring 2013 zu Ende geht, ist ein Eifel-Wunder Wirklichkeit geworden. Der schon längst mausetot gesagte Nürburgring lebt weiter - nicht zuletzt durch Rock- und Popkultur, die an diesem Wochenende den Autokult in der Eifel fast vergessen ließ.

Doch nur für einen Augenblick. Denn schon im Juli kommt die Formel 1 zurück an die Pleiterennbahn. Auch das ist eigentlich kaum zu glauben.