Ein Hort der Bespitzelung

Von Almuth Knigge · 29.11.2005
Die Studie "Zur Geschichte des Literaturzentrums Neubrandenburg" legt Stasi-Verstrickungen bloß. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass das Literaturzentrum ein Hort der Bespitzelung war. Jeder schrieb über jeden meterweise Akten - unter ihnen Brigitte Reimann, mit der die Stadt jetzt Werbung macht, überwachte sich selbst.
Die Geschichte hat Dramatik, sie erzählt von Lügen, Verrat und von falschen Hoffnungen. Stoff für Dichter. Für Jochen Schmidt, stellvertretender Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen ist es noch mehr:

" Für mich ist es vielmehr ein Lehrstück als ein Roman, wenn ich Geschichte, die aufgearbeitet gehört, nicht aufarbeite."

Die Geschichte ist 116 Seiten lang, hat den schlichten Namen "Zur Geschichte des Literaturzentrums Neubrandenburg" und ist eine Studie über dessen Stasi-Verstrickungen. Die Studie, die die Berliner Journalistin Christiane Baumann erstellt hat, wurde vom CDU-Bürgermeister Paul Krüger in Auftrag gegeben, weil es seit 1993 immer wieder Gerüchte darüber gegeben hat, wie sich die Mitglieder des Verbands der Literaten gegenseitig bespitzelten.

Das schlichte Fazit nach der Lektüre: Das Literaturzentrum war ein Hort der Bespitzelung. Jeder schrieb über jeden – meterweise Akten – die Literaturszene in Neubrandenburg - unter ihnen Brigitte Reimann, mit der die Stadt jetzt Werbung macht, überwachte sich selbst. Für Jochen Schmidt steckt in der Geschichte, wie er sagt, darüber hinaus aber noch eine weitere Perversion:

" Brigitte Reimann ist die Schriftstellerin, die in einem großen Akt der Zivilcourage ihre IM-Tätigkeit zumindest halb-öffentlich gemacht hat im Rahmen des Schriftstellerverbandes. Die zwar sozialistische Überzeugungen hatte, aber diesen Schritt nicht gehen wollte. Und diese Biografie, das jemand sagt, es gibt gewisse Grenzen, die man nicht überschreitet. Die sagt, Sozialist bin ich, aber es gibt Grenzen - die liegt jetzt unkommentiert neben ihrem Spitzel Joachim Wohlgemuth - das ist die Dimension und da haben wir es vielleicht mit ner philosopischen Dimension zu tun, aber es ist trotzdem schlimm genug. "

Noch schlimmer aber ist – und das ist der Kern der öffentlichen Debatte – das sich das Literaturzentrum der Diskussion nur unzureichend und viel zu spät gestellt hat. Weil viele der Akteure von damals heute noch aktiv sind. Viele Fragen stehen im Raum. Wie funktionierte der Literaturbetrieb in der DDR. Verfolgen oder fördern. Dichter entdecken oder Denunzianten züchten - was ist die Wahrheit? Und was passiert dann damit?

" Es wäre verkürzt, das ganze auf das Thema Staatssicherheit zu verengen. Es geht um das Thema Literaturproduktion unter den Bedingungen der Diktatur, das ist das Thema, was ansteht und die Stasi-Debatte ist da ein Teil davon. "

Das Literaturzentrum hat nun selber eine Studie erstellt. Spannend ist, zu welchem Ergebnis die Mitglieder kommen werden.

Das Gespräch zum Thema "Anbiedern, Ausspionieren, Denunzieren" mit Joachim Walther finden Sie in der rechten Spalte als Audio.