Ein Jahr, ein Bild

Von Barbara Wiegand · 28.04.2009
Filzbezogenes von Joseph Beuys, Genageltes von Günther Uecker - anlässlich des 60-jährigen Bestehens der Bundesrepublik präsentiert der Berliner Martin-Gropius-Bau eine große Schau westdeutscher Kunst. Sie wird am Donnerstag im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnet.
Von kleinen Sockeln herunter grüßen in Bronze gegossene Affen den Besucher im Lichthof des Martin-Gropius-Baus. Jene mal Zeitung lesenden, mal mit der Eisenbahn spielenden oder auch malenden Primaten, die der vor zwei Jahren verstorbene Jörg Immendorf als schwergewichtigen Hinweis darauf schuf, sich selbst und die Kunst nicht allzu Ernst zu nehmen. In den weiteren Räumen des Erdgeschosses finden sich Ernst Wilhelm Nays gepunktete Farbuniversen aus den 50ern, Imi Knoebels schwarzes Kreuz und Markus Lüpertz plastisch gemalte "Tunnelblumen" aus den 60er-Jahren. Filzbezogenes von Beuys, Genageltes von Uecker.

Das Who is Who der deutschen Kunstwelt scheint im Martin-Gropius-Bau vereint - der westdeutschen Kunstwelt, wohlgemerkt. Denn Künstler aus dem Osten der Republik werden erst nach der Wende berücksichtigt. Etwa der Leipziger Malerstar Neo Rauch. Doch die Macher der Schau wehren sich gegen den Vorwurf der Ausgrenzung von DDR-Kunst. Der Titel "60 Jahre 60 Werke" bezöge sich vor allem auch auf sechs Jahrzehnte Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Eine Verfassung, die die Freiheit der Künste garantiert. Kurator Walter Smerling von der Bonner Kunst und Kulturstiftung:

"Uns geht es und das ist das Konzept der Ausstellung, uns geht es um die Bundesrepublik. Und um die Frage, was war möglich in diesem Geltungsbereich des Paragrafen fünf Absatz drei. Leider war dies in der DDR nicht möglich. Es geht nicht darum, die Auseinandersetzung zwischen Ost- und Westkunst hier zu führen. Das macht ja ganz hervorragend die Schau "The new two Germanys", die ja im Herbst in Berlin gezeigt wird. Bei dieser Ausstellung geht es nicht um Quote, nicht um Geopolitisches. Es geht um die Fragestellung: Was haben die Künstlerinnen und Künstler in den letzten 60 Jahren unter dem Dach des Grundgesetzes geleistet. Und wir nehmen diesen Geburtstag zum Anlass, da ein Resümee zu ziehen."

Auch wenn man Arbeiten von DDR-Außenseitern wie Gerhard Altenbourg oder Subkulturelles aus den 80ern durchaus vermissen mag – diese Begründung kann man nachvollziehen. Viel spannender ist die Frage, ob dieses konsequent verfochtene Konzept aufgeht. Wie und ob das funktioniert – ein Jahr - ein Bild? Und warum der über die Leinwand schleichende, einem Foto nachgemalte Tiger von Gerhard Richter beispielhaft für das Jahr 1965 ist?

Walter Smerling: "Diese Zeit der 65, 64, 67er Jahre waren die Anfänge, die das kunstgeschichtliche Phänomen Gerhard Richters zementiert haben. Diese Bilder sind die Basis, auf der später das gesamte Oeuvre von Gerhard Richters aufbaut. Und da galt es nun, eines der wichtigen Werke auszuwählen."

Dabei betrachte man die Werke nicht als einzigartige Kunst, vielmehr als Stellvertreter für Strömungen und Entwicklungen. Um das zu verdeutlichen, nahm man es mit den 60 Werken nicht ganz so genau und hängte ihnen sogenannte Assistenten zur Seite. So findet sich von Georg Baselitz zwar keines seiner berühmten Kopfüberbilder in der Schau. Aber neben seinen tragisch zerloddert gemalten Helden hängt das Remake der "Großen Nacht im Eimer". Das Bild mit einem kleinen Mann nebst riesigem, erigiertem Penis darauf sorgte Anfang der 60er-Jahre für einen Skandal und wurde von der Vernissage weg beschlagnahmt – ein Beispiel für die Grenzen, an die auch die Kunst im freien Westen stoßen kann.

Manchmal füllen Haupt- und Nebenwerke eines einzigen Künstlers auch wirkungsvoll ganze Räume. Etwa Beuys' aus dem Pariser Centre Pompidou eingeflogener, Filzbezogener Konzertflügel und ein ebenso verhülltes Cello. An anderer Stelle überzeugen dagegen die Begegnungen verschiedener Künstler und unterschiedlichster Stile. Etwa wenn gleich zu Beginn der Ausstellung figürlich Gemaltes aus dem Nachkriegdeutschland auf Abstrakte Kunst trifft. Bazon Brock, emeritierter Ästhetikprofessor, der später Besucher durch die Ausstellung führen wird sagt:

"In den 50er-Jahren geht es um die Auseinandersetzung zwischen den figurativ arbeitenden Malern und den sogenannten Abstrakten. Diese Auseinandersetzung wird mit verschiedenen Begriffen belegt. Wie Tachismus oder Informell oder Action Painting. Was war denn nun das beispielhafte an dieser Auseinandersetzung, wie sieht das Begriffslexikon für abstrakte Kunst aus. Damals ging es um die Frage, ob man es schafft, in Nachfolge an die 20er-Jahre-Experimente von Mondrian tatsächlich etwas wie eine zweidimensionale Flächenwahrnehmung hinzukriegen."

Häufig wirkt die Ausstellung jedoch schlicht überladen. Kantige Männer-Figuren von Stephan Balkenhol, Rebecca Horns Trommelmaschinen, Gotthard Graubners Rotes Kissen etwa können dicht gedrängt kaum Wirkung entfalten. Und die Plattenteller des audiovisuellen Künstlers Carsten Nicolai wirken deplaziert zwischen einem neorealistisch naiven Städteportrait von Wolfgang Mattheuer und Eberhard Havekosts brillant banalen Ausschnitten von Fassaden.

So stellt sich trotz durchaus vorhandener Höhepunkte am Ende des Rundganges die Frage, ob die künstlerischen Marksteine entlang 60 Jahren bundesrepublikanischer Kunstgeschichte in dieser Aneinanderreihung nicht zur bloßen Dekoration der allgemeinen Jubiläumsfeierlichkeiten geraten?

Entwicklungen, ja vielleicht neue Zusammenhänge erkennt man jedenfalls kaum beim Besuch dieser Ausstellung.