Ein Gefühl wie in einer Folterkammer

Von Anette Schneider · 30.07.2010
Die libanesisch-palästinensische Künstlerin Mona Hatoum beschäftigt sich in Skulpturen, Performances und Installationen mit Gewalt und Macht. Anlässlich der Auszeichnung mit dem Käthe-Kollwitz-Preis sind ihre Arbeiten in der Akademie der Künste Berlin zu sehen.
Mona Hatoum geht barfuß und mit schleppendem Gang eine Hauptstraße entlang, dabei ein Paar große Soldatenstiefel hinter sich herschleifend, die mit den Schnürsenkeln an ihren Knöcheln befestigt sind.

Die Arbeit "Roadworks” eröffnet die Ausstellung. Sie entstand 1985 im englischen Exil und ist eine der Schlüsselarbeiten Mona Hatoums, zeigt sie doch, dass man in der Fremde die Heimat nicht einfach abschütteln kann, dass man die Erfahrung von Krieg und Gewalt mit sich schleppt wie eine schwere Last. So auch Mona Hatoum: 1952 im Libanon geboren, reiste die Palästinenserin 1975 nach London, um Kunst zu studieren. Kaum angekommen, begann der Libanonkrieg, London wurde - bis heute - zu ihrem Exil, und sie politisch: Kriegerische und alltägliche Gewalt, Folter, offener und latenter Rassismus ziehen sich wie ein blutiger Faden durch ihr Werk.

Für diese Vorstellung einer sich einmischenden Kunst erhält sie nun den Käthe Kollwitz-Preis, so Robert Kudielka, Direktor der Sektion Bildende Kunst, und einer der drei Juroren:

Robert Kudielka: "Das ist ganz sicher der erste Grund gewesen. Ihre Ingeniosität besteht ja darin, mit einfachen Mitteln, die sie sehr stark konzeptionell durchdacht hat, uns das nahezubringen, ohne selber in der Kunst gewalttätig zu sein. Ihre Arbeiten sind ja eher still, nicht? Aber genau dadurch wird die Darstellung von Gewalt eigentlich zwingend und überzeugend. Nicht dass sie gewaltig mit den Mitteln umgeht."

Bis in die 80er Jahre hinein machte Mona Hatoum vor allem politische Performances und Videos. Seit den 90er Jahren entstehen oft raumgreifende Installationen, in denen sie vertraute Alltagsgegenstände in Objekte des Schreckens wandelt.

Sie setzt eine Kücheneinrichtung unter knisternden Starkstrom. Baut, nach einem Foto, das sie in einem Gefängnis in Philadelphia machte, übereinandergestapelte Eisenbetten ohne Auflagemöglichkeit für Matratzen. Lässt die Sitzflächen zweier metallener Schaukeln messerscharf auslaufen und erzählt so von Folter, menschenverachtender "Menschenverwahrung”, zementierten Frauenrollen. Oder sie stellt, wie jetzt in der Akademie, einen übermannshohen Paravent auf: Die Form ästhetisch-klar, das Ganze aus Stahl, und wie eine riesige Reibe, versehen mit scharfen, aufgerissenen Löchern.

Mona Hatoum: "Material und Form sind sehr wichtig für meine Arbeit. Ich versuche, mein Anliegen durch die formale Qualität zu artikulieren: Die Suche und Auswahl eines Materials ist auch das, was mir am meisten Freude bereitet: rumlaufen, Materialien entdecken. Ich mag die Kälte von Stahl. Die Tatsache, dass man einen stählernen Paravent hat, mit diesen aufgerissenen Löchern, der - anstatt zu schützen, - einem das Gefühl vermittelt, den Raum um einen herum aggressiv aufzureißen."

Eine der ersten Arbeiten, in der Mona Hatoum einen Alltagsgegenstand aufgriff und zur Hölle umgestaltete, war ein Kinderbett, das 2004 im Rahmen der ersten bundesdeutschen Einzelausstellung der Künstlerin in Hamburg zu sehen war: Mit hohem Gitter, auf Rollen und wieder aus Stahl.

Mona Hatoum: "Ein Kinderbett steht eigentlich für Sicherheit und Schutz. Doch ich baute es komplett aus Stahl, damit es diese Kälte vermittelt. Und statt einer soliden Unterlage für die Matratze verwendete ich sehr dünne, sehr scharfe Drähte, die einen zerteilen können wie ein Eierzerschneider. So entsteht das Gefühl von Aggression, von einer gefährlichen Situation."

Ein Gefühl, wie in einer Folterkammer.
Schon 1983 griff Mona Hatoum das Thema auf: In ihrer Performance "Der Verhandlungstisch” legte sie sich in einem abgedunkelten Raum, in dem nur eine nackte Glühbirne brannte, in einen mit Blut und Eingeweiden gefüllten Leichensack auf einen Tisch. Aus dem Off ertönten Nachrichten über Kriege, dazu das Friedensgerede führender Politiker. Brutaler lässt sich der Zustand der Welt kaum fassen.

Diese Schärfe erreichen ihre jüngsten Arbeiten, die den Schwerpunkt der Akademie-Ausstellung bilden, nicht: Der riesige Rosenkranz aus Kanonenkugeln, oder der mannshohe Globus, dessen Längengrade Gefängnisstäben gleichen, wirken im Vergleich zu früheren Arbeiten zu schnell durchschaubar und zu wenig assoziativ. Vielleicht liegt es daran, dass Mona Hatoum seit nunmehr 30 Jahren um Bilder ringt, die gesellschaftliche Macht und Gewalt spiegeln, die zeigen, dass die Verhältnisse, die sie einst ins Exil zwangen, sich nicht geändert haben, und auch im Rest der Welt die Verhältnisse nicht menschlicher wurden.

Dass sie dennoch unermüdlich weiterhin Kunst macht, die stört, schmerzt, beunruhigt, und unsere Augen öffnet für das, was hinter der glänzenden Fassade bürgerlicher Gesellschaften lauert, hätte den Käthe-Kollwitz-Preis schon viel früher verdient.