Ein Klassiker der Komiker

09.11.2008
Näselnd schnarrende Stimme, verhaspelte Schnellspreche und gezierte Gestik - als eleganter Schlaks aus zahllosen Filmen blieb Theo Lingen vielen in Erinnerung. Jetzt haben der Berliner Filmhistoriker Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen ein Buch über die Karriere des 1903 geborenen Hannoveraners geschrieben, der die Hälfte seines Lebens in Wien zu Hause war und sein Privatleben stets für sich behielt. Doch in der Materialfülle aus Archivschätzen und Rezensionen wird der Mensch hinter der Maske kaum kenntlich.
Theo Lingen ist ein Klassiker unter den deutschen Komikern. Aus zahllosen Filmen bleibt er als eleganter Schlaks in Erinnerung. Seine näselnd schnarrende Stimme, die verhaspelte Schnellspreche, formvollendete Tanzlehrerhaltung und gezierte Gestik haben sein Markenzeichen unwiderruflich geprägt.

Er war ein vielbeschäftigtes Zugpferd im Kino, auf dem Theater und im Fernsehen, gab den idealen Oberkellner, Hausdiener oder trotteligen Adligen in hundertfacher Variation. Seine nervösen Händel mit dem grantigen Wiener Hans Moser wurden zum Inbegriff beklemmend kauzigen Humors im Schwarzweißfilm der Nazi-Zeit. Und noch in den 60ern verkörperte er in der Filmserie "Die Lümmel von der ersten Bank" als steifer Studienrat Taft den lachhaften Stolz brüchiger Autorität.
Theo Lingen war so deutlich Knallcharge, Maske, Männlichkeit im Kostüm, dass er die Formen aufgesetzter Arroganz und Rechthaberei dem Gelächter preisgab. Hinter der Fassade seiner durchgedrehten minderen Machtmänner verbarg sich subversives Rollenspiel, dessen Brisanz allerdings im klischeebehafteten Unterhaltungsgewerbe der Nachkriegszeit zur nostalgischen Witzformel erstarrte.
Die Berliner Filmhistoriker Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen haben ein Buch über Theo Lingens Karriere geschrieben, das diese Tragik ernst nimmt. Es ist im engeren Sinne keine Biografie des 1903 geborenen Hannoveraners, der die Hälfte seines Lebens in Wien zu Hause war, sondern respektiert dessen Prinzip, sein Privatleben für sich zu behalten. Das akribisch recherchierte, spröde formulierte Buch folgt im Detail den reichen Archivschätzen zur Medienentwicklung der vergangenen acht Jahrzehnte, breitet Filmerzählungen, Rollencharakterisierungen, zeitgenössische Kritikermeinungen von literarischem Rang und Kollegenkommentare zu Lingens Lebenswerk aus.

Man erfährt, wie der Autodidakt und tingelnde Anfänger im expressionistischen und später von Brechts verfremdender Methodik geprägten Theater der Weimarer Republik sein Handwerk erlernte, als Mackie Messer und als Gangstertype in den frühen Tonfilmen von Fritz Lang brillierte und allmählich eine karikaturistische Komiker-Persona entwickelte, die ihm auch unter Goebbels Herrschaft Arbeit und große Popularität verschaffte.

Sein "Spiel mit der Maske", machen die Autoren deutlich, wurde zur rettenden Camouflage, um seine Familie vor der rassistischen Verfolgung der Nazis zu schützen. Lingen war mit Bert Brechts Ex-Frau Marianne Zoff verheiratet, setzte sich für deren jüdische Verwandte und jüdische Kollegen ein und fühlte sich als Vater von Ursula Lingen und Stiefvater von Brechts und Marianne Zoffs gemeinsamer Tochter Hanne Hiob verantwortlich.

Dass hinter der Maske ein politisch wacher Kopf verborgen war, der die Kunst der indirekten Schmähung nazistischer Ideologie verfeinerte, ergründet das Buch anhand typischer Gags und Ploterfindungen. Es entdeckt den vergessenen Stücke- und Sketchautor neu, überdies den Theater- und Filmregisseur Lingen, der zum Beispiel vier heute unbekannte Kurzfilme über Till Eulenspiegel drehte.

Die Autoren setzen einem großen Exaltierten, umtriebigen Bühnen- und Studiotier und grandiosen Choreografen der eigenen Körperlichkeit ein Denkmal, schildern die politischen Akzente der Theater- und Filmgeschichte, die Lingen repräsentierte, und betreiben so die Ehrenrettung der Klamottenkomik, in die er am Ende gelangweilt verfiel. Der Mensch hinter der Tarnkappe wird in der Materialfülle kaum kenntlich.

Rezensiert von Claudia Lenssen

Rolf Aurich, Wolfgang Jacobsen: Theo Lingen. Das Spiel mit der Maske
Aufbau Verlag, Berlin 2008,
551 Seiten, 24,95 Euro