Ein Juwel - bitte übersetzen!

Von Ulrich Fischer · 11.06.2008
Uraufführung des Stücks "Afterlife" von Michael Frayn, eine szenische Collage aus dem Leben des Regisseurs Max Reinhardt, verwoben mit dem "Jedermann". Für unseren Kritiker ein klarer Fall: Dieses Stück muss schnellstmöglich ins Deutsche übersetzt werden!
Michael Frayn rückt Max Reinhard in seinem neuen Stück ins Zentrum. Thema ist das Spannungsverhältnis von Leben und Kunst. Frayn verwebt Szenen aus dem Leben des berühmten Regisseurs und Impresarios mit dem "Jedermann". Die Quintessenz: Reinhardt hat sein eigenes Theater nicht ernst genommen. Als es ihm gut ging, hat er die Minderprivilegierten ausgeschlossen - als Reinhardt im Exil vergessen wurde und ins Elend geriet, hat er schrecklich gebüßt. Aber er starb nicht wie alle - sein Ruhm leuchtet bis in unsere Zeit - er hat ein Nachleben - "Afterlife"! Die Lehre der christlichen Moralität "Jedermann", zu teilen mit den Armen, ist noch heute jedes Jahr zu hören - an vielen Orten, am prominentesten in Salzburg auf dem Domplatz. Wer Ohren hat, der höre! Frayn plädiert für ein ernstes, sittlich fundiertes Theater - mit immensem Humor. Er hat die Dialoge blank geputzt und scharf geschliffen - es wurde viel gelacht am Dienstag bei der Uraufführung im Lyttleton, dem Kammerspiel des Royal National Theatre in London.

Frayn, einer der profiliertesten Autoren Großbritanniens, ist ein bewährter Brückenbauer zwischen der Insel und dem Kontinent. Es gibt kein besseres Stück über Willy Brandt und die Ostpolitik als sein "Democracy" ("Demokratie") und über die Atombombe, über Werner Heisenberg, wie "Copenhagen".

Regisseur Michael Blakemore stellt sich mit seiner Uraufführungsinszenierung ganz in den Dienst von "Afterlife" und präpariert den Gegensatz von Kunst und Leben, den Reinhardt überwinden wollte, heraus. Er arbeitet, ganz im Sinne Frayns, mit reduzierten Mitteln, andeutend, was in spannungsreichem Gegensatz zu Reinhardts Theaterstil überbordender Üppigkeit steht. Als der Theatermann auf der Höhe seines Ruhms wie ein Fürst in einem Schloss residiert, verliert er den Zusammenhang mit dem wirklichen Leben: Geldsachen und Politik delegiert er an andere. Frayn macht deutlich, dass eskapistische Kunst, die das Publikum in Träume des Luxus entführt, mit Reinhardts Ziel, die Grenze zwischen Theater und Leben aufzuheben, in schroffen Gegensatz gerät. Die Lehre für die heutige Zeit kann sich jeder selber denken: affirmatives Theater und schlimmer noch Fernsehshows mit hochdotierten Plappermäulern, die in Hollywood residieren, sind Opium - gegen solche Räusche macht Frayn Theater.

Roger Allam spielt Max Reinhardt als widersprüchlichen Theatermann; seine üppigen Inszenierungen und seine rauschenden Feste sind nicht Ausdruck seines Willens - er wird vom Erfolg getrieben. Eine üppige Inszenierung muss von einer noch verschwenderischen Extravaganza überboten werden. Eine Schlüsselszene ist das Auftreten des Mammons. Max Reinhardt verwandelt sich in Jedermann. Der schleppt seinen Reichtum in einer Kiste zum Grab mit. Da springt der Mammon heraus - er will weiterleben. Als Jedermann/Reinhardt ihm befehlen will, belehrt ihn der Mammon: nicht Jedermann sei der Herr, der Reichtum der Knecht, sondern umgekehrt. Eine wirksame Szene schon bei Hofmannsthal, bei Frayn eine scharfe Kritik an Künstlern, die ihr Talent für 30 Silberlinge verkaufen.

"Afterlife" sollte rasch übersetzt werden - der Zweiakter ist ein Juwel. Nachspielen. Überall dort, wo der Tod "Jedermann!" ruft. Vor allem natürlich in Salzburg. Als Verstärkung des "Jedermann" und als Tribut an einen großen, aber fehlgeleiteten Künstler.

Service: Afterlife wird aufgeführt im Lyttleton, dem Kammerspiel des Royal National Theatre, London am 17., 18., 19.., 25. 16., 27. und 28. Juni. Das Stück wird Ende Juli wieder aufgenommen. Tel: 0044 20 7452 3000