Ein goldenes Zeitalter für Muslime und Christen?

Von Anne Francoise Weber · 26.01.2013
Vor zwei Jahren haben mutige Frauen und Männer in Ägypten einen Diktator gestürzt. Heute sind die Muslimbrüder an der Macht. Und was sie aus dem Land machen wollen, ist noch unklar. In diesem Land voller Hoffnung und Angst lebt das deutsch-ägyptische Theologenpaar Eva und David Gabra.
"Das Verbindende ist einmal unsere Theologie, und ich glaube, das bleibt sie auch, dass wir unsere Arbeit gegenseitig bereichern. Wir machen ja auch viel gemeinsam, wir haben ja auch viele ökumenische Veranstaltungen zusammen gemacht. Aber ansonsten sind wir wie alle anderen hier auch diesem Experiment der interkulturellen Heirat und Familiengründung ausgeliefert."

Eva Gabra weiß, wovon sie spricht. Die 30-jährige evangelische Theologin aus Remscheid ist mit dem ägyptischen Pfarrer David Gabra verheiratet und lebt seit bald zwei Jahren mit ihm und einem kleinen Sohn im Badeort Hurghada am Roten Meer. Im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland betreut Eva Gabra dort deutsche Touristen, Rentner und Frauen, die mit Ägyptern verheiratet sind. Für ihre Gottesdienste verfügt Eva Gabra über keine eigene Kirche - doch ihrem Mann David geht es da nicht anders:

"Ich arbeite hier seit sieben Jahren, seit vier Jahren ist meine Gemeinde in Hurghada offiziell anerkannt. Wir haben von der Regierung Land für eine Kirche bekommen, aber seit drei Jahren bemühe ich mich um die nötigen Papiere - niemand will mir die Genehmigung zum Kirchbau geben. Aber wir haben ein Gebäude von unserem Verein für Sozialarbeit, da gibt es einen großen Saal, den ich für meine Gottesdienste nutze."

Der 33-jährige David Gabra ist Pfarrer der Evangelischen Kirche in Ägypten - die größte unter einem guten Dutzend protestantischer Gruppierungen im Land. Manchmal werden die Protestanten in Ägypten auch als Kopten bezeichnet, doch mit der koptischen-orthodoxen Kirche teilt die Kirche von David Gabra, die auf presbyterianische Missionare aus den USA zurück geht, nur wenig - nicht die liturgische Sprache und auch nicht die politische Haltung.

David Gabra: "Vom ersten Tag der Revolution an war die evangelische Kirche beteiligt. Wir haben eine große Kirche am Tahrir-Platz, die sah es als ihre Aufgabe, mitzumachen - im Gegensatz zu anderen Kirchen, die die Revolution von Anfang bis zum Rücktritt von Hosni Mubarak abgelehnt und das Regime unterstützt haben. Sie brachten Christen in eine sehr schwierige Lage gegenüber anderen Ägyptern."

Bis heute ist David Gabra, der in seiner Kirche für interreligiöse und internationale Beziehungen zuständig ist, stark politisch engagiert. Für seine Überzeugung, dass Kirche auch Verantwortung für das Gemeinwesen übernehmen muss, zieht er gern den Theologen Dietrich Bonhoeffer heran, über dessen Ethik er zurzeit promoviert. Als sich Eva und David Gabra vor sechs Jahren im theologischen Seminar in Kairo kennenlernten, war das zunächst ein großer Streitpunkt zwischen den beiden - schließlich hatte Bonhoeffer gegen den Nationalsozialismus gekämpft:

Eva Gabra: "Also ich als deutsche Theologin habe immer gesagt: Bonhoeffer und seine Theologie, das ist ganz stark nur in seiner Zeit zu sehen. Und wie jetzt plötzlich jemand aus dem Nahen Osten seine Situation der Christen hier und der politischen Veränderungen und Strukturen mit dieser Theologie mischt - da habe ich am Anfang immer gedacht, das geht nicht, denn das ist nur in diesem Kontext zu sehen. Und hab auf einmal irgendwann gemerkt: es ist total spannend, in diesem anderen Kontext diese Theologie noch einmal ganz neu aufleuchten zu lassen."

David Gabra: "Das Wichtigste bei Bonhoeffer ist, dass die Kirche sich nicht entfernt von weltlichen Leiden und Herausforderungen, sondern Kirche im Herzen der Welt ist. Seit Beginn der orthodoxen Kirche hier in Ägypten ging es darum, irgendwie vor der Welt zu flüchten. Man ging in die Wüste, um mit Gott allein zu sein. Für eine spirituelle Person geht es also darum, weit weg zu sein von den wirklichen Problemen der Welt."

Eine "Kirche in der Welt" anzustreben bedeutet für David Gabra aber nicht, die Religion über alles bestimmen zu lassen. Im Gegenteil: Er setzt sich für einen völlig säkularen Staat ein, in dem auch das Ehe- und Familienrecht nicht nach Religionen unterschiedlich gehandhabt wird - aber er weiß, dass diese Position auch unter Christen in Ägypten nicht viele Anhänger hat.

David Gabra: "Wie es für die Mehrheit der Muslime wichtig ist, dass ein goldenes islamisches Zeitalter kommt, ist es für Christen ein Traum, dass das christliche goldene Zeitalter zurückkommt. Darunter verstehen sie Unterschiedliches. Besonders für orthodoxe Christen ist es die Zeit des 4.,5. und 6. Jahrhunderts, als es hier eine koptische Herrschaft gab. Aber viele evangelikale Christen, und zunehmend auch orthodoxe, glauben, das goldene Zeitalter stehe erst noch bevor und Gott werde kommen und etwas Besonderes mit dem Land machen."

Auch vor diesem Hintergrund steht David Gabra missionarischen Anstrengungen evangelikaler Christen zwiespältig gegenüber. Einerseits sei es natürlich wichtig, die Gute Nachricht zu verbreiten. Andererseits bestehe eben die Gefahr religiöser Konflikte. Schon jetzt sind die Beziehungen zwischen Muslimen und Christen in Ägypten ziemlich angespannt - mancherorts, bemüht sich Eva Gabra zu betonen:

"Es ist ganz schwierig, die Lage zu durchschauen. Ich kann von mir selbst sagen, dass ich mich nicht bedroht fühle. Ich glaube, dass diese Bedrohungen ernst zu nehmen sind, die Menschen empfinden das und haben auch ihre Gründe dafür, das ist auf keinen Fall niederzureden, dass das nicht existent ist. Für mich wäre eigentlich mal interessanter zu hinterfragen, wo kommt das her, wer macht das, wer steckt dahinter. Denn das sind einzelne Strömungen, die die Christen bedrohen, und warum und wo kommt das her."

Und: Eva und David Gabra kennen auch Gegenbeispiele: muslimisch-christliche Zusammenschlüsse, bewegende Begegnungen bei Dialogveranstaltungen oder einfach gute Nachbarschaftsbeziehungen.

Seit den Wahlerfolgen der Islamisten hätten die Angriffe auf Kirchen besonders in Oberägypten und im Nildelta allerdings zugenommen, sagt David Gabra. Nach ihrem Engagement in der Revolution würden sich viele Christen inzwischen wieder mehr zurück ziehen und sich als diskriminierte Minderheit fühlen, die um ihr Überleben kämpfen muss Eine Haltung, die Eva Gabra bedenklich scheint:

"Auch das finde ich eine schwierige Bewegung, dass als einen Kampf zu sehen, statt sich zu fragen, wie können wir uns eigentlich für mehr Integration und Stärkung der säkularen Kräfte stark machen, auch in der breiten Bevölkerung stark machen, statt der breiten Bevölkerung fast das christliche Märtyrertum zu predigen, wie ich manchmal den Eindruck habe."

Auch wenn ihr die theologischen Ansätze manchmal fremd sind - bei ihren koptisch-orthodoxen Amtskollegen erlebt Eva Gabra viel Positives. Im benachbarten Badeort El Gouna hält sie einmal im Monat Gottesdienst in deren Kirche.

Eva Gabra: "Ich mache Gottesdienst als Frau in einer koptisch-orthodoxen Kirche. Mehr Entgegenkommen, Toleranz und Offenheit kann ich nicht verlangen. Das ist eigentlich unglaublich, dass das möglich ist. Ich darf ja offiziell gar nicht in den heiligen Bereich, und sie öffnen mir ihre Tür und ihren Altarraum, dass ich da Gottesdienst mache. Und da kann ich nur sagen: Hut ab, das ist super!"
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