Ein friedlicher Vorort zum Gruseln

05.04.2011
Denn Cheever blickt mit glaskaltem Blick hinter die Fassaden einer betuchten Vorortgesellschaft. Doch der Autor schreibt mit Witz über die Schwächen und Tücken seiner Protagonisten, so dass man immer wieder lachen muss.
Schon die ersten Sätze durchleuchten und entlarven den friedlichen Vorort, in dem Paul Hammer ein Haus kaufen will. Hinter den harmlosen Fassaden und pünktlichen Zugfahrten zum Job in die Stadt, lauern Elend, Sucht und Verzweiflung. Wovon Mr. Hammer natürlich nichts weiß. Und wüsste er es, würde es ihn weder erstaunen noch stören. Doch das wiederum können wir noch nicht ahnen.

Er kauft und trifft beim ersten Kirchbesuch auf seinen Nachbarn Mr. Nailles – Hammer and Nailles, Hammer und Nagel als Nachbarn - man ahnt Scherze, vielleicht eine Freundschaft. Bald laden die Hammers die Nailles zum Abendessen ein - ein Debakel von erlesener Peinlichkeit, weil die schöne Frau Hammer unschön betrunken und lauthals bösartig ist.

Danach hören wir eine ganze Weile nichts mehr von Paul Hammer. Dafür viel von Nailles und seiner Frau Nellie, die Mutter seines Sohnes, eine untadelige Hausfrau mit begehrenswerten Schenkeln.
Ein perfektes Leben also. Frau, Haus, Sohn – alles bestens vorzeigbar.

Bis eines Tages der Sohn sich weigert, aus dem Bett zu steigen. Und nun entfaltet sich nach und nach ein typisches Cheever-Szenario. Den man nicht ohne Grund gern den "Chechov der Vororte" nannte.

Denn Cheever hat mit glühender Neugier und glaskaltem Blick hinter die Fassaden der betuchten Vorortgesellschaft gespäht und Wohlstandsgrusel entdeckt. Hat die braven Bewohner hinter den glatten Mauern als wunderliche, angstgetriebene Menschennarren demaskiert.

Und so kriechen wir auch in diesem Roman mit dem Autor hinter das gutbürgerliche Blendwerk der Nailles. Lesen von Seelenkargheit und unbeholfener Erziehung, von der Bedrängung des Sohnes, sich einzufügen in Konventionen. Er müsse endlich mal was Nützliches lernen und tun, brüllt der Vater ihn eines Tages an. "So wie du?", fragt der Sohn zurück, "Mundwasser verkaufen?" Das ist zu viel. Das ist der wunde Punkt in Nailles Leben, und fast erschlägt er den Jungen mit seinem Golfschläger.
Tony geht daraufhin ins Bett und steht nicht wieder auf. Und Nailles entwickelt Phobien, beispielsweise gegen den Vorortzug, in den er tagtäglich steigen muss. Er fängt an, Psychodrogen zu schlucken, wird süchtig und muss sich die Pillen alsbald von schmierigen Leuten an schmierigen Ecken für viel zu viel Geld besorgen.

Auch Hammer tritt wieder in Erscheinung, mit einer bizarren Lebensgeschichte und verhängnisvoller Lebensleere – und mit einem scheußlichen Mordplan, der hier nicht verraten sei. Auch er ein unglückseliger Mensch.

Cheevers eigentliches Thema ist immer wieder die Angst vor dem Erkennen des bedrohlich gähnenden Lebensschlundes. Die Angst vor der Leere, der Traurigkeit, der Sinnlosigkeit. Und er weiß, wovon er spricht. Kämpfte er doch selber immer wieder mit seinen Dämonen und notiert in seinem Tagebuch den unaufhaltbaren Abstieg in die Hölle von Alkoholismus und Depressionen.

Und dennoch ist das Buch keineswegs eine beschwerende Lektüre. Denn Cheever ist ein wunderbar boshafter doch keineswegs hämischer Menschenbetrachter und schreibt mit so rücksichtslos verzweifeltem Witz über die Schwächen und Tücken seiner Protagonisten, dass man erleichtert lacht ob dieser kuriosen anderen.

Besprochen von Gabriele von Arnim

John Cheever: Die Lichter von Bullet Park
Aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel
DuMont Verlag, Köln 2011
256 Seiten, 19,99 Euro