Ein Franzose in New York

05.07.2010
Der Verleger André Schiffrin ist ein harscher Kritiker des Renditewahns in der Buchbranche. Er führt ein bewegtes Leben zwischen Europa und Amerika, Politik und Literatur. In seiner Autobiografie blickt er vor allem auf die 50er- bis 70er-Jahre.
Dass Lesen den Menschen besser mache, dass die Berührung mit Literatur das ethische Bewusstsein fördere, das politische Bewusstsein schärfe und also anrege, Verhältnisse zu verändern – all das möchte man gerne glauben. Beweise dafür gibt es keine. Außer einem: André Schiffrin.

Heute 75 Jahre alt, lebt der Sohn einer jüdisch-russisch-französischen Familie mit seiner spanisch-englischen Ehefrau in New York und Paris. Schiffrin besitzt neben der französischen die amerikanische Staatsbürgerschaft und vereint tatsächlich mindestens zwei Kulturen in sich. Das hat in seinem Fall vor allem mit Literatur und Politik zu tun. Davon berichtet er in seiner Autobiografie "Paris, New York und zurück. Politische Lehrjahre eines Verlegers".

Schiffrin ist ein Wanderer zwischen Welten, intellektuellen wie geographischen. Das hat Tradition in seiner Familie: Jacques Schiffrin, sein Vater – in Baku geboren, in St. Petersburg aufgewachsen – studierte in Genf, lebte in Italien. Der begnadete Cellist, Russischlehrer von Peggy Guggenheim und lebenslange Freund von André Gide war der Begründer des legendären Verlages "Editions de la Pléiade" in Paris. Hier erschienen relativ preiswert, doch sorgfältig ediert, Ausgaben der französischen Klassiker, dann der klassischen Weltliteratur.

Die gutbürgerliche, glückliche Kindheit André Schiffrins endete mit dem Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich. Der Vater wurde bei Gallimard – dem Verlagshaus, in dem er seine "Pléiade" untergebracht hatte – gefeuert. Über Marseille, Casablanca und Lissabon gelang die Flucht der Familie nach New York. Die Eltern blieben der europäischen Kultur verhaftet, André Schiffrin wuchs zum überzeugten Amerikaner heran. Der Präsidentschaftswahlkampf 1948 politisierte den 13-Jährigen, der sich früh als sozialdemokratischer Antikommunist verstand. "Politik wurde für mich das Mittel, ethische Forderungen in unserer Gesellschaft umzusetzen."

In Yale studierte er Geschichte, lernte Antisemitismus an der Universität und das aggressiv-konformistische Klima der McCarthy-Jahre kennen. Nach einem Stipendienaufenthalt in Cambridge beginnt er, als Verleger für den Pantheon Verlag in New York zu arbeiten. Schiffrin sorgt für die Veröffentlichung gesellschaftskritischer Bücher und europäischer Autoren in den USA. Marguerite Duras und Günter Grass, der Historiker Eric Hobsbawm, der Soziologe Pierre Bourdieu und der Philosoph Michel Foucault gehören zu seinen Autoren.

In diesem Buch überprüft André Schiffrin die eigene Herkunft und Identität. Anhand persönlicher Lebensstationen zeichnet er die historische Entwicklung vor allem der 50er- bis 70er-Jahre nach: eine politische Autobiografie, in der Privates nur am Rande erwähnt wird.

1991, als bei Pantheon nicht mehr er als klassischer Verleger, sondern ein ausschließlich betriebswirtschaftlich kalkulierendes Management entscheidet, was verlegt wird, kündigt André Schiffrin. Und gründet einen neuen Verlag, der nicht ausschließlich profitorientiert arbeitet und trotzdem rentabel bleibt. Ein Modell auch für die deutsche Verlagslandschaft?

Besprochen von Carsten Hueck

André Schiffrin: "Paris, New York und zurück. Politische Lehrjahre eines Verlegers"
Aus dem Amerikanischen von Andrea Marenzeller
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2010
254 Seiten, 22,90 Euro