Ein fotografisches Tanzerlebnis

25.02.2013
Die Choreografin Pina Bausch erfand den Tanz neu, heißt es. Die Fotografin Ursula Kaufmann hat diesen Schöpfungsprozess mit der Kamera eingefangen. Ihre 380 Fotografien zeigen Bühnenbilder, Gruppen von Tänzern, Bewegungsfolgen und einzelne ausdrucksstarke Posen. Ein prachtvoller Bildband.
Es ist ein magisches Foto: Eine Gruppe von Tänzerinnen – alle in gleicher Haltung, mit geneigtem Oberkörper, rückwärts ausholenden Armen und nach links gerichtetem Blick – läuft auf den rechten Bühnenrand zu. Zu ihren Füßen liegen Nelken. Zwar kann die Abbildung nur einen eingefrorenen Moment dieser Bewegung zeigen, dennoch wirkt sie nicht statisch, sondern vibriert, wie der lebendige Augenblick, den sie eingefangen hat.

Für solche Aufnahmen ist die Theaterfotografin Ursula Kaufmann berühmt. Über Jahrzehnte hat sie große Festivals begleitet und die Werke vieler Regisseure dokumentiert. Insbesondere die von Pina Bausch. Seit 1975 saß Kaufmann Generalprobe für Generalprobe in der ersten Reihe des Wuppertaler Tanztheaters und beobachtete mit der Kamera die Arbeit der weltberühmten Choreografin und ihres Ensembles. Vier Jahre nach dem plötzlichen Tod Pina Bauschs legt Ursula Kaufmann nun einen prachtvollen Bildband vor, der 40 Stücke der Ausnahmekünstlerin Revue passieren lässt.

Von der Bühnentotalen bis zur Detailaufnahme reicht die Bandbreite der insgesamt 380 Fotografien. Kaufmann hat sie chronologisch sortiert. Doppel-, ganz- oder halbseitig arrangiert, zeigen sie Bühnenbilder, Kostüme, Gesichter, Hände, Oberkörper und Beine, Gruppen von Tänzern und Soloartisten, ganze Bewegungsfolgen oder einzelne ausdrucksstarke Posen und berühmte, "bauschtypische" Gesten, etwa Fingerhaltungen oder wehendes Haar.

"Mich interessiert nicht, wie Menschen sich bewegen, sondern was sie bewegt", lautet eine der meist zitierten Aussagen Pina Bauschs. Dieses Credo ist auch für Ursula Kaufmann wegweisend. Tatsächlich bilden ihre Aufnahmen nicht nur Äußerliches ab. All die Verzweiflung, Ängste und Geschlechterkämpfe, aber auch das Rauschhafte und die Lebensfreude, die Bausch in ihren Stücken so einmalig auszudrücken verstand, blitzen durch diese herausragenden Fotografien.

Für Kenner von Bauschs Werk bedeutet das die reinste Wiedersehensfreude – auch mit vielen großen, heute berühmten Darstellern wie etwa Mechthild Großmann. Und wer mit ihren Stücken nicht vertraut ist, bekommt einen lebendigen Eindruck von Größe und Leidenschaft der "Erfinderin des Tanztheaters". Dafür sorgt zusätzlich eine kluge Auswahl von Texten, die das Phänomen Bausch aus verschiedenen Blickwinkeln beschreiben.

Die Kritikerin Malve Gradinger etwa würdigt Bauschs das Tanztheater revolutionierende, Grenzen sprengende Arbeit, die "die Sprache des Körpers" neu entdeckt hätte. Jürgen Flimm erinnert an die mühsamen Anfänge der Choreografin im Wuppertal der 1970er Jahre, als das Publikum wütend ob des radikalen Konventionsbruchs Vorstellungen türschlagend verließ. Und Pina Bausch schließlich erzählt in ihrer berührenden Rede anlässlich des Kyoto-Preises 2007, wie sie zum Tanzen kam, was und wer sie prägte, und warum es für sie "nichts anderes als tanzen" gab.

Ohne zu übertreiben: So eine schöne, kenntnisreiche und anrührende wie anregende Dokumentation über Pina Bausch hat es bislang noch nicht gegeben!


Besprochen von Eva Hepper

Ursula Kaufmann: Pina Bausch und das Tanztheater Wuppertal
Edition Panorama, 2012
314 Seiten, 78,00 Euro
Mehr zum Thema