"Ein ganz bedeutender Autor"

Moderation: Frank Meyer · 25.10.2007
Der Präsident der Akademie für Sprache und Dichtung, Klaus Reichert, hat Kritik bei der Vergabe des Büchner-Preises an den Schriftsteller Martin Mosebach zurückgewiesen. "Das ist Unsinn", sagte Reichert zu der Aussage der Literaturkritikerin Sigrid Löffler, die Mosebach "Manieriertheit" vorgeworfen hatte.
Meyer: Nicht nur hier im Deutschlandradio Kultur, sondern auch in der aktuellen Ausgabe ihrer Zeitschrift "Literaturen" kritisiert Sigrid Löfflerdie Entscheidung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, den Büchner-Preis an Martin Mosebach zu verleihen, und zwar sehr prominent in der Titelgeschichte von "Literaturen". Prof. Klaus Reichert ist jetzt für uns am Telefon, der Präsident dieser Akademie. Klaus Reichert, was sagen Sie zu dem Vorwurf von Sigrid Löffler, hier wird bei Martin Mosebach eine Gesinnung ausgezeichnet?

Klaus Reichert: Das kann man so überhaupt nicht sagen! Die Gesinnung der Autoren interessiert uns nicht, dafür sind wir nicht zuständig, sondern wir beurteilen das literarische Werk und vergeben danach – nach langen Diskussionen übrigens, hin und her – den Preis. Die Vorwürfe von Frau Löffler, also Antimodernismus, Poseur, Hochstapelei, Manierismus, Plüsch, kann man alle zurückweisen. Sie stellt diese Wörter in den Raum, ohne auch nur eine einzige Analyse einer Passage – und dazu wäre ja Raum gewesen in ihrer eigenen Zeitschrift "Literaturen" – vorzunehmen und es genau am Text zu belegen. Man kann in jedem einzelnen Punkt sagen, das ist Unsinn. Der Antimodernismus ist auch etwas, was man nicht so pauschal stehen lassen darf. Eine Modernismuskritik gibt es spätestens seit Adornos und Horkheimers "Dialektik der Aufklärung". Es ist in den 80er Jahren, 90er Jahren sehr deutlich kritisiert worden, wie die Soll- und Habenseite der sogenannten Moderne überhaupt aussieht. Und in dieser Richtung arbeitet auch Mosebach. Er ist kein Mensch, der sich irgendwelches Bildungsgut angelesen hat, sondern er ist ein durch und durch von der abendländischen und morgenländischen Tradition und Kultur durchdrungener Mann, der sich das alles selber erarbeitet hat. Er ist einer der gebildetsten Leute.

Meyer: Klaus Reichert, die Beobachtung von Sigrid Löffler, dass in den Feuilletons dann in den Reaktionen auf die Bekanntgabe, dass Martin Mosebach den Büchner-Preis bekommt, dass da vor allem die antimodernistische, die kulturpessimistische Haltung dieses Autors gewürdigt wurde und weniger seine literarischen Verdienste – haben Sie diese Beobachtung auch gemacht?

Klaus Reichert: Nein, man kann ja auch lesen, wie die Feuilletons auf seine Bücher reagiert haben, wie sie sie besprochen haben, wie sie sie analysiert haben und gezeigt haben, dass es ein ganz bedeutender Autor ist, der mit bestimmten literarischen Formen spielt, der sie alle beherrscht, der vorzeigt, was man mit denen machen kann. Und der Vorwurf des Manierten, es gibt genauso gut so viele ganz knappe, außerordentlich witzige Sätze, die überhaupt nichts an Manieriertheit, Verzopftheit oder so haben.

Meyer: Wobei man auf den Vorwurf ja öfter stößt. Eine andere wichtige Kritikerin, Iris Radisch, Literaturchefin der Wochenzeitung "Die Zeit", also eine der entscheidenden Figuren im Literaturbetrieb in diesem Land, die hat den literarischen Stil von Martin Mosebach auch als manieriert-verschmockten Erzählstil der vorletzten Jahrhundertwende bezeichnet. Sie sagt, das ist bildungsbürgerliche Schönschreiberei, eine alteuropäische Kostbarkeits-Suada. Macht Sie so was nachdenklich, wenn Sie das lesen und dann an Ihre Preisvergabe denken?

Klaus Reichert: Eigentlich nicht. Ich meine, wir haben eine Kommission, die aus neun Leuten besteht, und dazu gehören berühmte, hervorragende Literaturkritiker. Wir machen uns solche Entscheidungen nicht leicht. Wir diskutieren stundenlang, haben eine Liste mit acht oder zehn Kandidaten, und nach verschiedenen Wahlvorgängen bleibt dann einer übrig. Es hätte auch ein anderer sein können. Aber in diesem Fall stehen wir natürlich voll zu dieser Entscheidung. Und es gibt auch hymnische Rezensionen, auch über das letzte Buch. Und vergessen Sie nicht, es ist ja auch unter den fünf letzten Titeln gewesen für diesen Buchpreis, der bei der Frankfurter Buchmesse verliehen wird. Und das sind, ich weiß nicht wie viele Kritiker gewesen, die sich entschieden haben, Mosebachs letzten kleinen Roman bis in die Endentscheidung aufzunehmen. Das sind ja auch keine Nichtse, die diese Urteile gefällt haben.

Meyer: In der "Süddeutschen Zeitung" hat Alexander Kissler schon mal so ein bisschen vorausgedacht und nachgedacht über die Preisvergabe dann an Martin Mosebach, also die Zeremonie selbst. Dazu gehört ja, dass die Preisträger dann über Georg Büchner nachdenken, eine Rede halten, die mit diesem Autor zu tun hat. Und er schreibt da in der "Süddeutschen Zeitung": "Das wird ein herausforderndes Unterfangen, scheinen doch der Rebell aus den Vormärztagen" – also Georg Büchner – "und der spätmoderne Chronist eines antriebslosen Bürgertums Antipoden zu sein." Und ich muss sagen, das geht mir spontan auch so, dass ich Martin Mosebach und Georg Büchner nun überhaupt nicht zusammen denken kann. Wie geht Ihnen das?

Klaus Reichert: Ja, da müssen Sie einfach mal sehen, was Martin Mosebach damit macht. Ich meine, er ist ein so glänzender Essayist, dass ich sicher bin, dass er eine fulminante Rede halten wird, wo er seine Auseinandersetzung mit Büchner – also ich rede jetzt nicht vom Politiker Büchner, sondern von dem großen Stilisten Büchner, Stilist im "Woyzeck", im "Dantons Tod", im "Lenz" –, dass er dort sozusagen den Handschuh aufnimmt und sich mit Büchner auseinandersetzt. Er wird sich da ganz bestimmt nicht drücken, so wie ich ihn kenne, aber ich kenne selber die Rede noch nicht.

Meyer: Der Hintergrund der Vorwürfe von Sigrid Löffler ist ja sicher, das hat sie auch angesprochen, dass sie so einen Wandel beobachtet in Feuilleton- und Kulturbetrieb in Deutschland, einen konservativen Wandel. Sie als Präsident einer ganz wichtigen deutschen Akademie, sehen Sie diesen Wandel auch?

Klaus Reichert: Also ich würde das nicht so scharf sehen. Ob dass der Fall ist, ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Es ist sicher so, letztes Jahr, als wir den Oskar Pastior auszeichneten, da war die Stimmung der Presse außerordentlich missgünstig der Akademie gegenüber. In der "FAZ" konnte man lesen, es sei eine feige Entscheidung gewesen. Aber auch da standen wir ganz und gar hinter unserem Büchner-Preisträger, der nun sozusagen das andere Extrem dieses Spektrums der Büchner-Preisträger dargestellt hat, ein experimenteller Dichter. Nun, Mosebach, nächstes Jahr, ich weiß es nicht. Ich wurde schon gefragt, bedeutet denn die Wahl Mosebachs, dass da eine Trendwende in der Büchner-Preis-Politik sich abzeichnet? Ich sage, es gibt überhaupt keine Büchner-Preis-Politik. Wir haben acht bis zehn Leute, diskutieren sie alle durch, sehr geduldig, sehr lang, und sehen dann, wer herauskommt. Wir können nie voraussagen, ob nächstes Jahr ein sagen wir traditioneller Erzähler oder ein experimenteller Poet ausgezeichnet wird.

Meyer: Und eine letzte Frage noch mal zu Sigrid Löffler: Sie hat ja ihrerseits nun wieder heftige Vorwürfe geerntet wegen ihrer Angriffe auf den Büchner-Preisträger. Das Magazin "Focus" schreibt da, Sigrid Löffler würde Literaturkritik als Gesinnungs-Mobbing betreiben, sie würde in eine logopädische Lynchlaune gegen Martin Mosebach geraten. Was sagen Sie, ist Sigrid Löffler für Sie zu weit gegangen?

Klaus Reichert: Was ich ihr vorwerfe, ist, dass sie sich nicht wirklich auseinandersetzt mit dem erzählerischen Werk, sondern so ein paar Schlagworte – verzopft, manieristisch usw. – in den Raum stellt, und dass sie auf der anderen Seite sich mit dem, wenn sie schon über den Konservativismus von Mosebach reden möchte, sich nicht wirklich mit den Dingen, die er geschrieben hat, auseinandersetzt. Es ist eine Denunziation zu sagen, sein Buch "Häresie der Formlosigkeit" sei in einem obskuren Wiener Verlag erschienen. Sicher, da ist eine erste Auflage erschienen. Inzwischen ist es bei Hanser, in wenigen Monaten hat es fünf Auflagen davon gegeben. Es ist ein so gründlich argumentierendes Buch, was sich mit diesem Modernisierungsschub in der Kirche auseinandersetzt und ihn zurückweist mit Argumenten, die etwas zu tun haben mit den Grundlagen der katholischen Kirche. Ich bin kein Katholik, ich bin überhaupt kein Christ, mich interessiert aber die Argumentation, mit der er zeigt, wie eine Institution sich durch permanente Modernisierungsschübe selbst den Garaus macht auf lange Sicht hin. Und das, finde ich, hätte Frau Löffler gründlich lesen müssen, anstatt einfach nur zu sagen, das ist in einem obskuren Wiener Verlag erschienen.

Meyer: Am Samstag wird der Georg-Büchner-Preis an Martin Mosebach verliehen. Und über die Kritik von Sigrid Löffler an dieser Preisverleihung habe ich mit dem Präsidenten der Akademie, mit Klaus Reichert gesprochen. Vielen Dank für das Gespräch!

Klaus Reichert: Bitte sehr!
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