Ein glühender Vulkan

09.10.2012
Wenn man die Neuseeländerin Janet Frame liest, tritt man ein in eine fremde Welt, in beunruhigende Träume, beklemmende Ängste, in Zwänge und Zusammenbrüche. Und in eine Welt voller Mut und Ausbruchslust.
Da sie das so ärmliche wie seelenkarge Leben in ihrer Familie schwer erträgt, sich fremd und einsam fühlt, flieht Janet Frame in das wüste Land, wie sie es einmal nannte, in das Land der Fantasie. Hier hofft sie auf Erlösung. Die Flucht in erfundene Welten rettet sie davor, innerlich zu zerbrechen und entfremdet sie zugleich ihrer Umgebung noch mehr.

Man hört ihr zu und schüttelt den Kopf. Denn sie sieht, hört, spricht anders, benutzt merkwürdige Worte, Metaphern, Bilder. Dazu ist sie noch krankhaft schüchtern und meistert den spröden Alltag nicht. Eine geborene Außenseiterin. Als sie versucht, sich mit Aspirin das Leben zu nehmen, wird sie zum ersten Mal in eine geschlossene Anstalt eingeliefert und wird immer wieder für viele Jahre in verriegelten Höllen zubringen müssen. 200 ungedrosselte Behandlungen mit Elektroschocks, schreibt sie, habe sie während dieser Aufenthalte erhalten. Heute gilt Janet Frame als eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen unserer Zeit.

1924 in Dunnedin, Neuseeland, geboren und 2004 eben dort gestorben, wuchs sie mit vielen Geschwistern als Tochter eines Lokführers auf. Die Familie wird vom Unglück verfolgt. Zwei Schwestern ertrinken. Ein Bruder leidet an schwerer Epilepsie. Janet ist schizophren. Heißt es. Erst Jahre später bestätigt ihr ein Neurologe in London, dass sie nie an dieser Krankheit gelitten habe.
Einmal ist diese wunderbare Poetin fast einem Hirnchirurgen unters Messer geraten. Er wollte eine Lobotomie vornehmen. Eine Operation, bei der Nervenbahnen im Hirn zerschnitten werden, um die Patienten ruhig zu stellen. Eine Art Persönlichkeitsauslöschung. Ein Literaturpreis, schreibt sie, habe sie gerettet.

Ob es wirklich so war? Es gibt Vermutungen, dass ihre Romane autobiographischer seinen als ihre offizielle Autobiographie. Ihre "entzündeten Erinnerungen" nehmen in allen ihren Schriften Platz.
Einer ihrer Romane -"Dem neuen Sommer entgegen"- durfte erst nach ihrem Tod veröffentlicht werden, weil sie das Buch zu privat fand, zu intim.

So müssen wir wohl, um uns ein Bild von dieser so sprachdichten Literatin machen zu können, möglichst viele ihrer Bücher lesen. Dürfen sie lesen. Denn Janet Frame ist eine Entdeckung wert. Drei ihrer zwölf Romane sind gerade bei C.H.Beck in einem Schuber erschienen.

Wenn man Janet Frame liest, tritt man ein in eine fremde Welt, in beunruhigende Träume, beklemmende Ängste, in Zwänge und Zusammenbrüche. Und in eine Welt voller Mut und Ausbruchslust. Eine Welt der magischen Worte über die Fremdheit im Leben, das Singen der Eisenbahnschienen, die paradiesische Wolkenweichheit, über Frames Dasein als gefiederter Zugvogel. Es ist die Suche nach einem Ort für sich, die diese Schriftstellerin so schmerzlich wie staunend erzählt.

Janet Frame übt sich im harmlosen Geplauder, um nur nicht aufzufallen und wieder als geisteskrank angesehen zu werden. Versteckt sich hinter extremer Willfährigkeit. Ein Schattenmensch - von außen betrachtet. Innen ein glühender Vulkan. Was für eine Lektüre.

Besprochen von Gabriele v. Arnim

Janet Frame: Ein Engel an meiner Tafel. Eine Autobiographie
Aus dem Englischen von Lilian Faschinger, C.H.Beck Verlag, München 2012, 288 Seiten, 19,95 Euro (Der Schuber mit drei Romanen: 39.95 Euro)

Programmhinweis: Bücherherbst 2012
Am 13.10.2012 sendet Deutschlandradio Kultur ab 23.05 Uhr eine dreistündige Sendung von der Internationalen Frankfurter Buchmesse. Neun Autorinnen und Autoren mit ihren Neuerscheinungen in Lesung und Gespräch. (u.a. Karen Duve, Anna Enquist, Sabrina Janesch, Bodo Kirchhoff, Anthony McCarten und Anne Weber)

Links auf dradio.de:

- Einst waren wir Krieger - Die Lange Nacht über neuseeländische Literatur
- Meisterwerk literarischer Innenschau - Janet Frame: "Dem neuen Sommer entgegen"
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