Ein gespaltenes Verhältnis

Von Jörg Taszman · 16.01.2006
Der Film "Ein ganz gewöhnlicher Jude" nach dem Buch von Charles Lewinsky schildert die Gefühlswelt eines nach 1945 in Deutschland geborenen Juden. Der hat so seine Probleme mit der political correctness der Deutschen und ein mehr als gespaltenes Verhätnis zu seiner Heimat. Dieser Emanuel Goldfarb wird dargestellt von Ben Becker.
Ben Becker: "Ich bin Jude. Nicht beschnitten, aber ich habe mich damit weiter auch nie auseinandergesetzt. Aber das war irgendwie schon ganz spannend, sich dann doch mal mit der, in Anführungsstrichen, eigenen Geschichte doch einmal auseinanderzusetzen. Also warum ist meine Mutter in Dänemark zur Schule gegangen? Was war mit Oma los? Warum haben sie die irgendwann einmal abgeholt und so weiter. Wie gesagt ich bin antireligiös oder atheístisch oder gar nicht erzogen worden, weiß ich nicht. Auf jeden Fall, das einmal näher zu betrachten, dieses Thema, war dann doch ganz spannend. "

Ben Becker spielt Emanuel Goldfarb, einen Journalisten und Juden, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist. Goldfarb setzt sich mit der Einladung eines Lehrers auseinander, der sich ein "Mitglied der Religionsgemeinschaft jüdischer Mitbürger" für seinen Unterricht wünscht. Das bringt Goldfarb zunächst in Rage.

"Sehen Sie, Herr Gebhard, schon deshalb möchte ich ihre freundliche Einladung nicht annehmen, weil mich so vorsichtige Formulierungen immer gleich so furchtbar aggressiv machen. Mitglied ihrer Religionsgemeinschaft jüdischer Mitbürger. Jude heißt das, ganz einfach Jude. Sie wollen mit ihren Schülern darüber reden, und ihre Finger weigern sich das Wort in den Computer einzutippen. Wieso? Jude ist kein Schimpfwort. Ihre political correctness hat da keinen Platz. Jude zu sein ist keine Behinderung, an die man nicht gerne erinnert wird. Es ist… Wenn ich selber wüsste, was es eigentlich ist."

Jude zu sein in Deutschland, das ist eben nicht normal und in 90 dichten, manchmal auch anstrengenden Minuten reflektiert der von Ben Becker immer unter Strom stehende Goldfarb über sein Jüdisch-Sein. Dabei regt ihn alles auf. Die Philosemiten, die Toleranten, alle, die in nach seiner Haltung zu Israel fragen. Es fällt schwer, diese Person zunächst sympathisch zu finden, und Ben Becker will mit seinem Spiel diese Figur auch nur interpretieren, nicht mit ihr gleichgesetzt werden.

Becker: "Ich… finde auch nicht jeden Satz toll, den der von sich gibt. Ich habe auch über einige Sätze lange nachgedacht und habe gedacht, wie mache ich die. Ich habe dann zum Glück für mich versucht, die wertungsfrei hinzustellen. Also wenn ich das gewertet hätte, was der sagt, hätte ich, glaube ich, was diese Rolle angeht, einen Fehler gemacht. Und diesen Fehler habe ich glücklicherweise nicht gemacht. Ich habe mich aber durchaus damit auseinandergesetzt und hatte auch große Probleme am Anfang, diese Rolle überhaupt anzunehmen."

Ben Becker gelingt es fast immer, das Interesse an dieser Figur beim Zuschauer wach zu halten, auch wenn es fast naturbedingt in 90 Minuten Monolog weniger interessante Momente gibt. Die Schwierigkeit bestand darin, sich immer wieder Stimmungswechseln hinzugeben und gegen ein gewisses Ben-Becker-Image anzuspielen. Das war auch Regisseur Oliver Hirschbiegel bewusst, der seine Besetzungsmotive Revue passieren lässt.
Oliver Hirschbiegel: "Es gab am Ende eine Liste mit zehn Schauspielern, von denen Ben eigentlich die sperrigste Wahl war. Auf Grund seines Aussehens, wenn man klischeehaft denkt, sieht er nicht aus wie ein Jude, obwohl er einer ist, und obwohl wir wissen, dass es viele blonde und auch rothaarige Juden gibt, aber dennoch hat man das Bild im Kopf und das wollt ich auch vermeiden. Dann ist der Ben auch ein Schauspieler, der auffällt durch eine ungeheure Kraft und ungeheure Präsenz auf der Bühne genauso wie im Film und ich habe da immer eine unglaubliche Sensibilität gesehen, eine Zartheit gesehen, irgendwelche Ängste gesehen, und ich habe mir immer gesagt, ich will mit dem endlich arbeiten, da möchte ich hin."

Oliver Hirschbiegel wollte "Ein ganz gewöhnlicher Jude" ursprünglich noch vor "Der Untergang" drehen, schaffte es dann jedoch zeitlich nicht. Mit diesem Kammerspiel, das vom Fernsehen finanziert wurde, beweist Hirschbiegel wieder einmal seine Vielseitigkeit. Noch in diesem Jahr wird sein erster Hollywoodfilm mit Nicole Kidman in die Kinos kommen, aber Hirschbiegel wäre auch jeder Zeit bereit, einen kleinen Thriller für das Fernsehen zu drehen.

Hirschbiegel: "Ich will auch, und das ist themen- und inhaltsunabhängig, auch wenn ich Fernsehen mache, immer Kino machen. Das bedeutet, dass du den Zuschauer vergessen machst, dass er einem Film beiwohnt, dass er auf der Leinwand irgendetwas sieht. Ich will, dass der sich komplett vergisst und in der Geschichte, und in den Figuren, die er sieht, aufgeht. Und das ist hier genauso das Ziel gewesen, wie in allen anderen Filmen, die ich gemacht habe."