Ein bürokratisches Monstrum

Rezensiert von Andreas Abs · 30.03.2006
Hans Herbert von Arnim ist allseits bekannt als Kritiker von Parteien und Politikern. Und nun hat er sich in seinem Buch "Das Europa-Komplott" die EU vorgeknöpft. Sein Urteil: Die Europäische Union hat sich zu einem bürokratischen Monstrum ohne demokratische Kontrolle entwickelt.
Hans Herbert von Arnim ist allseits bekannt als Kritiker von Parteien und Politikern. Und nun hat er sich in seinem Buch "Das Europa-Komplott" die EU vorgeknöpft. Sein Urteil: Die Europäische Union hat sich zu einem bürokratischen Monstrum ohne demokratische Kontrolle entwickelt.

Von Arnim ist allseits bekannt als Kritiker von Parteien und Politikern und deren Machenschaften, vor allem bei ihrer finanziellen Ausstattung. Welchen Blick wirft der Autor nun auf die Europäische Union?

Der Autor wirft einen ziemlich vernichtenden Blick auf die EU. Wäre ein Staat so undemokratisch organisiert wie die EU, hätte er keine Chance auf Aufnahme in die Gemeinschaft, sagt von Arnim. Der Autor will nun keinen Überblick über die gesamte Konstruktion der Union liefern. Er nimmt die aus seiner Sicht anstößigsten Teile heraus. Sein Ton ist wie gewohnt bissig, aber wissenschaftlich untermauert mit Belegen. Die EU – das ist der Kern seiner Kritik – sei weit davon entfernt, demokratisch und bürgernah zu sein. Dabei nimmt der Autor keine Rücksicht auf den politischen Mainstream, für den die EU über alle kleinliche Kritik erhaben ist. Dahinter, und das analysiert ja nicht nur von Arnim so, hat sich ein monströses, bürokratisches Gebilde entwickelt, das inzwischen, ohne echte demokratische Legitimation und ohne wirkliche demokratische Kontrolle – in alle Lebensbereiche der Bürger hineinregiert.

Beginnen wir mit dem Grundsätzlichen: Was ist für den Autor das demokratische Defizit der EU? Könnte das zum Beispiel durch eine Aufwertung des EU-Parlaments geheilt werden?

Europa hat sich von Arnim zufolge zum Selbstzweck entwickelt. Allgemein zu Bewusstsein gekommen sei dies mit der Ablehnung des Verfassungsvertrages durch die Franzosen und die Niederländer. Die EU habe sich angewöhnt, an den Völkern vorbei zu regieren. Diese hätten weder direkten Einfluss noch Kontrolle. Dabei stammten mittlerweile fast 80 Prozent aller Regelungen in Deutschland für die Wirtschaft aus Brüssel und 50 Prozent der übrigen Gesetze.

Von Arnim weist auch auf das fundamentale Problem Europas hin: Es gibt kein europäisches Volk, also keine europäische Öffentlichkeit, und deshalb keine wirkliche Kontrolle. Nach Auffassung von Arnims dürfen deshalb auch nicht die Befugnisse des EU-Parlaments einfach ausgeweitet werden, denn eine europäische Öffentlichkeit wird es in der Tat auf absehbare Zeit nicht geben. Dazu gibt es fundamentale Legitimationsmängel des Parlaments wie der, dass es kein einheitliches Wahlverfahren für die EU-Abgeordneten gibt, oder die krasse Ungleichgewichtung der Wählerstimmen: Kleine Länder werden – dem Völkerrecht und nicht dem Demokratieprinzip folgend - massiv bevorzugt: Luxemburg mit einer halben Million Einwohnern hat im Europaparlament zwölf mal mehr Gewicht als Deutschland (im Rat sogar 40 mal so viel). Gleiches gilt auch für die Besetzung der Kommission, in der jedes Land derzeit einen Sitz hat, ebenso für den europäischen Rechnungshof und den europäischen Gerichtshof.

Bedenklich für die Demokratie ist auch der Europäische Gerichtshof, der über seine Kompetenzen weitgehend selber entscheidet und ständig seine Rechtssetzung ausweitet. Der Mangel an Demokratie zeige sich auch, wenig überraschend, in der verbreiteten legalen wie illegalen Korruption.

Was nennt denn der Autor da konkret? Was ist für ihn anstößig an den EU-Finanzen?

Der Umgang Brüssels mit Geld zeigt für den Autor eine abstoßende Ferne vom Bürger. So erhalte der EU-Beamte ein doppelt so hohes Gehalt wie ein nationaler Beamter in vergleichbarer Position plus Steuervorteile und Versorgungsprivilegien, wie sie national als unanständig gälten. Damit kann das höchste Gehalt, das eines EU-Generaldirektors, bei 20.336 Euro monatlich liegen – ein vergleichbarer deutscher Ministerialdirektor, verheiratet, ohne Kinder, erhält 9347 Euro. Unsauber daran ist auch, dass die Kommission, deren Spitzengehälter sich an den Beamtengehältern orientiert, über deren Besoldung befindet – also kein Interesse an Kontrolle und Beschränkung haben kann. Und auch bei den Abgeordneten sind die Dinge von Arnim zufolge außerordentlich unsauber geregelt und das wird mit dem neuen Statut, das von 2009 an gilt, nicht entscheidend besser. Derzeit erhalten die Abgeordneten der EU ihre an der Heimat orientierte Diät. Zusätzlich aber haben sie ein verschleiertes hohes Nebeneinkommen mit Spesen und mit einer Sekretariatszulage in Höhe von 14.865 Euro, die sich gut für die Beschäftigung der eigenen Ehefrau verwenden lässt, was, anders als in Deutschland, nicht verboten ist.

Was schlägt der Autor nach so viel Kritik an Europa vor? Wie wäre aus seiner Sicht Europa zu reformieren?

Der Autor meint aber nun, aufgegeben werden dürfe Europa keinesfalls, ein Rückzug auf die Nation sei ein unvorstellbarer Rückschritt. Eine Lösung der Defizite seien mehr Transparenz und Demokratie und vor allem die strenge Beachtung der Subsidiarität, sprich alles muss auf denkbar unterster Ebene gelöst werden, wodurch automatisch mehr Mitwirkung und Kontrolle durch die Bürger gewährleistet ist. Das Subsidiaritätsprinzip müsse in der EU institutionell gesichert werden durch ein eigenes Subsidiaritätsgericht, das gegen Machtanmaßung von anderen EU-Institutionen einschreiten kann. Nötig seien ferner auch in Deutschland Volksabstimmungen über wichtige Vorhaben wie den Verfassungsvertrag. Es gibt für von Arnim auch Hoffnung auf Reformen: die sinkende Wahlbeteiligung bei den Europa-Wahlen, die über kurz oder lang Änderungen erzwingt.

Gibt es aus Ihrer Sicht etwas an dem Buch zu kritisieren? Könne Sie das Buch uneingeschränkt empfehlen?

Kritisch ist zu sehen, dass das Buch unnötige Längen aufweist, weil manche Aspekte mehrfach abgehandelt werden. Das ließe sich deutlich straffen. Dem Lektor ist anzulasten, dass in einigen Fällen einfach Wörter fehlen und Sätze unvollständig sind. Das Buch ist ansonsten uneingeschränkt zu empfehlen. Wen – als überzeugter Demokrat – bei Europa immer auch ein ungutes Gefühl beschlich, der weiß nach der Lektüre sehr viel genauer, warum das eine richtige Ahnung war.

Hans Herbert von Arnim: Das Europa-Komplott. Wie EU-Funktionäre unsere Demokratie verscherbeln
Carl Hanser Verlag, München 2006
442 Seiten, 24,90 Euro