Ein freies Land - nicht nur für Männer

Von Cora Stephan · 14.01.2007
Wenn umstürzlerische Ideen auf der Ebene bürokratischer Verordnungen angelangt sind, bleibt vom Charme nichts übrig, den sie ursprünglich mal gehabt haben mögen. Und die Revolution an der Macht ist ein Missverständnis, das Blutbäder zur Folge haben kann.
Jedenfalls - der Frauenbewegung der 70er Jahre gereicht es nicht zur Ehre, dass einige ihrer damals schon umstrittenen Vorstellungen mittlerweile regierungsamtlich sind. Vom neuen Diskriminierungsgesetz profitieren vor allem die Anwälte, die politisch korrekte Bibelübersetzung hat immerhin Arbeitsplätze geschaffen, aber gegen Gender Mainstreaming spricht nicht nur, dass niemand versteht, was damit gemeint sein soll. Auch das Bundesverdienstkreuz für Alice Schwarzer ist kein Sieg des Feminismus, sondern recht eigentlich die Entsorgung des Problems: Alice Schwarzer auszuzeichnen, kostet nichts. Aber wo bleibt die Solidarität mit Frauen, die ihren Kampf für Gleichberechtigung womöglich mit dem Tod bezahlen müssen? Sind wir bereit, uns frauensolidarisch etwa mit gekränkten Islamisten anzulegen oder mit Männern, die auch hierzulande nach ihrem eigenen patriarchalischen Gesetz leben wollen?

Die förmliche Anerkennung eines Phänomens ist nicht selten gleichbedeutend mit seiner Entsorgung. Es ist ein Mechanismus, den Politiker und Männer erfolgreich zu ihrer Selbstentlastung einsetzen. Feminismus? Hausaufgabe erledigt. Dabei beginnt der Kampf erst.

Aktuelles Beispiel: die Berliner Anwältin Seyran Ates. Ates wurde in Istanbul geboren und lebt seit 1969 in Berlin, wo sie 1984 vor einer Beratungsstelle für türkische Frauen Opfer eines Attentats wurde. Sie wurde Anwältin nicht zuletzt, um türkischen Frauen zu helfen, die in Deutschland sprachunkundig in einer patriarchalischen Kultur gefangen sind, ohne überhaupt zu ahnen, welche Freiheiten und Möglichkeiten ihnen unserem Rechtsverständnis nach zustehen. Wer wissen will, wie Frauenunterdrückung heute in Deutschland wirklich aussieht, der betrachte sich die Sitten und Gebräuche in den türkischen und kurdischen Gegengesellschaften. Es braucht keine Ehrenmorde an Töchtern und Schwestern, um zu erkennen, wie denkfaul das Multikultigeschwätz ist, wonach es sich hier um eine andere Kultur handele, die man zu tolerieren habe. Diese Toleranz ist eine skandalöse Mischung aus Wegsehen und Drückebergerei.
Seyran Ates ist bedroht worden – von Männern, die Frauen auch hierzulande ihren eigenen Gesetzen unterwerfen wollen. Seit Sommer 2006 praktiziert sie nicht mehr und hat mittlerweile ihre Anwaltszulassung zurückgegeben, weil sie sich und ihr Kind als Einzelkämpferin nicht schützen könne. Der Aufschrei in der Öffentlichkeit blieb moderat und frauenbewegte Aufmärsche fanden ebenso wenig statt wie Solidaritätsbekundungen aufgeklärter Männer. Klar: wir haben ja unser vorbildliches Antidiskriminierungsgesetz und eine frauenfreundliche Sprache und außerdem wollen wir doch immer schön hübsch im Dialog bleiben mit anderen Kulturen, nicht wahr?

Ach ja. In unserem idyllischen weltabgeschiedenen Eckchen werden lieber die Kämpfe der Vergangenheit geführt – etwa gegen die katholische Kirche, der gönnt man das so richtig, wenn sie ihre Kreuze abhängen muss wg. Toleranz gegenüber womöglich in ihren Gefühlen verletzten Andersgläubigen. Dafür wird dann schon mal vergessen, dass Menschenrechte unteilbar sind und wir nicht nur den Männern etwas schulden, die nach Deutschland einwandern, sondern insbesondere den Frauen.

Gerade Deutschland sollte ein Land sein, in dem Frauen, die wegen ihres Geschlechts verfolgt und in ihrer Entwicklung behindert werden, ihre Intelligenz, ihr Können und ihren Ehrgeiz frei entfalten können. Unsere repressive Toleranz aber macht gerade uns hier zum letzten europäischen Hort einer reaktionären frauenfeindlichen Kultur.

Die Debatte über eine deutsche Leitkultur war in dieser Hinsicht vorbildlich: sie führte uns als Horde von nützlichen Idioten vor, die sich noch nicht einmal ihrer eigenen Werte und Regeln bewusst ist, ganz zu schweigen vom notwendigen Stolz auf die eigenen Errungenschaften. Dabei bräuchten wir weit dringender als ein bürokratisches Monster namens Antidiskriminierungsgesetz, als politisch korrekte Sprachpflege und andere symbolische Ersatzhandlungen, eine Leitkultur, die diesen Namen verdient. Es stimmt nicht, dass wir hierzulande keine Werte hätten, die zu verteidigen sich lohnt. Für manche bedeuten diese Werte - das Leben.

Oberster Leitsatz: Dies ist und bleibt ein freies Land, nicht nur für Männer.


Die Frankfurter Publizistin und Buchautorin Cora Stephan, Jahrgang 1951, ist promovierte Politikwissenschaftlerin. Von 1976 bis 1984 war sie Lehrbeauftragte an der Johann Wolfgang von Goethe Universität und Kulturredakteurin beim Hessischen Rundfunk. Von 1985 bis 1987 arbeitete sie im Bonner Büro des "Spiegel". Zuletzt veröffentlichte sie "Der Betroffenheitskult. Eine politische Sittengeschichte", "Die neue Etikette" und "Das Handwerk des Krieges".