Ein Gericht als Kunstzensor

Robert Baag im Gespräch mit Susanne Führer · 12.07.2010
Ein russisches Gericht hat erstmals zwei Ausstellungsmacher verurteilt, weil sie mit der Ausstellung "Verbotene Kunst 2006" an religiösen Tabus gerüttelt haben. "Dieses Gericht hat damit klargemacht, dass es sich zum Zensor über Kunst aufspielt", sagt Deutschlandradio-Korrespondent Robert Baag.
Susanne Führer: Und heute Mittag ist das Urteil ergangen, die Angeklagten wurden schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe verurteilt. Über die Gründe und die Folgen will ich nun mit Robert Baag sprechen, unserem Korrespondenten in Moskau, guten Tag, Herr Baag!

Robert Baag: Guten Tag, Frau Führer!

Führer: Tja, das Gericht hat die beiden Angeklagten also zu einer Geldstrafe verurteilt, einige Tausend Euro müssen sie zahlen – immerhin. Das sind nicht drei Jahre Lagerhaft, aber sie wurden doch für schuldig befunden. Hat das Gericht irgendeine Begründung abgegeben?

Baag: Nun die Begründung, die dauerte insgesamt zweieinhalb Stunden und das bei 40 Grad Raumtemperatur in einem Raum, der etwa 50 Quadratmeter gemessen hat, und geschätzte 60 bis 70 fast ausschließlich Journalisten waren in diesem Raum – man muss es sagen – zusammengepfercht. Die Richterin verlas dieses Urteil, nein sie flüsterte es eigentlich, man hörte es kaum, ab und zu ließen sich Stichworte erkennen, es sei also der Tatbestand der religiösen Verunglimpfung, Aufwiegelung zur nationalen Zwietracht seien enthalten in den Exponaten ...

Also, im Wesentlichen ist in zweieinhalb Stunden noch einmal ausgebreitet worden, was wir eben gerade in dem Vorsetzer gehört haben. Das heißt, das Gericht hat sich eigentlich schon im Kern zu eigen gemacht, was die Staatsanwaltschaft gefordert hat in ihrem Strafantrag, nur ist sie natürlich im Strafmaß weit darunter geblieben.

Beobachter empfinden das Ganze hier eigentlich als eine Art Wackelkompromiss, der folgendermaßen aussehen könnte oder den man so beschreiben könnte: Dieses Urteil signalisiert zweierlei, erstens ein Signal Richtung Westen – das ist zum Beispiel auch die Auffassung von Viktor Jerofejew, das ist der bekannte Schriftsteller und Bruder von Andrej Jerofejew, des einen Angeklagten. Das heißt, dem Westen soll damit zu verstehen gegeben werden, "es wird alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird", in Anführungszeichen, obwohl, wie gesagt, einige Tausend Euro Geldstrafe ist auch hier in Russland eine Menge Geld.

Das heißt wie gesagt, dass man sagt, gut, wir vom Staat, wir gehen also nicht so weit, dass wir der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht vorschreiben, dass man diese beiden jetzt auf die Lagerbretter schicken muss, wiewohl Protestierer des rechten nationalistischen Lagers vor dem Gerichtsgebäude dies lautstark forderten.

Auf der anderen Seite – und das ist das erheblich Schwerere oder sagen wir, das Bedeutendere an diesem Urteil –, das Gericht, das ja in Russland sehr oft auf staatliche Signale reagiert oder geleitet wird, so hat es ja die Vergangenheit erwiesen, dieses Gericht hat damit klargemacht, dass es sich zum Zensor über Kunst aufspielt, und das ist natürlich alles andere als ein gutes Zeichen.

Führer: Das Gericht hat klargemacht, dass es sich zum Zensor der Kunst aufspielt. Wer steckt denn eigentlich hinter der Klage sozusagen, wer dann der Urheber war dafür, sich als Zensor aufzuspielen?

Baag: Das ist ein gewisser Oleg Kassin, Frau Führer, im Prinzip eine bedeutungslose Figur, aber er ist für das rechte Lager hier, für das rechtsextreme nationalistische, antisemitische Lager, ist er als Klageführer aufgetreten und dieser Mann hat eine farbige Vita. Er war zum Beispiel auch schon mal Vizevorsitzender der Vereinigung Nationale Einheit, Russische Nationale Einheit, RNE, ein wirklich obskurer Verein, von dem auch einige sich heute wieder vor dem Gerichtsgebäude eingefunden hatten, ich sagte es ja vorhin schon. Das sind Leute, die zum Teil Sympathien bis in die höchsten Kirchenkreise hinein besitzen, in Milizkreise hinein besitzen, also Polizeikreise ... Und RNE ist zwar verboten worden, aber das heißt nicht, dass man sich nicht doch gewisse Netzwerke in die Administration, in die Bürokratie hineingeknüpft hat und weiter beibehält.

Führer: Aber es ging ja um Religion und um die Kirche. Welche Rolle hat die orthodoxe Kirche hier gespielt?

Baag: Die orthodoxe Kirche spielt offiziell hier keine Rolle, aber wohl wie gesagt offiziell. Es ist so, dass sich zu diesem Prozess der Metropolit Kyrill – also vergleichbar von der Funktion her, entfernt vergleichbar mit dem katholischen Papst für die Katholiken, für die russisch-orthodoxen ist das also Kyrill –, der hat sich zu diesem Prozess überhaupt nicht geäußert, hat sich allerdings auch nicht distanziert von diesen rechtsgewirkten, ja, man sagt hier: Fundamentalisten, einige reden sogar von "russisch-orthodoxen Taliban", auch das in Anführungszeichen zu lesen natürlich, die diese Symbiose herstellen wollen, dass ein echter Russe nur jemand sein kann, der auch russisch-orthodox ist – einigermaßen lächerlich in einem Land wie der russischen Föderation, wo es also verschiedene Religionen gibt, und jeder ist laut Pass und Staatsangehörigkeit natürlich Russe. Also wir haben Kaukasier, die Muslime sind, wir haben Kalmücken, die Buddhisten sind, wir haben Naturreligionen im hohen Norden ...

All dies ist natürlich von dieser großrussischen Idee, die von diesen Herrschaften gerne vertreten wird, einigermaßen widersprüchlich. Aber ich glaube, mit Vernunftgründen kommt man daran, kommt man sowieso nicht an diese Menschen heran.

Nein, ich glaube, das Wichtige bei dieser Geschichte ist, wir haben nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hier in Russland doch ein gewisses ideologisches Vakuum gehabt und die Kirche, die ja schon in historischen Zeiten, also noch vor sowjetischen Zeiten sich ja immer mit dem Staat als Eins gesehen hat, eine Symbiose vorhanden war, ist drauf und dran, diesen Platz wieder einzunehmen. Und eine Theorie, der ich Einiges abgewinnen kann, die sagt, die russisch-orthodoxe Religion, die Amtskirche hier in Russland, wird im Zusammenspiel mit der Politik gerne als so eine Art ja geistig-ideologisches Korsett oder Wirbelsäule gesehen für diese Gesellschaft hier und man ist dabei, die Rolle der Kirche zu stärken. Und wenn solche Rechtsradikalen mit religiösem Anspruch sagen, dass Russland gleich russisch-orthodox ist, dann ist das diesen Apologeten nicht ganz unrecht.

Führer: Herr Baag, Sie haben vorhin den Schriftsteller Jerofejew zitiert, der Bruder eines der Angeklagten, der hat auch vor dem Prozess gesagt, dieser Prozess sei ein Signal an alle Künstler, die orthodoxe Kirche soll unangetastet bleiben. Sie haben jetzt gesagt, das ist auch ein Signal des Gerichtes, das Gericht befindet darüber, welche Kunst erlaubt ist oder nicht. Also scheint mir die logische Folgerung: Um die Freiheit der Kunst in Russland ist es nicht mehr so besonders gut bestellt jetzt?

Baag: Vor allem dann nicht, wenn wie gesagt orthodoxe Symbolik, Ikonographie, solche Dinge zum Gegenstand der Kunst gemacht wird, also Installationen, in denen religiöse Motive auftauchen. Wer das vorhat hier in Russland, der muss aufpassen nicht zuletzt vor dem Hintergrund des heutigen Urteils, das beide Seiten, zumindest was die Angeklagten oder die Schuldiggesprochenen angeht – sie wollen ja in Berufung gehen, denn sie wollen natürlich dieses Verdikt nicht auf sich sitzen lassen.

Bislang ist noch nicht bekannt, wie die Staatsanwaltschaft reagieren wird. Allerdings kann man, könnte man interpretieren, wenn die Staatsanwaltschaft sich mit diesem Urteil zufriedengibt, dass das dann wiederum ein kleines Signal ist, dass man sagt: Also, bevor wir solche Klagen wieder zulassen wie gegen die beiden, wollen wir doch mal ganz genau wissen, dass uns dann, zumindest was die Außenwirkung im Ausland angeht, nicht allzu viel Ärger entsteht.

Man sollte nicht vergessen, dass natürlich Präsident Medwedew vor allen Dingen seit einiger Zeit, seit einigen Monaten so eine Art Offensive, politische Offensive, PR auch macht, wo man das doch etwas schräge Bild Russlands, das sich in den letzten Jahren auch entwickelt hat, was Zensur angeht, was Verfolgung Andersdenkender angeht, dass man dieses korrigieren will, weil Russland natürlich auf Modernisierung angewiesen ist, man will und muss mit dem Westen zusammenarbeiten. Und dann sind solche Urteile wie heute natürlich kontraproduktiv und haben damit auch eine mittelbare bis entfernte politische Sprengkraft.

Führer: Robert Baag war das, unser Russlandkorrespondent live aus Moskau. Herzlichen Dank, Herr Baag, für die Information!
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