Ein Hühnchen wird zum Fisch

Ingrid Haslinger im Gespräch mit Anne Françoise Weber · 31.03.2012
Etwa 150 Fasttage gab es für die Mönche des Zisterzienserstifts Lilienfeld um 1900: Da musste die Köchin sich einiges einfallen lassen, um Abwechslung auf den Tisch zu bringen. Ihre Rezepte hat die Historikerin Ingrid Haslinger in dem Buch "Kloster Kulinarium" versammelt.
Anne Françoise Weber: Die Fastenzeit dauert nun fast schon bald sechs Wochen. Nur die K-Woche bleibt noch durchzustehen für die, die in dieser Zeit auf etwas Besonderes verzichten. Heutzutage sind das ja oft Alkohol, Fleisch oder Süßigkeiten – bei manchen auch der Gebrauch des Autos oder eine andere Bequemlichkeit. Wie war das eigentlich früher? Zumal bei den zum Fasten besonders Angehaltenen, den Mönchen?

Ein kürzlich erschienenes Buch ermöglicht uns jetzt, in Küche und Speisekammer eines wichtigen Klosters in Österreich zu schauen. Die Historikerin Ingrid Haslinger hat das Kochbuch aus dem Jahr 1899 des Zisterzienserstifts Lilienfeld herausgegeben. Darin finden sich von verschiedenen Köchinnen niedergeschriebene Rezepte. Suppen samt Einlagen, Fleischgerichte, Saucen, Torten und eben auch viele Fastenspeisen.

Ingrid Haslinger hat die Rezepte mit erläuternden Kapiteln zu Klosterküchenvorratshaltung und zu den Gegebenheiten im Lilienfelder Kloster ergänzt. Ich habe vor der Sendung mit ihr gesprochen und sie zunächst gefragt, was denn die klösterliche Fastenküche um die Wende zum 20. Jahrhundert so zu bieten hatte.

Ingrid Haslinger: Ja, die Fastenküche um diese Zeit war eigentlich sehr reichhaltig, weil es damals zirka 150 Fasttage gegeben hat, für die Mönche manchmal sogar noch mehr. Und die Fastenküche bestand vor allem aus Fischen, Mehlspeisen und Eierspeisen.

Weber: Also, das war reichhaltig und es war auch gar nicht so billig, wie man denken könnte. Also, fleischlos natürlich, aber trotzdem keine billige Angelegenheit?

Haslinger: Es war deswegen keine billige Angelegenheit, weil die Lebensmittel, die ich aufgezählt habe, natürlich nicht sehr günstig waren, vor allem die Fische – in Österreich gab es ein beschränktes Fischangebot – und man musste dann die Fische aus der Adria herbringen. Das war natürlich sehr umständlich und man musste da sich Eis beschaffen, damit die Fische also noch in gutem Zustand bis kurz vor Wien gekommen sind. Und natürlich hat jedes Kloster und so auch Lilienfeld Fischteiche angelegt, um eben zu den bestimmten Zeiten, also sprich Ostern und Fastenzeit beziehungsweise Weihnachten die entsprechende Menge von Fischen zu haben.

Weber: Und es war ja nicht nur das Fleisch verboten, sondern auch noch jede Menge andere Sachen, oder?

Haslinger: Ursprünglich war überhaupt fast alles verboten. Der Benedikt von Nursia, der das erste Kloster gegründet hat, der hat also überhaupt den Fleischgenuss verboten. Es gab zwei Gerichte pro Tag, ein Bohnengericht, ein Gemüsegericht. Allerdings muss man überlegen, dass der Benedikt von Nursia mit seinen Kommilitonen in Italien wesentlich einfachere Bedingungen vorgefunden hat, weil es dort natürlich nicht so kalt war und weil zum Beispiel das Olivenöl zur Verfügung stand. Erst im 15. Jahrhundert hat sich dann in Europa, vor allem also in nördlicheren Teilen, wo es also kalt ist, wo die Mönche also unter besonderen Umständen lebten und arbeiteten, durchgesetzt, dass man Milch, Butter, Käse in der Fastenzeit essen durfte. Das war natürlich dann wesentlich billiger für das Kloster.

Weber: Gab es denn auch irgendwelche Tricks, um diese Fastenregeln zu umgehen, oder hat man sich da immer ganz brav dran gehalten?

Haslinger: Die Mönche haben natürlich immer wieder versucht, die Fastenregeln zu umgehen, und zwar aus dem Grund, weil erstens einmal das Leben in dieser Gemeinschaft sicherlich auch nicht einfach war und auch heute nicht einfach ist. Von daher war das Essen eigentlich ein sehr, sehr wichtiger Punkt. Also genau das, was der Benedikt von Nursia nicht wollte, dass das Essen in den Mittelpunkt rückt. Und man hat sich insofern beholfen, dass man also sehr oft krank geworden ist oder sich zur Ader gelassen hat. Weil in diesen Fällen war der Fleischkonsum erlaubt. Man hat natürlich auch – es hat findige Geistliche gegeben, die also um sozusagen die Brüderschaft da bei Laune zu halten, schlicht und ergreifend Speisen umbenannt hat. Also zum Beispiel: Es war dann plötzlich das Händl ein Fisch oder so, und man konnte es in der Fastenzeit essen.

Weber: Und man ging davon aus, dass Gott nicht merkt, dass das nun doch nicht ganz ein Fisch war.

Haslinger: Na ja. Nachdem er also allwissend ist, glaube ich, hat er das schon gemerkt.

Weber: Es ging wahrscheinlich eher darum, dass irgendwelche Ordensoberen das nicht merken, oder?

Haslinger: Es gab Visitationen in den Klöstern, regelmäßig. Und zwar kamen da die Äbte von anderen Klöstern und haben also nachgeschaut, wie schaut’s aus mit der Disziplin, wie schauts aus in der Küche, wie schauts aus im Vorratsraum – und je nachdem, wie also dieses Urteil ausgefallen ist, hat dann der Abt des betreffenden Klosters ein Lob oder einen Tadel bekommen.

Weber: Sie haben schon gesagt, das Essen war wichtig in den Klöstern. Wahrscheinlich auch wegen der harten körperlichen Arbeit und wenig Heizung und so weiter. Aber war das auch so ein bisschen Ausgleich für den Verzicht auf andere Annehmlichkeiten und auch für den Zölibat?

Haslinger: Natürlich war das sozusagen ein Ersatz für viele Vergnügungen, die man außerhalb des Klosters genießen kann, die die Leute innerhalb des Klosters nicht haben oder nicht haben sollten. Es ist aber auch, das muss man dazu sagen, dieses intensive Beschäftigen mit Essen, mit Küche hat natürlich dazu geführt, dass die Klöster mehr oder weniger die Wiege der europäischen Kochkunst geworden sind.

Weber: Wie kann man sich das vorstellen? So ein Kloster ist doch eigentlich ein ziemlich abgeschiedener Ort. Also wie kam dann das Wissen daraus oder die Rezepte?

Haslinger: Na ja, es gab natürlich bis tief ins 19. Jahrhundert in Europa, auch natürlich in der österreichisch-ungarischen Monarchie keine Hotels, keine Unterkünfte, das heißt also, wenn der Hof, wenn der Adel gereist ist, dann war der sicherste Ort zu übernachten ein Kloster. Und dort ist man bewirtet worden, und der Kaiser oder die Fürsten sind natürlich auch mit ihren Köchen unterwegs gewesen, so dass da unter Umständen auch ein Fachaustausch stattgefunden hat.

Weber: Und der ging dann auch in beide Richtungen? Vielleicht gab es ja auch am Hof erstmal Zutaten, die in den Klöstern noch nicht bekannt waren, Gewürze oder so was?

Haslinger: Das waren vor allem die Kräuter, die die Klöster so wirklich intensiv gepflegt haben, weil gerade die Kräuter ein Gewürzersatz waren, weil Gewürze ja lange Zeit sehr, sehr teuer waren. Also die hat sich ja höchstens ein Fürst oder eben ein Kaiser leisten können. Man hat eben die Heil- und Gartenkräuter wirklich sehr, sehr gepflegt.

Weber: Gibt es denn ein Gericht, von dem jetzt wirklich nachweisbar ist, dass das aus dem Kloster kommt und den Weg bis an den Wiener Hof gefunden hat?

Haslinger: Na ja, diese ganzen Fischspeisen, die in der Fastenzeit zubereitet werden, das sind also Dinge, die sicherlich aus den Klöstern kommen. Die raffinierten Mehlspeisen, wo man versucht hat, also sozusagen zu kaschieren, dass es keine substanzielles Gericht ist, kein Fleisch dabei ist.

Weber: Ich war ja wirklich erstaunt zu lesen, dass die Köche in den Klöstern, also zumindest im frühen Mittelalter noch, antike Kochkunst auch rezipiert haben und auch kulinarische Schriften aus dem arabischen Raum. Das waren also wirklich studierte Leute, die da eingesetzt wurden?

Haslinger: Es ist so, dass – also Sie kennen sicher den Film "Der Name der Rose". Diese Mönche haben sicher Dinge gelesen, die sie eigentlich auf Grund ihres Gelübdes, auf Grund ihrer Lebensphilosophie, die sie haben sollten, eigentlich gar nicht lesen durften. Aber sie haben ja nicht nur die Bücher in Bezug auf Viehzucht oder Fischzucht oder Gemüsebau oder eben Kochkunst gelesen, sondern vieles anderes auch, das an antiken Schriftstellern für uns nicht erhalten geblieben wäre, wenn es nicht in den Klöstern immer wieder abgeschrieben worden wäre.

Weber: Wer hat denn in diesen Klosterküchen gearbeitet oder wer arbeitet dort bis heute? Nur Mönche und nur Männer im Männerkloster? Oder gab es da auch Frauen?

Haslinger: Also im Prinzip sind in den meisten Klöstern meines Wissens derzeit Frauen in der Küche beschäftigt. Die Männer haben im Prinzip mit der Küche sehr wenig zu tun. Es gibt natürlich immer einen Pater Küchenmeister, der sich also um die ganze Organisation kümmert. Aber es hat im 18. Jahrhundert Tendenzen gegeben eben bei diesen Visitationen, dass man die Frauen aus den Klosterküchen sozusagen verdrängt, weil das also unschicklich ist. Aber es ist nicht gelungen, also offensichtlich haben sich keine Männer für diesen … keine Laien, keine Nicht-Mönche für diesen Dienst gefunden. Und es ist also bei den Frauen geblieben. Bei den meisten Klöstern ist es ja ohnehin so, dass der Küchenbereich von der Klausur streng getrennt ist, das heißt also, die Patres haben mit der Küche nichts zu tun. Also in Lilienfeld zum Beispiel gibt es einen Speisenaufzug, das heißt also, die Damen in der Küche bereiten die Speisen vor, stellen das in den Speisenaufzug, und das geht dann hinauf in die Klausur, ins Refektorium.

Weber: Aber gibt es dann wenigstens auch mal ein Lob für eine gelungene Speise oder vielleicht auch Kritik, wenn es nicht so geschmeckt hat? Oder ist da gar keine Kommunikation?

Haslinger: Oh ja, da gibt es eine Kommunikation. Es ist natürlich nicht mehr so streng wie früher, das heißt also, die Patres kommen ja aus der Klausur heraus, die gehen ja auch in den Garten. Die kommen auch zum Teil in die Küche, also um eben mit der Köchin zu reden, weil die … in Lilienfeld es eben der Brauch ist, wenn ein Pater zum Beispiel Namenstag hat, dann darf er sich für diesen Tag ein besonderes Gericht aussuchen.

Weber: So ähnlich wie bei uns zu Hause, wenn die Kinder Geburtstag haben. Sie haben aus diesem Klosterbuch auch wirklich Rezepte für Ihre eigene Küche zu Hause übernommen? Ich meine, das liest sich ja doch nicht ganz so einfach wie ein Kochbuch heute. Da gibt es Begriffe, die unbekannt sind, oder da steht so was wie: Butter wird pflaumig abgetrieben. Ist das für Sie, also die sich da wirklich eingearbeitet haben, jetzt so ein ganz normales Kochbuch geworden?

Haslinger: Also, es ist … ich habe damals bei der Buchpräsentation gesagt: Das Kochbuch kann sich nur jemand kaufen, der wirklich sehr gut kochen kann und der ein bisserl auch sozusagen ein Gefühl hat für diese etwas einfache Sprache der Köchinnen, die das niedergeschrieben haben. Wie gesagt, ich beschäftige mich seit mehr als 20 Jahren auch mit der Geschichte der Kochkunst. Mir sind diese Begriffe natürlich nicht ungeläufig. Aber prinzipiell sollte jemand, der überhaupt nicht kochen kann, nur die Texte lesen und die Rezepte vergessen.

Weber: Und werden die denn in der Klosterküche überhaupt noch verwendet, heute?

Haslinger: Gewisse Rezepte werden heute noch verwendet, aber die Klosterküche ist dort sehr modern geworden, also es gibt dort auch Spaghetti mit Saucen, es gibt dort auch Pizza und solche Dinge. Also es ist nicht mehr diese wirklich eher an die Wiener Küche erinnernde Speisenfolge, die Sie in diesem Buch finden.

Weber: Die muss man ja auch heute nicht mehr parat haben, weil kein Fürst mehr mal eben vorbeischaut und bewirtet werden will.

Haslinger: Das würde ich also nicht sagen. Es gibt immer noch sehr, sehr große Festtage im Jahreslauf des Klosters, aber auch natürlich, wenn Besuch kommt. Also wenn ein anderer Abt kommt, wenn ein Bischof kommt und so weiter. Also es hat mit dem Ende der Monarchie nicht ganz aufgehört, dass Gäste bewirtet werden. Dann gibt es eben eine wesentlich reichere Speisefolge, was weiß ich, mit Braten oder mit gekochtem Rindfleisch.

Weber: Herzlichen Dank, Ingrid Haslinger, Historikerin und Autorin des Buches "Kloster Kulinarium. Aus der Stiftsküche der Lilienfelder Zisterzienser". Erschienen ist es im Mandelbaum Verlag, es hat 269 Seiten und kostet 24,90 Euro.
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