Ein Jahr Corona im Iran

Fake News im Land der Mullahs

21:23 Minuten
Frau mit Mund-Nasen-Schutz geht durch Teheran.
Die offiziellen Statements zu Corona müssen nicht stimmen: Viele Iranerinnen und Iraner sind lieber vorsichtig und tragen überall Maske. © Imago / Xinhua / Ahmad Halabisaz
Von Karolina Hoschbacht · 09.02.2021
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Der Iran ist eines der von Corona am stärksten betroffenen Länder der Welt. Zu den Sanktionen, der maroden Wirtschaft, der galoppierenden Inflation kommt nun der Lockdown. Doch das Regime in Teheran versucht nach wie vor, die Lage schönzureden.
Es ist Freitag, ein Wochenendtag im Iran. Die Teheraner können es nicht lassen, sich gegenseitig zu besuchen – trotz Corona. Und trotz der ständigen Mahnungen im staatlichen Fernsehen: "Versammelt und trefft euch nicht!"

Corona-Tote in fast jeder iranischen Familie

Doch es hat sich hier seit Februar letzten Jahres sehr viel verändert, als es die ersten bestätigten Coronafälle 150 Kilometer südlich von Teheran, in der Pilgerstadt Ghom gab. Fast jede Familie im Iran hat heute Corona-Tote zu beklagen. Deswegen wird selbst bei familiären Treffen sehr penibel auf die Hygiene geachtet.
Zwei Frauen mit hellblauem Mundschutz schlendern durch die sonnige Fußgängerzone von Teheran.
Eine Einkaufsstraße in Teheran: Die disziplinierten Iraner tragen selbst im Freien Masken, obwohl es keine Pflicht ist.© Deutschlandradio / Karolina Hoschbacht
Im Osten Teherans, der Bezirk Narmak: ein schlichtes Mehrfamilienhaus. Safo, eine schlanke, 65-jährige Hausfrau aus Teheran, trägt selbst in dem überheizten Wohnzimmer ihrer Großtante, Einweghandschuhe. Die Maske hätte sie auch gerne anbehalten, wenn sie beim Sprechen nicht dermaßen stören würde.

Bessere Behandlung für den, der zahlt

Und heute möchte sich Safo unbedingt im Kreis der Familie aussprechen. Ihr Bruder ist an den Folgen einer Coronaerkrankung verstorben. Wegen der Kontaktbeschränkungen durfte sie nicht einmal an seinem Begräbnis teilnehmen. Ein schlimmes Vergehen für eine gläubige Muslimin, wie Safo.
"Sie haben ihn ins Krankenhaus gebracht, aber sein wahres Problem wurde nicht erkannt. Er hatte verschlossene Arterien. Sie meinten: alles okay, ab nach Hause. In dem Krankenhaus hätte man sowieso 40 Millionen Tuman pro Nacht zahlen müssen. Sie haben den Armen einfach in den Flur gelegt. Jetzt ist er tot. Sinnlos."
Ein Schild mit Schrift in Farsi und einem gelben Emoji mit weißer Maske.
Ohne Maske kein Einkauf! Auch in Teheran gilt Maskenpflicht in den Geschäften.© Deutschlandradio / Karolina Hoschbacht
40 Millionen in der iranischen Währung Tuman entsprechen etwa 1300 Euro. Safos Bruder hatte dieses Geld nicht. Kein Wunder: Das Durchschnittsgehalt eines Iraners beträgt 4,5 Millionen Tuman, also etwa 150 Euro.

Krankenhäuser als Infektionsherde

Im Iran gibt es private und staatliche Krankenhäuser. Die privaten lassen sich alles bezahlen: das Bett, die Medikamente und die Dienstleistung. Den Aufenthalt in einem staatlichen Krankenhaus übernimmt meistens die Versicherung, wenn der Kranke eine hat. Was nicht selbstverständlich ist, da die Geringverdiener auf sie verzichten.
Viele Medikamente müssen trotzdem von dem Kranken getragen werden, und die Kosten insbesondere für Medizin aus dem Ausland werden nicht erstattet. Safos Bruder hatte sich ausgerechnet im Flur eines privaten Krankenhauses infiziert.
"In einem privaten Krankenhaus wollen sie für eine Coronaspritze acht oder neun Millionen Tuman. Aber der Arme hatte kein Geld, und jetzt ist er tot, ja. Im Iran muss man jetzt für alles bezahlen."
Ein älterer Mann sitzt mit Maske, Mütze und Schuhputzutensilien auf dem Boden, mit vielen Tüten und Taschen um sich herum.
Selbst ein Schuhputzer, der in dem Teheraner Bezirk Narmak seinen Stand auf dem Gehweg ausgebreitet hat, trägt eine Maske. © Deutschlandradio / Karolina Hoschbacht
Dass die Gesundheit im Iran eine elitäre Angelegenheit geworden ist, zeigt das Beispiel der Familie Noori. Der 39-jährige Amir besitzt eine florierende Firma, die Rasierklingen herstellt. Er wollte nicht tatenlos zusehen, wie seine Frau Sarah und die achtjährige Tochter Parvoneh in dem überfüllten Teheran Corona kriegen.

Die Upperclass zieht aufs Land

Die junge Familie ist gleich im Februar letzten Jahres aufs Land umgesiedelt. Sarah arbeitet nicht. Dank der Firma ihres Mannes gehören sie zu der iranischen Upperclass. Parvoneh lernt online – und zwar in einer privaten Klasse mit nur vier Kindern. Deswegen macht sie auch rasche Vorschritte, vor allem beim Schreiben und, was ihrer Mutter sehr wichtig ist: im Englisch.
"Auch nach Corona gehen wir nicht in die Stadt zurück. Die Fahrten waren am Anfang etwas schwierig, aber jetzt ist der Musik- und Englischunterricht meiner Tochter online. Wir müssen nirgendwo hinfahren. Dort dürfen die Kinder nicht nach draußen. Kino, Schule – überall, wo sie früher Spaß hatten, dürfen sie jetzt nicht mehr hin. In Zeiten von Corona könnte man vielleicht noch in den Park, aber dann denkt man: Was, wenn das Kind auf jemanden trifft, der sich angesteckt hat? Hier im Garten ist es sehr schön für meine Tochter. Sie kann rennen, ohne dass wir Angst haben müssen, dass sie von jemandem bedroht wird."
Zwei komplett in schwarzen langen Gewändern und mit Masken verhüllte Frauen gehen mit Einkaufswagen die Straße entlang.
Straßenszene in Teheran: Durch die Masken werden Frauen in Tschadors fast unsichtbar.© Deutschlandradio / Karolina Hoschbacht
Auch in den Familien von Sarah und Amir gab es schon Coronakranke, bei Amir waren es die Eltern und seine Schwester, bei Sarah der Bruder.

Die offiziellen Coronazahlen sind lächerlich

Das Ehepaar findet die offiziellen Zahlen, die jeden Tag im iranischen Fernsehen verkündet werden, einfach nur lächerlich. Von wegen eine Million und etwa dreihunderttausend Coronakranke.
"Die Nachrichten im Iran entsprechen nicht den Tatsachen. Die Devise hier lautet: Alles, was sie verkünden, muss man verdrei- oder vervierfachen, dann ist man der Wahrheit schon ein Stück näher."
Am 29. Dezember wurde der im Iran entwickelte Coronaimpfstoff erstmals an Menschen getestet, und zwar vor laufenden Kameras. Es gab drei Testpersonen, 56 folgten. Das iranische Gesundheitsministerium kündigte an, dass die erste Testphase bis Ende März, also bis zum persischen Neujahr abgeschlossen sein werde.

Ein Impfstoff made in Iran?

Doch für Sarah und Amir kommt nur ein europäischer oder amerikanischer Impfstoff infrage.
"Sie bluffen einfach. Sie sagen, dass sie einen Impfstoff haben, weil sie sich mit anderen Ländern vergleichen wollen. Zum Beispiel haben einige Länder eine Atombombe. Wir haben sie auch. Raketen. Wir haben sie auch. Die Welt hat eine Impfung entwickelt. Wir haben die auch! Wenn sie eine Impfung rausbringen, wird es eine russische sein. Sie werden das Herstellungsland durchstreichen und 'Produziert im Iran' draufschreiben."
Ein Straßenstand mit vielen aufgereihten bunten langen schmalen Kartons bedruckt mit Markennamen.
Neuer Trend zur Corona-Bekämpfung: Räucherstäbchen, natürlich als "Markenprodukt"-Fälschungen von Dior oder Hermes.© Deutschlandradio / Karolina Hoschbacht
Ganz anders der 46-jährige Dariusch, Abteilungsleiter in einem Teheraner Bezirksamt: Er hat volles Vertrauen zu dem iranischen Impfstoff. Er hat auch keine große Wahl mit seinem Gehalt von neun Millionen Tuman, also etwa 300 Euro, mit denen er seine wachsende Familie zu versorgen hat. Seine schwangere Frau – ihr Baby soll in einem Monat zur Welt kommen – und seine zwölfjährige Tochter Mahbub.

"Sie sind sich ihrer Arbeit sicher"

Dariusch hatte selbst schon Corona und würde auf eine Wiederholung gerne verzichten. Doch gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse hat der Mann, der ein wenig stottert, dazu nicht.
"Wir haben zwei Institute, die Impfstoffe entwickeln, eins davon heißt Rozji, das andere Pasteur-Institut. Seit 100 Jahren entwickelt man hier im Iran Impfungen, zum Beispiel gegen Kinderlähmung oder Darmtyphus. An dem Impfstoff gegen Corona arbeiten sie schon seit fast einem Jahr. Und die erste Person, die geimpft wurde, ist die Tochter des Chefs des Entwicklungsteams. Sie hat sich selbst gemeldet. Das heißt, sie sind sich ihrer Arbeit sicher."
Es war ein Lied des im Iran populären jungen Pop-Sängers Sina Shabankhani, das Dariusch über seine 20 Tage lange Quarantänezeit hinweghalf "Man be to" – "Ich ohne dich" – so der Titel.
"Ich gewöhne mich, ich stelle mich diesen Tagen, alleine in einer Ecke des Zimmers, in der Hoffnung, dich zu sehen, stelle ich mich den Tagen."

"Ich hatte Fieber und ich schwitzte"

Dariusch hat sich bei der Arbeit angesteckt, wahrscheinlich bei seinem Chef, der von einer Dienstreise zurückkehrt war und im Büro keine Maske getragen hatte.
"Nur mit großer Mühe erreichte ich meine Wohnung. Ich hatte solchen Schüttelfrost. Schon von unterwegs habe ich meine Frau angerufen, damit sie eins der Zimmer für mich vorbereitet. Ich hatte auch eine separate Toilette und Dusche. Ich war richtig krank. Ich habe auch nichts essen können, habe alles ausgekotzt. Ich hatte Fieber und ich schwitzte, aber wie, ich wurde ganz nass. Am dritten Tag wurde es etwas besser. Aber plötzlich wurde ein Teil meines Körpers gefühllos. Ich konnte mein Bein nicht bewegen."

"Positiv, bitte schön"

Erst nach drei Tagen schickte der Hausarzt Dariusch zum Test.
"Der Bluttest war negativ. Aber der Hals-Nasen-Test war positiv. Ich bin fast zusammengebrochen, doch das Personal verhielt sich ganz gleichgültig. Geh nach Hause, sagten sie. Keiner gab mir Tipps, wie ich mich verhalten sollte, dass ich mich zum Beispiel an öffentlichen Orten nicht aufhalten darf. Sie wollten mich auch nicht nach Hause begleiten, um zu schauen, ob ich überhaupt eine Möglichkeit habe, mich zu isolieren. Da saß nur eine Frau und meinte: positiv, bitte schön! Als ich nach Hause kam, haben meine Frau und Tochter geweint. Ich sagte, ich bin okay. Das wird schon."

Coronakrank zu sein, ist im Iran teuer

Und doch war die Zeit als Coronakranker für Dariusch eine der schlimmsten Erfahrungen seines Lebens. Er hatte auch Angst um die Gesundheit seiner hochschwangeren Frau, ein zusätzlicher Stress. Die Coronakrankheit schwächte das Budget der Familie sehr.
Vor allem die Vitamine kosteten viel, weil sie aus dem Ausland kamen. Doch iranische zu kaufen, war keine Alternative. Von den Institutionen oder seiner Arbeitsstelle, wo er sich ja infiziert hatte, bekam Dariusch keine Hilfe. Und nur ein Teil seiner Ausgaben wurde von der Versicherung gedeckt.
"Meine Versicherung erstattet den Preis meiner Medikamente, Arztbesuche oder Krankenhausaufenthalte bis zu einer Million Tuman."

Also etwa 33 Euro.

Von zehn Infizierten gehen zwei zum Test

Auch Dariusch glaubt – genau wie Sarah und Amir – kein bisschen an die Corona-Informationspolitik der Mullahs.
"Die Statistiken, die die Regierung im Fernsehen zeigt, das sind nur die Kranken, die sich testen ließen. Und von zehn Infizierten gehen vielleicht zwei zum Test. Die Tests sind teuer, etwa 20 Prozent des durchschnittlichen Monatsgehalts. Ich denke, etwa 25 Millionen Iraner hatten die Krankheit schon: etwa 30 Prozent der 80 Millionen zählenden Bevölkerung. Ich kannte selbst fünf Menschen, die verstorben sind. Und ich kenne schon 300 Leute, die sich mit Corona infiziert haben."
Vielen Frauen im Tschador drängen sich dicht aneinander am Eingang einer Moschee.
Kein Abstand bei religiösen Veranstaltungen. Hier vor einer Moschee, bei der Ausgabe von Samanu, einer Speise aus Weizen und Gewürzen. © Deutschlandradio / Karolina Hoschbacht
Dariusch ist empört darüber, dass die Mullahs anfangs versuchten, den Corona-Vormarsch im Iran zu vertuschen. Und da ist er nicht der Einzige. Die Bilder der Pressekonferenz vom 24. Februar 2020 mit dem stellvertretenden iranischen Minister für Gesundheit Iraj Harirchi, schon damals coronainfiziert, gingen um die Welt.

Coronakranker Minister sieht keine Krise im Iran

Harirchi, mit schweißgebadetem Gesicht und hustend, erklärte den Iranern, dass es keine Coronakrise im Iran gebe. Die Flüge der iranischen Fluggesellschaft Mahan Air aus China damals nicht gleich zu stoppen, war ein Fehler, findet Dariusch. Aber Teheran hätte keine Wahl gehabt.
"Das war wirtschaftlich gesehen nötig. China ist unser einziger Wirtschaftspartner, weil wir ja unter den Sanktionen von Ex-US-Präsident Trump leiden. Während die Kranken bereits in die Krankenhäuser eingeliefert wurden, behauptete die Regierung, auch im Fernsehen, die Krankheit gebe es nicht. Es wurde dort sogar ein Interview mit den Einwohnern von Ghom ausgestrahlt. Der Journalist fragte: Gibt es hier Corona? Und die Leute antworteten: Nein, wir sind ruhig und ohne Sorge. Später stellte sich dann heraus, dass das Fake News waren."
"Hallo, geht es Ihnen gut? Aber nein, Sie stören nicht. Ja, wenn Gott es will. Ah, sie will Herzablation machen? Machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin auch am 20. im Krankenhaus."
Die 45-jährige Leila ist Krankenschwester in der Corona-Abteilung eines Krankenhauses in der Stadt Qazvin, drei Fahrtstunden nördlich von Teheran. Sie ist in Teheran nur zu Besuch und hat die Geldstrafe, die für das Reisen zwischen Provinzhauptstädten verhängt wurde, in Kauf genommen, um ihre Schwester zu besuchen und sich von dem Coronastress zu erholen. Was ihr allerdings nicht wirklich gelingt, da sie ständig von ihren Patienten angerufen wird.
Ein Halbkreis von von Kopf bis Fuß vermummtem Plegepersonal, 7 Personen,  steht um einen Tisch mit PC.
Das Team der Corona-Abteilung eines Krankenhauses in Teheran. Die Krankenschwester und das Pflegepersonal sind unterbezahlt. © Deutschlandradio / Karolina Hoschbacht
Leilas ganze Familie hatte schon Corona, nur sie selbst nicht. Obwohl sie diejenige ist, die jeden Tag Kontakt zu Coronakranken hat.

Die Vertuschungspolitik der Regierung

Sie kennt die iranische Realität in den Krankenhäusern – und genauso, wie Dariusch prangert sie die Vertuschungspolitik der Regierung am Anfang der Pandemie an.
"Die Krankheit hat sich viel früher verbreitet, als man es zugegeben hatte. Wegen des Jahrestages der Islamischen Revolution hatte man es nicht öffentlich gemacht, damit die Menschen am 11. Februar zu Kundgebungen gehen. Und wegen des Jahrestages der Rückkehr von Imam Khomeini. Wir hatten einige Patienten isoliert, aber so wie immer. Ich habe gefragt, ob die eingelagerten Desinfektionsmittel zu Dekoration sind, oder ob wir sie benutzen können. Der Chef der Facility-Abteilung meinte: Sie sollen einfach dort bleiben. Ich meinte: Das ist doch lächerlich, wir werden alle erkranken, wir müssen dem vorbeugen. Ich habe mir selbst eine Maske, außerhalb des Krankenhauses, gekauft und habe sie getragen."
Drei Männer stehen in einer Bäckerein hinter aufgetürmten Backwaren und tragen weiße Hemden und Masken. An der Wand ein Bildnis des Revolutionsführers Ayatollah Khamenei.
Maskenpflicht in den Geschäften auch für Personal, hier in einer Konditorei in Teheran.© Deutschlandradio / Karolina Hoschbacht
Und auch wie Dariusch ist Leila sich sicher: Hätte man Ghom unter Quarantäne gestellt, hätte sich die Krankheit im Iran nicht so schnell verbreitet.
"Einige chinesische Studenten kamen zu den Feierlichkeiten nach Ghom. In China selbst wären Reisen zu diesem Zeitpunkt schon unmöglich gewesen, aber in Ghom wurden sie aufgenommen. Etwa fünf Tage vor dem Feiertag, dem 11. Februar, konnte man die Krankheit nicht mehr leugnen, weil es sie ja schon überall gab."

"Ich war die Einzige mit Maske und Schutzkleidung"

Leila erinnert sich noch ganz genau daran, als Anfang Februar ihr erster Coronapatient eingeliefert wurde.
"Die erste Katastrophe, die mich erschütterte, war die Tatsache, dass ich die Einzige in der Abteilung war, die eine Brille, Maske und Schutzkleidung trug. Niemand sonst. Alle haben mich ausgelacht: Schaut diesen Angsthasen. Ich bin dann zu dem Kranken gegangen. Er hatte nur 80 Prozent Sauerstoff im Blut, konnte kaum noch atmen.
Gott, dein Wille geschehe. In deinem Namen helfe ich dem Kranken, und werde hoffen, dass ich mich nicht anstecke. Das war meine menschliche Pflicht. Mein Job. Danach wollten sie mich für 14 Tage in unbezahlten Urlaub schicken. Das ist unmenschlich! Ich habe gesagt: Beurlaubt mich doch, in anderen Krankenhäusern gibt es zu wenig Schwestern, weil viele einfach abgehauen sind. Sie flohen vor den Kranken. Schließlich ließen sie mich bleiben, aber die Kollegen mieden mich 14 Tage lang wie die Pest."

Lohnerhöhung von Ayatollah Khamenei bleibt aus

Krankenschwestern und Pflegepersonal sind auch im Iran unterbezahlt. Am 20. Dezember, dem iranischen Krankenschwestertag, wurde ihnen eine Lohnerhöhung vom religiösen Führer Ayatollah Khamenei persönlich versprochen. Leila hält nicht viel davon und wird erst dann daran glauben, wenn sie das Geld in ihrer Tasche hat.
"Ich arbeite jetzt in zwei Krankenhäusern und bekomme sechs Millionen Tuman. Etwa 200 Euro. Ja. Gott ist mein Zeuge."

Die neue Strategie der Regierung

Seit Anfang Januar informiert das regimetreue, iranische Fernsehen über die sinkenden Corona-Zahlen. Dariusch freut sich und meint: Dies stimme diesmal sogar vielleicht, denn trotz der offenen Geschäfte und der vollen Straßen verhielten sich die Iraner vorbildlich. Es gebe eine Art gesellschaftliche Kontrolle. Jeder, der selbst im Freien, auf der Straße, keine Maske trägt, werde schief angeschaut.
Die Regierung verfolgt auch eine neue Strategie, um die Menschen zu sensibilisieren. Man drückt die Zahlen nicht mehr nach unten, sondern setzt sie zu hoch an. Selbst der Vize-Minister für Gesundheit Ali Reza Raisi meinte Ende Dezember im Fernsehen: Alle Statistiken müsse man hoch drei rechnen. Aber selbst wenn die Zahlen wieder steigen sollten, müssen die Geschäfte geöffnet bleiben – meint Dariusch.

Die Regierung hat fünf Euro Hilfe überwiesen

"Wir leiden unter den Sanktionen, unser Erdöl kann nicht exportiert werden. Der Erdölverkauf ist auf zehn Prozent der früheren Verkaufsmengen gesunken. Deswegen ist die Regierung nicht in der Lage, den Menschen finanziell zu helfen. Die Machthaber haben verstanden, dass sie die Betriebe, Fabriken und Geschäfte nicht für längere Zeit schließen können. Die Regierung leistet jetzt eine kleine Hilfe. Gestern hat man mir auch etwas Geld überwiesen, sehr wenig. Wenn man es in Euro umrechnen will: fünf Euro. Dafür kann man hier ein Kilo Fleisch kaufen."
Aber eigentlich will Dariusch heute weder über Corona, noch über Geld sprechen. Gestern Nacht ist sein erstgeborener Sohn zur Welt gekommen. Er ist zwar ein Frühchen und wiegt nur 1,4 Kilo – dem Corona-Stress geschuldet wie die Ärzte sagen – , aber er ist trotzdem ein gesunder Junge. Ein Funken Hoffnung in der dunklen Corona-Zeit – für den Iraner Dariusch und seine Familie.
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