Ein Fest sich austobender Schauspieler

Von Bernhard Doppler · 27.01.2012
Fritschs Inszenierungen sind keine Interpretationen oder Lehren, sondern sie setzen Energien frei. So auch das Stück "Herr Puntila und sein Knecht Matti", das Brecht im finnischen Exil mit seiner Freundin Hella Wuolijoki geschrieben hat.
Am meisten beeindruckt wieder die nicht enden wollende Choreografie beim Schlussapplaus: Jeder der zwölf Schauspieler wird von seinen Kollegen vorgeschoben, um sich dann in großen Gesten im Applaus zu baden, in Posen des schüchternen Gerührtseins, oder im Sich überschütten mit Blumen, in graziösen Ballettschritten oder durch einen Sturz ins Publikum.

Herbert Fritsch, der im letzten Jahr als Regisseur so erfolgreiche ehemalige Castorf-Schauspieler, hat nun auch im Schauspiel Köln Einzug gehalten. Auch Brechts Volksstück ist bei ihm vor allem ein Fest sich austobender Schauspieler.

Der Augsburger Brecht und der Augsburger Fritsch scheinen gut auf einander abgestimmt. "Puntila und sein Knecht Matti" - ein Stück über die Droge, Drogenrausch und Drogenentzug - passt auch thematisch zu Fritschs Verfahrensweise. Getrunken wird allerdings nur "kluck, kluck" pantomimisch, Fritsch verwendet keine Requisiten; aber umrahmt wird die Bühne (Janina Audick) mit einer gern benützten welligen Rutschbahn mit Gelände, und statt der finnischen Buchen gibt es Palmen.

Nicht "Dessau, sondern Köln", wie einmal kalauert wird, also von der Bühnenmusik Paul Dessaus nur Anklänge, dafür Musik vom mit einem Bananenschurz bekleideten Barpianisten John R. Carlson, der mit seiner Begleitung die Schauspieler in ihren grotesken Kostümen (Victoria Behr) mit ihren weit aufgerissenen Augen und Mündern wie expressive Stummfilmfiguren erscheinen lässt. Schwankende Typen, Commedia-dell-Arte-Figuren, Komikerrollen: Die Telefonistin, der Attache, die Schmuggleremma, der Alkoholiker.

Brechts Text wird ziemlich getreu gespielt, doch die Aufführung macht einen oft verdeckten Aspekt sichtbar: Brechts Nähe zu Komikern wie Valentin oder Chaplin. Auch an Curt Bois, den ersten Berliner Puntila, könnte man denken. In keinem Werk hat Brecht sich so sehr wie in diesem mit seiner finnischen Freundin Hella Wuolijoki geschriebenen Volksstück in der Komödie ausprobiert. Puntila durchaus ein deftiger finnischer Bauernstadl. So tut es Brechts Werk gar nicht schlecht, wenn es nicht als Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Kommunismus didaktisiert wird.

Puntila: Ein torkelndes Bewegungswunder, wie Charly Hübner in hellblauem Anzug durch die Rolle taumelt, bei Sparvorschlägen verfällt er ernüchtert ins Schwäbeln. Aber noch eindringlicher als Komiker ist der Matti von Michael Wittenborn (er war schon vor mehr als 15 Jahren in der Regie von Frank Castorf ein etwas gegen den Strich gebürsteter Puntila). Ein alter etwas weinerlicher Mann mit grauem Schnäuzer und mit Schofförmütze, sein R wie ein Hitler-Imitator rollend. Es gruselt fast, wenn man sich vorstellt, dass er Bräutigam von Eva, Puntilas Tochter (Angelika Richter) werden soll und er sie dann noch seiner noch älteren Mutter vorstellen wird. So also sieht die Herr-Knecht-Dialektik mehr als 60 Jahre nach der Uraufführung aus!

Doch - das ist ja das Erfrischende - Fritschs Inszenierungen bieten ja gerade keine Interpretation und Lehre, sondern setzen theatralische Energien frei. Am Ende - vor der Applausordnung - besteigt Puntila den Hatelma-Berg und freut sich über das Verschwimmen der Landschaft.
Mehr zum Thema