Ein "Friend" für alle Fälle

Von Michael Engel |
Verglichen mit der Zahl der eingesetzten Industrieroboter gibt es nach einer aktuellen Studie der "International Federation of Robotics" bislang nur eine geringe Anzahl von Servicerobotern – zum Beispiel Reinigungsroboter, Roboter in der Bauwirtschaft oder Melkroboter für den Landwirt.
Doch gerade diesen Robotern, die auch unter dem Begriff "Assistenzroboter" firmieren, wird ein enormes Entwicklungspotential bescheinigt – insbesondere mit Blick auf den Gesundheitsmarkt. So sollen Roboter zum Beispiel Senioren bei der Arbeit im Haushalt helfen, Staub saugen, und auch schwerbehinderte Menschen sind eine Zielgruppe für die Robotik-Ingenieure. In einem Reha-Zentrum in Bremen hilft ein Assistenzroboter schon beim Servieren von Mahlzeiten. Der Automat kann die Patienten sogar füttern – bisher nur zu Forschungszwecken. Es handelt sich nämlich um einen Prototypen.

Die Flügeltür zum Reha-Zentrum öffnet sich automatisch. Arthur Morisse rollt herein. Der 72-Jährige ist wegen einer Muskelerkrankung an den Rollstuhl gefesselt. Normalerweise steht Ergotherapie auf dem Programm. Heute stellt er sich als "Versuchsperson" zur Verfügung.

"So, dann wollen wir wieder mal auf den Feuerstuhl."

Der "Feuerstuhl", von dem der Rentner spricht, ist ein Roboter, der Menschen mit Handicaps mehr Unabhängigkeit bieten soll: Im Prinzip ein Rollstuhl mit einem Roboterarm, der seitlich neben der Tischplatte aus dem Rollstuhl herausragt. Behutsam heben drei Studierende der Uni Bremen den Schwerbehinderten in das sonderbare Gefährt. Arthur Morisse nimmt es gelassen.

"Haben Sie heute ein Kotelett mitgebracht?"

Kotelett steht heute nicht auf dem Speiseplan, sondern Reis. Und "Friend" – so der Name des Roboters - soll die "Versuchsperson" füttern.

Wie von Geisterhand gesteuert öffnet sich die Tür der Mikrowelle. Der Roboterarm schiebt mit seinen metallischen Greifern die Fertignahrung hinein, schließt das Gerät. Nun dauert es ein paar Sekunden bis ein Klingelzeichen signalisiert, dass die Mahlzeit heiß ist. Ein wenig maschinenhaft, mit eckigen Bewegungen, ergreift die Roboterhand den Teller, während ein Lautsprecher im Rollstuhl ertönt.

"Aufgabe 5: Mahlzeit aus Ofen nehmen, abstellen, gestartet."

Nun ist ein Reisgericht, noch dazu ohne Fleischbeilage, nicht gerade das, was Arthur Morisse gerne mag. Doch deswegen ist er schließlich nicht gekommen. Vielmehr geht es um "Friend", dem Roboter, und die Computerstimme macht deutlich, dass es gleich losgeht.

"Aufgabe 6. Essen gestartet."
Behutsam, fast schon provozierend langsam, greift die elektronisch gesteuerte Hand zum Löffel ... während Thorsten Heyer – einer der drei Absolventen vom Institut für Automation – präzise Protokoll führt.

"Jetzt wird der Greifer den Löffel in den Teller bewegen und jetzt etwas Mahlzeit aufnehmen, und anschließend dem Benutzer reichen."

Der "Benutzer" – das ist natürlich Arthur Morisse – der nun leicht mürrisch reagiert. Nicht, weil die Koteletts fehlen. Vielmehr dauert ihm alles viel zu lange. Im Schneckentempo bewegt sich der Löffel Richtung Mund. Großen Hunger darf man hier nicht haben.

"Ach, die Idee ist nicht schlecht, wenn einem so geholfen werden kann. Ohne Pflegepersonal. Das wäre ja gut. Aber das ist noch nicht ausgereift."

"Zu langsam, zu unbeholfen", kritisiert der 72-Jährige und wirkt dabei ein wenig genervt. Thorsten Heyer, ein hochgeschossener junger Mann, der seine Doktorarbeit mit der Entwicklung des Roboters verknüpft, ist mit seinen Versuchen aber noch nicht zu Ende. Arthur Morisse möchte bitte noch etwas trinken.

"Der Roboter nimmt die Flasche aus dem Kühlschrank, die Flasche muss in diesem Fall aber auf sein, weil mit der heutigen Technik ist es noch nicht möglich, Schraubverschlüsse mit einem Roboterarm zu öffnen. Dann wird das Glas erfolgreich auf dem Tablett des Rollstuhls erkannt, und der Roboterarm bewegt die Flasche in eine geeignete Position, und schenkt die Flüssigkeit aus der Flasche genau in das Glas."

Thorsten Heyer hat mit "Friend" noch viel vor. Später einmal soll der Roboter den Fernseher bedienen, Bücher und Zeitschriften aus dem Regal holen, Rundumservice bieten.

"Das Ziel des Projektes ist es, dass man mehrfach behinderten Menschen die Möglichkeit gibt, bestimmte Aufgaben im täglichen Leben wirklich selbstbestimmt und vollkommen autonom durchzuführen. Bisher ist es immer nötig, dass ein Pfleger dabei ist. Man muss jedes Mal fragen, wenn irgendetwas gemacht werden soll. Man muss den Pfleger um einen Gefallen bitten."

Die Befehle erhält der Roboter vom Rollstuhlfahrer mit der Computermaus. Arthur Morisse macht das mit der Hand. Später einmal soll ein sogenannter "Kinnjoystick" montiert werden, für Schwerstbehinderte, die nur noch ihren Kopf bewegen können.

"Zum Anfang, klar, da ist vielleicht fremd alles, aber es gibt eben eine Eingewöhnungsphase und irgendwann – denke ich mal – wird es kein Problem sein."

Probleme indes könnte es auf anderen Gebieten geben. Etwa bei der Frage nach dem menschlichen Pflegepersonal, wenn Roboter mehr und mehr um sich greifen. Ergotherapeutin Sabine Vanselow, die den Testlauf mit dem Service-Roboter begleitet, macht sich da so ihre Gedanken.

"Das wäre fürchterlich, wenn jetzt hier nur Roboter stehen würden und die Leute füttern würden, und die Personen alleine ihren Alltag bewältigen müssen. Also das wäre eine ganz fürchterlich Vorstellung. Mein Wunsch ist, dass vielleicht kleine Dinge der Roboter übernehmen kann."

Der Roboter, dein Freund und Helfer? Ob es wirklich einmal dazu kommt, im Altenheim oder zu Hause, ist wohl nur eine Frage der Zeit. Noch sind die Systeme unerschwinglich und wirken eher "hölzern". Dass sie uns eines Tages pflegen werden, ist gleichwohl gewiss. Vor allem, wenn sie preiswerter sind als die menschlichen Konkurrenz.