Zum Tod von Schriftsteller Ror Wolf

Ein genialer Außenseiter

05:53 Minuten
Ein schwarz-weiß Porträt des deutschen Schriftstellers Ror Wolf aus dem Jahr 1996.
Er galt als Außenseiter in der Literatur und erhielt doch zahlreiche Preise: Der Schriftsteller und Künstler Ror Wolf ist nun verstorben. © laif / SZ Photo/ Anita Schiffer-Fuchs
Von André Hatting · 18.02.2020
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Bizarr, surreal, grotesk: Ror Wolf machte aus Fußball Hörkunst, schuf Kurzgeschichten, Lyrik und Papiercollagen. Er passte in keine Schublade, wurde vielfach ausgezeichnet - nun ist der Sprachartist und Künstler mit 87 Jahren gestorben.
Die Außenseiter sind es, die neue Kontinente der Literatur entdecken. Autoren, die in keine Schublade passen und keiner Schule angehören. Zu diesen genialen Außenseitern gehörte zeitlebens Ror Wolf.
Wolf war der erste deutsche Schriftsteller, der den Fußball zur Hörkunst erhoben hat. Anfang der 1970er-Jahre taucht er mit Aufnahmegerät in den Kosmos der Kicker, sammelt Stimmen und Stimmungen von Experten am Spielfeldrand und denen vor dem Mikrofon.

In die Bibliothek des Vaters vertieft

Ror Wolfs Fußballcollagen für den Hörfunk sind einerseits amüsante Dokumente des Zeitgeistes. Sie sind andererseits aber auch eine großartige Huldigung des Trivialen. Genau das war Wolfs Programm:
"Jedes triviale Thema ist für mich in der Regel geeignet, um daraus Literatur zu machen", sagte er. "Ein Gedicht zu machen, eine Geschichte zu schreiben und so weiter. Da habe ich überhaupt keine Hemmungen. Das ist klar. Das war mir immer klar."
Die Fußballhörspiele sind zwar Wolfs bekannteste Arbeiten. Aber sie waren nur eine Station in seinem langen Künstlerleben.
1932 wird Ror Wolf als Richard Georg Wolf in Thüringen geboren. Seine Eltern führen in Saalfeld ein Schuhgeschäft. Die Familie hat Geld, aber das bedeutet dem jungen Richard nicht viel. Ganz anders die Bibliothek seines Vaters.
"Sehr entscheidend für mich, sehr entscheidend! Mein Vater hatte da etwas getan, was ich ihm gar nicht hoch genug anrechnen kann. Er hatte, glaube ich, in Saalfeld die einzige richtige Bibliothek. Ich kann Ihnen nicht genau sagen, ob er diese Bücher wirklich gelesen hat. Ich habe sie irgendwann angefangen zu lesen."

Studium in der DDR verweigert

Daraus entsteht der Wunsch, Literaturwissenschaft zu studieren. Aber die gutbürgerlichen Wolfs sind der DDR-Führung suspekt. Der Sohn darf nicht an die Uni. Also wird er zunächst Betonbauer in der Maxhütte. 1953, kurz nach dem Arbeiteraufstand, verlässt er die DDR.
"Mir kam das immer noch so vor wie ein Obrigkeitsstaat", sagte Wolf. Gerade in der Kultur habe es ein "Obrigkeitsverhalten" gegeben. "In diesem Obrigkeitsverhalten war wichtig, dass man das lesen durfte, was die Obrigkeit befahl oder empfahl. Und das nicht, was sie ablehnte."
Also sei ihm als zukünftiger Schriftsteller klar gewesen, "dass ich nur das schreiben konnte und schreiben musste, was die Obrigkeit mir nahelegte." Das habe er "nun wirklich nicht" gewollt.

Selbstbehauptung gegen das Absurde dieser Welt

Der musikbegeisterte Ror Wolf zieht nach Frankfurt am Main, in die damalige Jazzhauptstadt. Er studiert unter anderem bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Als Redakteur der Studentenzeitschrift "Diskus" veröffentlicht Wolf Ende der 50er-Jahre seine ersten literarischen Texte. Es sind bizarre Kurzgeschichten, die sich einer klaren Verortung entziehen. Surreal, grotesk, kafkaesk.
"1957 hatte ich eine Doktorarbeit bei einem mir sehr sympathischen Professor. Der fragte mich: 'Worüber wollen Sie denn schreiben?' - 'Ich möchte schreiben: Humor bei Kafka.' Es gibt da eben noch eine andere Form von Komik. Und das nennt man Groteske."
Grotesk, in jedem Fall tragikomisch ist auch die Lyrik von Wolf. Hans Waldmann, dieser Nachfahre von Morgensterns "Palmström", ist dabei seine wichtigste Figur. Ein halbes Jahrhundert und mehr als hundert Gedichte lang wird Waldmann den Lyriker begleiten. Er ist Wolfs Selbstbehauptung gegen das Absurde dieser Welt.

Rückzug und weitere Preise

Ror Wolf war aber nicht nur ein avantgardistischer Hörspielautor und witziger Lyriker. Er war auch bildender Künstler. Mehr als 5000 Papiercollagen hat er zusammengestellt, sich die Welt aus zerschnittenen alten Lexika und Enzyklopädien neu zusammengesetzt.
2001 ändert sich schlagartig alles. Nach einer schweren Krebsoperation wollen die Hände nicht mehr richtig. Wolf zieht sich geschwächt in seine Mainzer Wohnung zurück. Er bleibt dauerhaft in Behandlung, kann keine großen Reisen mehr machen. Der Günter-Eich-Preis 2015 in Leipzig für sein Hörspiel-Lebenswerk wird ihm in Abwesenheit verliehen.
Ein Jahr später kommt der Schiller-Gedächtnis-Preis hinzu. 2018 erhält Wolf schließlich noch den Rainer-Malkowski-Preis. Es ist seine insgesamt 25. Auszeichnung. Nur die eine, die wichtigste, die ist nicht darunter: der Georg-Büchner-Preis. Aber so ist das manchmal mit den genialen Außenseitern in der Literatur.
Ror Wolf hat es mit Humor genommen. So wie sein eigenes Ende. Das hat er mal so auf den Punkt gebracht: "Ich glaube nicht an den Tod."

Ein Fundstück zu Ror Wolf hören Sie hier:
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