Ein echter Coup

Von Christoph Leibold · 11.02.2010
In "Bonnie und Clyde" geht es um die Weltwirtschaftskrise in den Zwanzigerjahren. In dieser Zeit reist das legendäre Liebespaar Bonnie und Clyde durch den Südwesten der Vereinigten Staaten und beschließt, Banken auszurauben.
In Zeiten der Finanzkrise und der Bad Banks sind Bankräuber fast so etwas wie Sympathieträger. "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?", fragte schon Brecht und erlebt daher gerade eine Renaissance auf deutschen Bühnen. Auch Bonnie und Clyde, das Gaunerpärchen aus der amerikanischen Depressionsära, das die bösen Banken ausnimmt, scheint heute wieder interessant.

Doch die Theatermacherin Barbara Weber strebt nicht den simplen Vergleich zwischen einer Geschichte aus Weltwirtschaftskrisenzeiten der 1920/30er Jahre und der aktuellen Misere an. Von dem Kurzschluss, wie ihn derzeit nicht wenige Theater reflexartig produzieren, scheint sie nichts zu halten. Im Gegenteil: Weber thematisiert diesen Reflex – auf wahnsinnig komische und dabei hoch intelligente Weise.

Ihr "Bonnie und Clyde"-Projekt orientiert sich an der Handlung des Films von Arthur Penn von 1967 - ohne sie brav nachzubuchstabieren. Eher ist ein Art ‚Making-Of’ zu sehen: Schauspieler spielen Schauspieler, die Bonnie und Clyde, ihre Komplizen und Gegenspieler spielen. Erzählpassagen wechseln mit Spielszenen, durchdringen einander.

Nach und nach fließen Elemente ein, die über die reine Handlung hinausweisen. "Hey, das ist kein Nouvelle Vague Film. It’s a Gangster-Roadmovie", schnauzt Clyde einen französisch sprechenden Mitspieler an - Anspielung darauf, dass unter anderem Jean-Luc Godard als Regisseur für den Stoff im Gespräch war; und Zeugnis dafür, dass die Figuren in Barbara Webers Projekt das Bewusstsein haben, Teil eines Films zu sein, der zusammen mit anderen Verfilmungen, diversen Liedern sowie der Ballade, die Bonnie selbst gedichtet hat, zur Mythenbildung beigetragen hat.

Sowohl Bonnies Ballade als auch den wohl bekanntesten Song – "Bonnie and Clyde" von Serge Gainsbourg - hat Barbara Weber in ihr Projekt montiert. Dazu Zitate, Versatzstücke und Verweise auf andere sagenhafte Rebellen. Denn darum geht es an diesem Abend: Bonnie und Clyde als prototypische Rebellen vorzuführen. Wie Andreas Bader und Gudrun Ensslin, deren Foto nicht zufällig auf der Bühne klebt. Oder wie Karl Moor – einen Monologschnipsel von Schillers "Räuber"-Figur hat Barbara Weber Clyde in den Mund gelegt.

Indem die Regisseurin Bonnie und Clyde vorführt als derart eingemeindet in den kollektiven Fundus von Rebellenfiguren, zeigt sie auch, dass es ihnen an subversiver Kraft fehlt. Es sind Figuren, die die Allgemeinheit als Rebellen akzeptiert und zitiert. Akzeptanz und Anarchie aber schließen sich aus. Und was Zitat ist, ist Gemeingut, und damit nicht mehr gemeingefährlich.

Immer wieder läuft das Theater Gefahr zu vergessen, dass es Teil der Verhältnisse ist, die es kritisiert – weil es für diese Kritik immer im eigenen Figurenfundus stöbert. Barbara Weber dagegen nutzt ihre Figuren Bonnie und Clyde nicht, um eine kritische Aussage zur derzeitigen Finanzkrise zu treffen. Eher lässt sich ihre Theaterabend als Kritik an dieser wohlfeilen Praxis des Kritisierens lesen. Das ist um einiges cleverer. Ein echter Coup.