Ein erdverbundener Spinner

Von Udo Taubitz · 28.08.2006
Eigentlich waren Terry Pratchetts erste Geschichten als Parodien auf die schlechte Fantasy-Literatur der 80er gemeint. Doch seine Romane über das bizarre Paralleluniversum der Scheibenwelt begeisterten die Leser so sehr, dass der Brite heute von seiner weltweiten Fangemeinde wie ein Gott verehrt wird. Trotz 16 Stunden Arbeit am Tag bleibt der Multimillionär aber auf dem Boden der realen Welt.
Ein flacher gelber Staubsaugerroboter düst durch den umgebauten Stall. In den Regalen schwere Wälzer, auf dem Schreibtisch ein nackter Globus ohne Kontinente, daneben ein verwinkeltes Städtchen aus grauem Pappmaché. Der Schöpfer der magischen Scheibenwelt ist fast unsichtbar. Er sitzt hinter einer halbrunden Mauer aus sechs Computerbildschirmen, die er in zwei Dreierreihen zusammen montiert hat, das sieht aus wie ein Schutzschild.

Terry Pratchett tippt konzentriert. Auf zwei Monitoren wächst das Manuskript seines nächsten Buches. Auf einem anderen Monitor wartet die Suchmaschine Google, nebenan steht das Lexikon Wikipedia bereit, auf den beiden restlichen Bildschirmen sind Zeichnungen von Zwergen und Trollen, Bewohner der Scheibenwelt.

16 Stunden am Tag arbeitet Pratchett an seinem fantastischen Universum, für die reale Welt bleibt da wenig Zeit. Oder? Der kleine Mann mit Glatze und Vollbart blickt jetzt endlich auf und protestiert:

"Ich muss an dieser Stelle sehr deutlich sein: Ich verbringe überhaupt keine Zeit in meinem fantastischen Universum. Ich erschaffe es, also muss ich selbst außerhalb sein. ... Ich muss mich an den Computer setzen und schreiben, Post beantworten, Steuererklärungen ausfüllen. Wenn ich nur für eine Minute vergesse, dass ich in der realen Welt bin, und anfange in meiner eigenen Fantasiewelt zu leben, dann ist es Zeit für so eine weiße Jacke mit extra langen Ärmeln."

Offenbar ist Terry Pratchett erdverbundener als man gemeinhin annimmt. Aber ein Spinner ist er trotzdem: Aus simplen Worten spinnt er literarischen Stoff, der eine ganz eigene Welt umspannt. Pratchett beschreibt seine Scheibenwelt als eine megagroße Pizza, die auf den Rücken vier riesiger Elefanten liegt; die Elefanten wiederum stehen auf einer gigantischen Schildkröte, die ewiglich durchs Weltall schwebt. Auf der Scheibenwelt leben Feen, Zwerge, Trolle, Hausdrachen, Menschen und andere seltsame Gestalten.

"Als ich 1983 damit anfing, war das meine Antwort auf die Fantasy-Literatur, die es damals gab, manches war ganz gut, aber vieles war schrecklich schlecht. Ich dachte: Ich kann das besser. Und ich wollte Spaß haben... Es wurde ein bisschen ernster über die Jahre, aber es fing an als ein Witz."

Damals arbeitete der gelernte Journalist als Sprecher eines Atomkraftwerkverbundes. Nach Feierabend schrieb er Parodien auf Fantasy-Klassiker, Pratchetts Texte waren kaum mehr als aneinander gereihter Klamauk. Den ironischen Blick des Komödianten hat er sich bewahrt, aber seine Scheibenwelt-Romane behandeln immer auch ernste Themen wie Rassenhass oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

"Meine Lebenserfahrung macht mich ernsthafter. ... Ich habe schon ziemlich früh herausgefunden: Lustig zu sein reicht nicht. In meinen Büchern gibt es viel zu lachen, aber es geht um mehr. Es geht um Vater-Sohn-Beziehungen und solche Sachen."

Pratchetts Tochter Rhianna ist schon Mitte zwanzig, aber sie verschlingt die Werke ihres berühmten Papas auch heute noch. Dessen überbordende Fantasie hat auf sie abgefärbt: Sie entwickelt Computerspiele in London. Terry Pratchett lebt nun allein mit Frau und Katze in einem abgelegenen Dorf in Südengland. In der ländlichen Einöde kann Pratchett ohne viel Ablenkung an seiner Scheibenwelt werkeln.

" Ich habe immer ein Notizheft dabei und auch einen kleinen Rekorder. Da kann ich sogar bei der Gartenarbeit Dialoge für meine Bücher reinsprechen."

Der 58-Jährige ist längst Multimillionär. Aber er produziert emsig weiter wie am Fließband, wenngleich seit einer Herzattacke "nur noch" eines statt zwei Bücher pro Jahr.

"Ich kann mir einfach nichts anderes vorstellen als Geschichten zu erzählen. Mein Geist ist narrativ strukturiert. ... Da sind so viele Ideen, die ich niederschreiben will. ... Außerdem weiß ich, dass es nur wenige Schriftsteller gibt, die von ihrer Arbeit gut leben können, und Multimillionäre sind eine absolute Seltenheit. Ich finde, dass ich meinen Erfolg rechtfertigen muss und nicht einfach aufhören darf."

Das findet auch Pratchetts Fangemeinde. Für viele ist der kauzige Mann, der in der Öffentlichkeit nie ohne Hut auftritt, eine Art Gott. Die meisten Literaturkritiker hingegen meiden Pratchetts Scheibenwelt. Vielleicht auch deshalb, weil darin zu oft von Magie die Rede ist? Pratchett nimmt bei dieser Frage den Digitalrekorder des Reporters in die Hand und sagt:

"Ich glaube, es steckt mehr Magie in diesem kleinen Gerät, als in jeder Zauberergeschichte, die je geschrieben wurde. An Hokuspokus glaube ich kein bisschen. Aber es gibt unglaubliche Dinge im Universum. Wenn man ans extreme Ende der Quantenphysik geht, scheint der Unterschied zur Magie ziemlich klein. Oder wenn man bedenkt, dass jeder Mensch als ein Zellenhaufen beginnt, kleiner als eine Nadelspitze, und dann bauen wir Busse und solche Sachen, das erscheint mir sehr magisch. Es gibt doch nichts Fantastischeres als die reale Welt."

Fantastisch mutet auch der Erfolg Terry Pratchetts an. Von der Queen wurde er sogar zum Officer of the Order of the British Empire ernannt. Nach seinem Erfolgsgeheimnis gefragt, antwortet der Schöpfer der komischen Scheibenwelt mit einem Wort: Disziplin. Und verschwindet ganz schnell wieder hinter seinen sechs Monitoren.

Terry Pratchett: Klonk!
Aus dem Englischen von Andreas Brandhorst
Manhattan Verlag, München 2006
416 Seiten, 19,95 Euro

Terry Pratchett: Klonk!
Gelesen von Boris Aljinovic
Random House Audio, 2006
4 CDs, 19,95 Euro

Terry Pratchett, Paul Kidby: Die Kunst der Scheibenwelt
Aus dem Englischen von Andreas Brandhorst
Manhattan Verlag, München 2006
160 Seiten, 21,90 Euro