Ein Hauch von Moll

Rezensiert von Michael Opitz · 22.03.2006
Steffen Mensching ist mit seinem kleinen Gedichtband eine Abschiedssymphonie in Worten gelungen. Unterlegt ist das Ganze mit einem Hauch von Moll, ohne dass die Komposition ins schmachtend Melancholische verfällt. Mit einem Rest von Humor versucht sich der Verlassene zu behaupten.
"Vertraut
Mit Haar
Und Haut,
Mit Haut
Und Haar,
Ganz
Und gar.
"

So lautet das Gedicht, das den Reigen der Liebesgedichte in Steffen Menschings Band Mit Haar und Haut eröffnet. Doch der innigen Zweisamkeit, die in diesem Gedicht beschworen wird, folgen etwa neunzig Gedichte, die vom Abschied handeln. So steht dieses Gedicht seltsam singulär am Beginn, dem ein sehr langes Ende folgt, wenn man so will, ein immer noch dauerndes. Doch verleiht dieses Eröffnungsgedicht, weil es in seiner Kürze alle dem Abschied vorangegangenen Glücksmomente in sich vereint, dem Zyklus eine innere Spannung.

Das lyrische Ich befindet sich nach dem Weggang der Geliebten im freien Fall und stürzt doch immer noch tiefer, wenn es versucht, gegen das Stürzen Halt in den Erinnerungen zu finden. Mensching lässt einen Verlassenen zu Wort kommen, der sich mit dem Verlust nicht abfinden will, und der doch längst auf dem Boden der nackten Tatsachen gelandet ist. Doch während er sich zwingen muss, die Realität zu akzeptieren, folgt er bereitwillig, ja fast erfreut, jeder Erinnerung, die ihm das Gedächtnis schamlos und gänzlich unsensibel von der Geliebten zuspielt.

Das Ich lässt das Gedächtnis gewähren und gestattet es den Erinnerungen, seinen Gegenwartsraum zu besetzen, weil selbst noch der sich daraufhin einstellende Schmerz schöner ist als die trostlos einsame Gegenwart.

Steffen Mensching ist mit diesem kleinen, in jeder Westen- oder Handtasche Platz findenden Gedichtband eine Abschiedssymphonie in Worten gelungen. Unterlegt ist das Ganze mit einem Hauch von Moll, ohne dass die Komposition ins schmachtend Melancholische verfällt. Mit einem Rest von Humor versucht sich der Verlassene zu behaupten, was schwer genug ist, weil auch sein Witz abhanden gekommen ist. "Mein Witz blieb bei dir, auch er / Ist treulos", heißt es in einem Gedicht.

Mancher Fluch wird der Geliebten hinterher geschickt, das lyrische Ich begehrt auf gegen die erfahrene Verletzung, schwört Rache, gibt sich kämpferisch, um sich im nächsten Augenblick unendlich klein zu fühlen und nur noch Kraft für die eigenen Liebeswunden zu haben.

Der Band hat kein Inhaltsverzeichnis, die Gedichte sind kurz, sie lassen einem Gedanken, einer Erinnerung Raum, kreisen aber nicht allein um die ferne Geliebte, sondern das eigene Unglück wird auch ins Verhältnis zu den Katastrophen der Welt gesetzt und dann wiederum fast vergessen, wenn sich das Ich beispielsweise auf Reisen in Italien befindet. Aber eben nur fast, denn immer wieder klopft da wer, aber leider nicht an die Tür, hinter der der Verlassene haust.

Steffen Mensching: Mit Haar und Haut. Liebesgedichte
Aufbau Verlag
Berlin 2006
96 Seiten