Ein Griff in die Mottenkiste

Von Klaus Schroeder · 14.08.2011
Globale Verelendung, steigende Armut, ein wachsendes Unbehagen am Wirtschaftssystem – Fritz Reheis versucht mit "Wo Marx recht hat" insgesamt wenig überraschend dessen Annahme zu begründen, der Kapitalismus zerstöre sich selbst.
Marxisten haben es nicht leicht: Seit über einem Jahrhundert erwarten sie den von Marx prophezeiten Zusammenbruch des Kapitalismus. Jede aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise wurde und wird von ihnen als Schlussakkord eines überholten Wirtschafts- und Gesellschaftssystems gedeutet.

Doch der Kapitalismus in seinen verschiedenen Ausprägungen hat sich als lern- und überlebensfähig erwiesen. Da bleibt den Vertretern der reinen Lehre nur ein trotziges "und Marx hatte doch Recht!" Dies zu belegen, versucht auch der Bamberger Universitätsdozent Fritz Reheis mit einem oberlehrerhaft geschriebenen Buch.
Wie bei Marxisten üblich, konstatiert der Autor - ohne beweiskräftige Belege - rund um den Globus eine zunehmende Verelendung. Es existiere ein Unbehagen am Wirtschaftssystem und weltweit produziere der Kapitalismus immer mehr Arme. Deshalb stelle sich ihm jetzt die grundsätzliche Frage nach einer anderen Form des Wirtschaftens und Lebens.

"Diese Frage wird sehr viel seltener ernsthaft gestellt. Ihre Beantwortung erfordert einen Rückgriff auf eine grundlegend andere Weise des Denkens, einen radikalen Ansatz. Radikal ist ein Denkansatz, wenn er, so die Grunddeutung des Wortes, die Verhältnisse ‘von der Wurzel’ her zu begreifen versucht. Einen solchen Ansatz vertritt Karl Marx."

Selbstverständlich seien große Teile der dominierenden Wirtschaftswissenschaft blind und unfähig, die wahren Probleme von Wirtschaft und Gesellschaft zu diagnostizieren und zu therapieren. Marx dagegen wisse einfach alles.

"Der in Fachdisziplinen aufgegliederte wirtschaftswissenschaftliche Betrieb, der die Welt und den Menschen gnadenlos in Bruchstücke auseinanderreißt, kann genau deshalb Gier und Geiz nicht wirklich erklären. Im Gegensatz zur herrschenden Wirtschaftstheorie beansprucht Marx, von vornherein das Ganze im Blick zu haben."


Der Leser erfährt in schlichten Worten, wie Marx die Welt sah. Reichtum entstünde durch die Ausbeutung von vielen Menschen, die darüber hinaus durch die zunehmende Arbeitsteilung, vor allem die Trennung zwischen Hand- und Kopfarbeit, auch noch allseitig entfremdet würden. Leider durchschauten die meisten Menschen diese Zusammenhänge nicht und entwickelten ein "falsches Bewusstsein". Und von Wissenschaftlern - mit Ausnahme der Marxisten - stünde auch nichts zu erwarten.

"Die private Finanzierung geistiger Arbeit führt Marx zufolge dazu, dass die ‘herrschenden Gedanken’ in aller Regel die ‘Gedanken der Herrschenden’ sind und dazu dienen, die Herrschaft selbst zu rechtfertigen bzw. zu verschleiern."

Der von Marx behauptete Grundwiderspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und dem privaten Charakter der Aneignung der Gewinne könne nur durch die Abschaffung des Kapitalismus und die Aufhebung der Arbeitsteilung gelöst werden.

Der Autor unterstellt den Menschen zudem falsche Bedürfnisse. Der Kapitalismus entmündige die Menschen, und die bürgerliche Ordnung führe zu neuen Unfreiheiten und Ungleichheiten. Ja, der Kapitalismus habe sogar die Aufklärung auf den Kopf gestellt und den Menschen vom Subjekt zum Objekt gemacht.

"Der moderne Mensch, so die Kernthese, ist keineswegs aufgeklärter als der Gläubige einer primitiven Religion. Beide schaffen sich kultische Gegenstände, denen sie Zauberkräfte zusprechen, sehen sich dann gezwungen, ihnen wertvolle Opfer zu bringen, und fürchten schließlich deren Rache, wenn diese Opfer nicht auf Wohlgefallen treffen."

Reheis zweifelt nicht nur an der Wirtschaftsordnung, sondern auch an der Lebensweise der Mehrheit der Bevölkerung.

"Das ist die Botschaft vieler Religionen und Philosophen: Je mehr sich der Mensch in seinem Leben auf den Erwerb materiellen Reichtums konzentriert, desto größer ist die Gefahr, dass er als Mensch verarmt."

Nach der Überwindung des Kapitalismus erwarten uns goldene Zeiten. Der Wohlstand schafft sich quasi von alleine, da die wahren Bedürfnisse zum Tragen kommen und die Marx’sche Utopie "jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!" Realität wird. Die Handarbeiter werden durch Bildungs- und Partizipationsmöglichkeiten zur Kopfarbeit befähigt, die Kopfarbeiter bekommen einen dauerhaften praktischen Bezug zur Handarbeit.

Das erinnert zwar an die von Mao inszenierte blutige "Kulturrevolution", führt nach Meinung des Autors jedoch zu einer "wechselseitigen Befruchtung von Individuum und Gesellschaft". Der entmündigte Mensch würde zum Souverän seines Lebens und Marxisten wie der Autor können sich endlich nützlichen Dingen zuwenden und als Vorarbeiter in die Fabrik gehen.

Kritik am Marxismus oder auch nur die Zurückweisung von Kritik enthält das Buch nicht. Dabei sind die Kerne der Marx’schen Theorie - die Arbeitswerttheorie und der tendenzielle Fall der Profitrate - theoretisch umstritten und empirisch nicht belegbar. Unbeantwortet bleiben auch Fragen, warum sich Massenmörder wie Stalin, Mao oder Pol Pot auf Marx beriefen, oder warum seine Theorie ideologische Grundlage der menschenverachtenden SED-Diktatur war.

Der in der DDR geläufige Spruch "Die Lehren von Marx und Engels sind allmächtig, weil sie wahr sind" zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Wieder einmal zeigt sich, warum es so schwer ist, sich mit Marxisten auseinanderzusetzen: Sie wähnen sich im Besitz der letzten Wahrheit und meinen, mit ihrer "Theorie" alles erklären zu können. Da die Grundannahmen axiomatisch gesetzt sind und dadurch nicht hinterfragt werden können, immunisiert sich der Marxismus gegen jegliche Kritik. Letztlich ist er eben doch mehr Ideologie als Wissenschaft. Und dieses Buch wirkt wie ein Griff in die Mottenkiste. Nein, Marx hat nicht recht - und hatte es nie.

Fritz Reheis: Wo Marx recht hat
Primus Verlag Darmstadt, 2011
Buchcover: „Wo Marx recht hat“ von Fritz Reheis
Buchcover: „Wo Marx recht hat“ von Fritz Reheis.© Primus Verlag
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