Ein Gemüse-Großhändler kämpft ums Überleben

Marcus Fuhrmann gibt nicht auf

07:14 Minuten
Der Gemüse-Großhändler Marcus Fuhrmann steht im Lager.
Großhändler Marcus Fuhrmann: Die Rücklagen von 300.000 Euro sind aufgebraucht. © Deutschlandradio / Kristina Hüttl
Von Kristina Hüttl · 10.07.2020
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Er wird auch der "Bauch von Berlin" genannt - der Großmarkt am Westhafen. Dort kaufen Hotels und Restaurants, Krankenhäuser, Kantinen und Mensen Lebensmittel ein. Wegen Corona ist das Geschäft eingebrochen - mit teils drastischen Folgen.
In der auf neun Grad heruntergekühlten Halle des Berliner Fruchthofs steht Marcus Fuhrmann mit einer Körperspannung, als ob er gerade den Return beim Tennis erwarten würde. Doch da kommt kein Ball zurück - sondern Rollwagen um Rollwagen ziehen vorbei, beladen mit Obst- und Gemüsekisten, die zu den Lkws vor der Lagerhalle dirigiert werden.
"Da hinten in der Ecke haben wir Orangen, also Zitrusfrüchte, Zitronen, Orangen, Grapefruit, daneben Melonen. Also alles, was die Gastronomie so benötigt."
Nicht nur der angespannte, federnde Gang erinnert an den Tennislehrer, der Marcus Fuhrmann mit Mitte 20 mal war. Auch die leichte Bräune, in der sich nun mit Mitte 50 hellere Fältchen absetzen, die weißen Zähne, die beim Lachen aufblitzen.
Der heute 54-Jährige ist Großhändler für Obst- und Gemüse - und zwar nicht einer, der Supermärkte und Marktstände beliefert. Seine Kunden kommen hauptsächlich aus der Gastronomie - sehr zahlreich bis zum Ausbruch der Coronakrise.

Umsatzeinbruch von 95 Prozent

"Das war das große Problem. Nachdem sämtliche gastronomischen Betriebe geschlossen wurden, hatten wir einen unglaublichen Einbruch. Wir waren bei fünf Prozent von dem, was gewesen ist, und das war wirklich schrecklich. Mein Vater, der dieses Unternehmen gegründet hat, ist zusammengebrochen. Das war immer sein drittes Kind, neben meiner Schwester und mir - und der dachte wirklich: Jetzt ist alles vorbei."
Die weißen Lkws der Firma beliefern normalerweise täglich bis zu 150 Kunden in Berlin und Brandenburg. Man sieht sie vor dem Hyatt, dem Adlon oder dem Estrell-Hotel. Aber auch vor der Currybude, die Zwiebeln braucht, genauso wie vor dem Spitzenrestaurant, dessen Küche fürs Menü Topinambur wünscht.
1996 ist Marcus Fuhrmann mit knapp 30 ins Familienunternehmen eingestiegen. Etwas, was er nie wollte. Wenn er als Jugendlicher nach Mitternacht von einer Party nach Hause kam, kam es nicht selten vor, dass er seinen Vater traf.
"Und dann stand er da, und wir haben beide Zähne geputzt. Er musste los. Ich bin ins Bett. Da habe ich immer gesagt: Wenn ich das mal mache, dann wirst du sehen: Ich fange um sieben oder acht an."

Viele Gaststätten stehen vor dem Aus

Daraus wurde nichts, denn am Rhythmus eines Großhändlers mit verderblicher Ware lässt sich nichts ändern. Abends bestellen die Kunden, nachts kommt die Ware, morgens ab 4 Uhr werden Listen verteilt und Kisten gepackt. Heute leitet Marcus Fuhrmann das Unternehmen. Kein leichter Job, schon vor Corona.
"Dadurch, dass unsere Kunden fast täglich bestellen, müssen wir täglich aufpassen, dass die Kunden nicht woanders kaufen. Ich bekomme täglich Listen mit allen Kunden, die nicht gekauft haben. Da muss ich mich dann darum kümmern - also wieder hinfahren, um zu fragen: Warum? Wieso, weshalb? Was haben wir getan?"
Entschädigt hat Marcus Fuhrmann bisher der Erfolg: Die Firma hat 35 Mitarbeiter, 300 Kunden, 1.500 Produkte auf 2.000 Quadratmetern Lagerhalle.
Doch aus dem täglichen Kampf ist seit Ausbruch des Coronavirus ein Überlebenskampf geworden. Zurzeit schickt der Familienvater wochenweise abwechselnd die Hälfte der Mitarbeiter in Kurzarbeit. Die Hälfte der Fahrzeugflotte ist abgemeldet, der Kundenstamm hat sich vorerst halbiert.
Blick auf die, in Kisten gestapelten, Waren des Großmarktes in der Beusselstraße
Großmarkt Beusselstraße in Berlin: Abhängig von Hotels, Gaststätten und Restaurants.© laif / Kathrin Harms
Wie viele Hotels, Restaurants am Ende überleben und weiterhin Ware auf dem Großmarkt bestellen werden, kann keiner sagen. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband schätzt, dass maximal 70 Prozent die Krise überstehen.
"Ich glaube, dass die Großen mehr Schwierigkeiten haben werden als die Kleinen. Bei den Kleinen sind die Kosten übersichtlich, und die können auch spontaner reagieren, wenn irgendwas wieder passieren sollte. Da sind die Wege einfach viel, viel kürzer."

300.000 Euro an Rücklagen sind aufgebraucht

300.000 Euro an Rücklagen - über 40 Jahre erwirtschaftet - hat den Händler bisher die Coronakrise gekostet. Einfach weg. Den entgangenen Umsatz der letzten Monate hat er noch nicht einmal eingerechnet.
"Das wird nicht mehr nachholbar sein, die Restaurants werden jetzt nicht voller. Die Hotels werden jetzt nicht voller als vorher, es ist einfach weg. Das ist vorbei. Eine zweite Welle wäre fürchterlich. Wir würden das in dem Maße nicht nochmal schaffen."
Angefangen hatte sein Vater Dieter Fuhrmann, gelernter Hotelkaufmann, 1977 mit einem VW-Bus, mit dem er im Westteil der geteilten Stadt die Kunden belieferte. "Interzonenhandel" hieß das damals, weil jede Tomate, Birne oder Apfel über zwei Grenzen gekarrt werden musste.

Früher besiegelte man mit Handschlag

Der Junior Chef sitzt jetzt in einem Bürocontainer, der in der Ecke der Kühlhalle steht. Er hat ein Büchlein geholt - "ein Buch, das ich gerne zu Kunden mitnehme", sagt er. Darin ist die Firmengeschichte mit Fotos dokumentiert. Auf einem erkennt man den Vater:
"Er war noch ein alter Kaufmann, der mit Handschlag besiegelt hat. Wenn er sagte, das wird so gemacht, dann wurde es auch so gemacht."
Im vergangenen Mai ist Dieter Fuhrmann, der Firmengründer, verstorben. Nicht an Corona, sondern an einer nicht-erkannten Lungenentzündung. 79 Jahre alt ist er geworden. Ein Foto von ihm, schwarz gerahmt, hängt nun an der Containerwand.
Marcus Fuhrmann ist sich sicher, dass die Sorgen nach dem Lockdown den Tod des Vaters zumindest beschleunigt haben:
"Er hat mich bestimmt zehnmal am Tag angerufen und hat mir erzählt, er hat jetzt nochmal gerechnet, hier und da, hin und her. Wir schaffen es nicht. Am nächsten Tag kam dann, wir haben es doch wieder geschafft."

Der Tod des Vaters als Ansporn

Für ihn, den Sohn, war der Verlust Ansporn, die Firma am Leben zu erhalten. Zwei Stunden, nachdem Mutter, Schwester und er am Totenbett auseinandergegangen waren, saß er wieder hier im Container, setzte einen Brief an die Kunden auf, führte Telefonate, bezahlte offene Rechnungen.
Von einigen Mittelstandskollegen aus dem Großmarkt war viel Unmut zu hören. Geschimpft wurde auf den Berliner Senat, der Soloselbstständigen und Firmen mit bis zu zehn Mitarbeitern Soforthilfen gewährte, größeren Firmen aber nur Kredite anbot.

Jetzt heißt es: umdenken

Marcus Fuhrmann mag keine Schulden machen, er hat stets alle Rechnungen bezahlt, nicht mal die Hallenmiete - wie angeboten - gestundet. Sein Steuerberater prüft jedoch gerade, ob er auf die neue, vom Wirtschaftsministerium aufgelegte Corona-Überbrückungshilfe für Mittelständler Anspruch hat.
Auch die Kurzarbeit sei eine tolle Sache, sagt Fuhrmann, er ist dankbar dafür. Aber zu seinem Verständnis als Unternehmer gehört auch, dass man sich auf nichts und niemanden als sich selbst verlässt. Weil er erst in zwei Jahren mit Umsätzen wie vor Corona rechnet, heißt das nun: umdenken.
"Deswegen sind wir ja auch Unternehmer. Wir müssen etwas unternehmen, vielleicht müssen wir sogar die Lager kleiner machen - das liegt ja dann an uns. Da ist jeder für sich selber verantwortlich. Nicht die Schuld immer auf die Anderen schieben. Unser Unternehmen hat bisher gutes Geld verdient, aber jetzt müssen wir dann auch sehen, wie es anders geht. Deswegen machen wir das ja."
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