Ein dramatischer Ja-Sager

18.05.2009
Gerhart Hauptmann, ein auch heute noch vielgespielte Dramatiker, war sicherlich kein Nazi im klassischen Sinne. Dass er Deutschlands Wiederaufstieg zur Weltmacht unter Hitler begrüßte und auch zur Zusammenarbeit mit den NS-Machthabern bereit war, zeigt Peter Sprengel in seinem Buch "Der Dichter stand auf hoher Küste - Gerhart Hauptmann im Dritten Reich".
"Ich sage ja": diese Worte, mit denen Gerhart Hauptmann 1933 den von Hitler ins Werk gesetzten Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund begleitete, könnte programmatisch über seinem ganzen Leben stehen. Alle historischen Zäsuren, die in dieses lange Leben (1862 bis 1946) fielen, alle diese Schicksalsdaten der Deutschen begleitete er mit Zustimmung: den Kriegsbeginn 1914; die Installierung der Weimarer Republik, der er so schnell seine Unterstützung zusicherte, dass er 1922 zum "ungekrönten König" der Republik ausgerufen werden konnte (pikanterweise von seinem großen Gegenspieler Thomas Mann); die "Machtergreifung"; den Angriffskrieg auf Polen 1939, dem zu Ehren der Dichter Champagner auffahren ließ; den Einmarsch in Frankreich im Jahr darauf, der ihn zu seinem großen Alterswerk, der sogenannten Atriden-Tetralogie inspirierte, in der er die "verteufelt humane" Iphigenie Goethes durch eine authentischere, barbarische überwinden wollte; schließlich das sich 1945 installierende Regime der Sowjets in seiner schlesischen Heimat, die der Greis daraufhin nicht mehr verlassen musste, so dass er ein Jahr später auf seinem "Wiesenstein" bei Agnetendorf im Riesengebirge friedlich sterben konnte.

Immer "schickte sich" der noch heute vielgespielte Dramatiker, der zu seinen Lebzeiten unumstritten als größter lebender Dichter der Deutschen galt, nach anfänglichem Zögern und "Niederringen kleinmütiger Zweifel" in die Dinge und machte seine Verbeugung vor der normativen Kraft des Faktischen.

Wie dieses Verhaltensmuster im Detail und während der Jahre 1933 bis 1945 aussah, das hat nun minutiös und mit großer, mehrfach auch an anderem Ort unter Beweis gestellter Kennerschaft der Berliner Germanist Peter Sprengel herausgearbeitet. Er argumentiert auf der Basis von Texten, die auch Nicht-Veröffentlichtes von Gerhart Hauptmann einbegreifen, diverse Briefe, seine Tagebücher, vor allem aber (was sich als unerwartet ergiebig erweist): Anstreichungen und Randbemerkungen in Hauptmanns damals gelesenen Büchern, etwa Nietzsches "Willen zur Macht" oder Hitlers "Mein Kampf".

Sprengel ist eine ausgesprochen fein nuancierte Darstellung gelungen, aus der hervorgeht, dass Hauptmann zwar kein Nazi im klassischen Sinne war, aber doch mit Sympathie Deutschlands Wiederaufstieg unter Hitler begleitete. Noch dazu zeigte er sich ab 1933 in einem Grade zur Zusammenarbeit mit den neuen Herren bereit, die auch gelegentliche Änderungen seiner Stücke im Sinne aktueller ideologischer Zuspitzung nicht ausschlossen – Hauptsache, sie wurden überhaupt gespielt.

Hauptmann, der über 70 Jahre alt war, als die Nazis zur Macht gelangten, war zu jener Zeit ein berühmter, aber im Grunde nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses stehender Autor. Die Jüngeren, Modernen hatten sich von ihm abgewandt, und seine langatmigen Romane beispielsweise wurden kaum noch rezipiert. Die Theater aber hielten weiterhin zu ihm, immer standen seine Stücke auf dem Spielplan, und die größten, wichtigsten Bühnen des deutschsprachigen Raums schrien "Hier", wenn es darum ging, sich die Uraufführung eines neuen Stückes zu sichern.

In dieser Frage herrschte lange die von Hauptmanns Freund Erich Ebermayer verbreitete Auffassung, Goebbels habe mehrfach Aufführungen von Hauptmann untersagt. Das kann Sprengel als Legende entlarven. Gerade Goebbels war vielmehr entzückt von Gerhart Hauptmann (als Mensch) und notierte noch in den vierziger Jahren in sein Tagebuch: "Im Grunde ist er einer von uns." Auch mit anderen Nazi-Größen, etwa Baldur von Schirach, verstand sich Hauptmann ausgezeichnet.

Dennoch litt er immer wieder unter Gewissensqualen, weil er sich nicht für die Juden einsetzte, deren Verfolgung er bemerkenswert schönfärberisch verdrängte. Die jüdische Theaterkritik, allen voran Alfred Kerr, hatte Hauptmann groß gemacht, und dieses Fallenlassen einstiger Freunde, Weggefährten, Förderer hat man ihm mit Recht schon zu seinen Lebzeiten als besonders unanständig vorgeworfen.

Der Titel des bemerkenswerten Buches von Peter Sprengel, in dem man auch viel über die Wertehaltungen des deutschen Bürgertums lernen kann, lautet nicht von ungefähr "Der Dichter stand auf hoher Küste" (einem Gedicht Hauptmanns entlehnt). Sprengel arbeitet nämlich eine Denkfigur besonders anschaulich heraus: es ist die tief im "deutschen Geist" verwurzelte Auffassung vom Dichter, der über den Dingen und schon gar über den politischen Tagesereignissen steht. Die Favorisierung des Tiefen, Philosophischen, Religiösen, Mystischen, kurzum: die Weltanschauung dispensierte den Schriftsteller, so war auch Hauptmanns Auffassung von einer Einmischung in die aktuellen Vorkommnisse und Debatten.

1938 notierte Hauptmann in sein Tagebuch: "Ich muss endlich diese sentimentale 'Judenfrage' für mich ganz abtun: Es stehen wichtigere, höhere deutsche Dinge auf dem Spiel." Dieser Drang zum Höheren war leider anschlussfähig für vieles von dem kruden weltanschaulichen Gebräu, das auch die Nazis fortwährend vor sich hertrugen, wobei sie kräftig bei den irrationalistischen Volkstumspropheten und nationalen Mystikern plünderten, die bereits seit dem späten 19. Jahrhundert ihre fragwürdigen ideologischen Konstrukte publiziert hatten (wie Chamberlain, Paul de Lagarde, der späte Nietzsche mit seinem Kult des "Übermenschen" und viele andere).

Gerade weil Gerhart Hauptmann eine so repräsentative Figur war, lohnt es sich, über seinen Fall nachzudenken. Man kann auch heute noch die Ja-Sager allenthalben ausfindig machen. Nur sagen sie heute zu anderen Dingen ja. Das Muster mangelnder Zivilcourage ist zu allen Zeiten ein Problem.

Besprochen von Tilmann Krause

Peter Sprengel: Der Dichter stand auf hoher Küste - Gerhart Hauptmann im Dritten Reich
Propyläen Verlag, Berlin 2009
368 Seiten, 24,90 Euro