Ein Flüchtling in Brandenburg

Libanesischer Landarzt kommt im Trabbi

Landarzt Amin Ballouz in seinem Trabbi. Der libanesische Arzt arbeitet als Landarzt in Schwedt in der Uckermark.
Landarzt Amin Ballouz © picture-alliance / dpa - Rolf Kremming
Von Sandra Voß · 12.10.2016
Amin Ballouz ist einer der wenigen Mediziner, die in der brandenburgischen Uckermark Patienten versorgen. Vor rund 40 Jahren floh er vor dem Bürgerkrieg aus dem Libanon. Dass er in seiner jetzigen Heimat so beliebt ist, liegt auch an einem Auto.
"Beirut besteht überwiegend aus Hochhäusern und da ist dann Etage über Etage und da ist sehr viel Glas und wenn die Bombe runter kommt, dann haben wir das auch gehört. Wir haben die erst mal gehört, bevor die runter kommt. Dann gab es so einen bestimmten Pfeifton, bis die da ankommt. Dann explodiert die und dann kam dieses Glas erst mal runter und dann konnte man das hören, wie das alles runter kommt, und dann kam dieses Geschrei der Frauen vor allen Dingen. Also wir mussten dann runter in den Keller und dann kam eine Bombe in den Keller rein und dann wurde da meine Schwester verletzt und mein Nachbar ist ums Leben gekommen und mein Bruder war auch halb verbrannt. Es war ein Skandal."
Während Doktor Amin Ballouz von seinen Erlebnissen als Kind berichtet, wirkt er angespannt, fahrig, nervös.
Dabei ist es schon fast 40 Jahre her, dass der kleine, quirlige Mann aus dem Libanon geflohen ist. Der Allgemeinmediziner flüchtete damals alleine mit 16 Jahren aus Beirut, seiner Heimatstadt. Heute lebt er glücklich in Schwedt, während seine vier Kinder innerhalb Deutschlands studieren. Die Erinnerung an seine eigene Flucht schien vergessen.
Bis sie kamen. Die Flüchtlinge aus Syrien, aus den arabisch sprechenden Ländern. Wenn sie erzählen, kommen auch bei Doktor Ballouz die Erinnerungen an seine eigene Flucht wieder hoch. Viele der Flüchtlinge kommen in Dr. Ballouz' Praxis und suchen Hilfe. So wie der junge, gut rasierte Hasad, der mit seinem Freund hier ist. Hasad schätzt den Doktor sehr.
"Er spricht Arabisch und er ist sehr gut. Er hat ein großes Herz."
Amin Ballouz versteht die jungen Männer gut. Er weiß, was es heißt, alleine und fremd in einem Land zu sein.
"Die kommen mit allen Problemen, nicht nur medizinische Probleme. Auch die sozialen Probleme, Familienprobleme. Ich muss der Seelsorger sein, der Pastor sein, ich muss der Vater, die Mutter sein für manche. Ich muss alle Rollen spielen, was denen fehlt und die fragen nach viel Hilfe, nach Übersetzungen, nach Briefen, nach Unterstützung, und das mache ich auch gerne, soweit es die Zeit erlaubt."

"Über das Auto kommt man ins Gespräch"

Zurzeit hat der Arzt ein spezielles Verhältnis. Feierabend scheint er nicht zu kennen. Selbst nach einem Tag, an dem sehr viele Flüchtlinge unangemeldet in die Praxis kamen, fährt Doktor Ballouz noch auf die umliegenden Dörfer und macht Hausbesuche.
Dabei knattert der fröhliche Mann in einem Trabbi durch die weite Landschaft. Die Liebe zu dem nostalgischen Fahrzeug verbindet den dunkelhaarigen Mann mit den Menschen in der Uckermark.
"Überall wo ich hingehe, da kommen Erinnerungen an die alten Zeiten: Ach wir waren mit diesem Wagen an der Ostsee oder wir waren mit den Kinder in Ungarn oder wir haben das und das gemacht und alles. Über das Auto kommt man wirklich ins Gespräch und ich habe jede Menger Ersatzteile bekommen und jede Menge Freunde bekommen und die gucken nach meinem Auto und ich gucke nach deren Gesundheit. Das ist auch schön so."
Dass Ballouz einmal mit einem Trabbi durch die Gegend fahren würde, hätte er sicher bei seiner Ankunft in Deutschland nicht gedacht. Vor dem Krieg war Ballouz' Heimatstadt, Beirut, eine kosmopolitische, weltoffene Stadt mit Universitäten und einem wilden Nachtleben. Nach der Flucht aus dem Libanon kam der junge Mann durch Kontakte seines Vaters, der in Beirut ein erfolgreicher Geschäftsmann war, 1975 nach Deutschland.
"Als ich in Berlin landete, war das für mich eine andere Art von Schock. Mit Deutschland verbinden wir immer das luxuriöse Leben und dass die Straßen voll sind mit diesen schönen Mercedes-Fahrzeugen und das hab ich in Berlin nicht gesehen. Und da wusste ich nicht, wo ich bin, weil uns nie bekannt war, dass Deutschland in dieser Form geteilt ist, das es Ost und West gab. Deutschland war für uns immer Deutschland und im Nachhinein wusste ich dann, das ich in Ostberlin gelandet bin."

Arzt ohne Berührungsängste

Amin Ballouz blieb in Ostberlin, ganz, wie es der Vater bestimmt hatte. Er studierte Medizin in Halle, später promovierte er. Noch heute ist der Arzt dankbar für alle Unterstützungen, die er damals bekommen hat. Von seinen Professoren, die ihn gefördert haben. Doch ganz besonders dankbar ist er über jedes freundliche Wort, jede Form von Gastfreundschaft, die er von den Deutschen erlebt hat.
Anfeindungen oder gar Ausländerhass kennt er weder persönlich noch spürt er das in seinem Umfeld.
"Ich bin voll akzeptiert, die haben mich gerne, ich habe die auch gerne, ich fühle mich in meiner Heimat - und das ist meine Heimat - sehr wohl. Oh, wir sind schon da. Aussteigen, meinen Notfallkoffer mitnehmen."
Inzwischen ist es 21 Uhr. Doktor Ballouz ist bei seiner Patientin angekommen. Die Tochter der Kranken öffnet die Tür.
Landarzt Amin Ballouz sitzt mit einem Ehepaar beim Essen.
Bei seinen Patienten wartet oft ein gedeckter Tisch auf Landarzt Amin Ballouz© Deutschlandradio/Sandra Voss
Bevor der Arzt ein Auge auf seine Patientin werfen kann, muss er sich an den gedeckten Tisch setzten. Es gibt eine volle Platte mit belegten Brötchen sowie Streusel- und Pflaumenkuchen. Der Doktor bekommt immer seinen Kaffee. Hier weiß man, was er mag. Vorurteile gegenüber dem dunkelhaarigen Doktor mit dem leichten Akzent gab es hier nie.
Tochter der Patientin: "Die älteren Leute, meine Mutter, die waren froh, dass sie wieder einen Arzt haben. Die waren froh, dass Herr Doktor Ballouz nicht so kompliziert ist, das er keine Berührungsängste hatte. Und dann verlieren die Leute auch ihre Berührungsängste, falls sie welche hatten."

Rezept für Integration

Beim nächsten Patienten begrüßt Doktor Ballouz die Dame des Hauses mit einem galanten Handkuss.
Diese errötet und wendet schnell in der Pfanne die Bratkartoffeln, die sie extra für den Doktor wieder aufwärmt. Zwischen dem 80-jährigen Patienten, geboren in Königsberg, und dem Doktor aus dem Libanon gibt es eine besondere Verbindung.
Patient: "Er ist genauso Flüchtling wie ich. Wir wurden 1948 von Stalin rausgeschmissen aus unserer Heimat und er musste rausgehen, als seine Heimat im Krieg lag. Um sein Leben zu retten, ist der da abgehauen. Bei uns war es ein Befehl und da war es der Krieg. Das ist im Grunde genommen dasselbe, wir sind beide Flüchtlinge und mussten uns irgendwo auf der Welt eine Bleibe suchen und mussten unser Leben gestalten. Und das haben wir, denke ich, gemacht.
Beide Männer haben in der Fremde eine neue Heimat gefunden. Doktor Ballouz ist jeden Tag aufs Neue dankbar für die Gastfreundschaft und Freundlichkeit, die er erlebt. Sein Leben ist ein Beispiel dafür, dass Integration gelingen kann, dass Erfolg für Menschen auch in der Fremde möglich ist.
Doch Amin Ballouz weiß aus eigener Erfahrung: Nur wer sich an die Regeln und Werte in einem anderen Land anpasst, wird langfristig integriert. Deswegen rät er besonders den ankommenden jungen Männern, ihre bisherigen Lebensmuster zu überdenken und es den Frauen zu erlauben, arbeiten oder studieren zu gehen. Wenn er könnte, würde Amin Ballouz am Liebsten sein persönliches Erfolgsmodel auf ein Rezept schreiben und das an seine neu ankommenden Patienten ausgeben.
"Bitte die deutsche Sprache lernen, versucht, euch zu integrieren und ein Teil der Gesellschaft zu sein. Das ist das A und O. Sonst werdet ihr euch nicht wohl fühlen und dann werden die anderen sich auch nicht wohl fühlen, wenn ihr da seid."
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