Ein Blitzgerät als Symbol

Rezensent: Tobias Rapp · 05.07.2005
1968 war das prägende Jahr der deutschen Nachkriegszeit. Doch wie kann man sich dieses Jahr jenseits des üblichen ABCs von Adorno, Berliner Straßenkämpfen und Kommune 1 vorstellen? Der Berliner Schriftsteller Bernd Cailloux hat für seinen Roman "Das Geschäftsjahr 68/69" ein so einfaches wie überraschendes Symbol gefunden: das Dauerblitzgerät.
Eigentlich ermüdet es ja, das ewige deutsche Abarbeiten an 1968. Die ewigen Debatten, ob die "68er" dem Werteverlust den Weg gebahnt hätten, wie das Bestehen darauf, erst 1968 habe die Zivilisierung der Bundesrepublik begonnen. Ja, wir haben verstanden und wollen es doch nicht mehr hören: 1968 war das prägende Jahr der deutschen Nachkriegszeit. Doch wie kann man sich dieses Jahr jenseits des üblichen ABCs von Adorno, Berliner Straßenkämpfen und Kommune 1 vorstellen?

Der Berliner Schriftsteller Bernd Cailloux hat für seinen Roman "Das Geschäftsjahr 68/69" ein so einfaches wie überraschendes Symbol gefunden: das Dauerblitzgerät, auch bekannt als Stroboskop oder Diskoleuchte. Dieses Gerät entwickelt sein Protagonist (fast aus Zufall) und gründet eine Firma, um dieses Gerät unters Volk zu bringen. Jumping Jack Flash nennen er und seine Freunde das Ding: der Blitz, der aus der Kiste kommt. Dem namenlosen Ich-Erzähler verschafft es ein wahrhaftes Erweckungserlebnis, auf einmal winkt das endlose Glücksversprechen der bewusstseinserweiternden Gegenkultur. Das soll der Rest der Welt auch bekommen.

Nur über das Wie ist er sich mit seinem Geschäftspartner nicht einig, und so ist das große Thema von "Das Geschäftsjahr 68/69" eben nicht nur die Geburt der Gegenkultur aus dem Geiste einer durch Technik ermöglichten Grenzerfahrung - genauso geht es um den damit einhergehenden Konflikt, der sich immer durch den Pop zieht: "Mit welchem Anspruch wollten wir demnächst auftreten? Als Künstlergruppe, als elektrische Derwische mit dem Blitz der Erleuchtung durch die Republik ziehen? Oder doch als Firma, als kleines, seine wahren Absichten verschleierndes Unternehmen?" Also: korrekt bleiben oder ausverkaufen? Künstler bleiben oder Dienstleister werden? Kapitalismus oder Traum? Vielleicht beides? Beides geht natürlich nicht, auch wenn es 1968 für einen Augenblick so aussieht. Denn mit ihrem Blitz tritt die Firma einen Siegeszug durch die deutschen Clubs an, der Protagonist stellt das Gerät im coolsten Laden Hamburgs vor und trifft Frank Zappa.

Das Schöne an diesem Roman ist, dass er sich nicht nur formal äußerst elegant an seinen Inhalt anschmiegt - das Ganze ist als ein dauerzuckendes Blitzleuchten erzählt, mit lauter Snapshots, ein großes Flackern der Erkenntnis. Cailloux umschifft vor allem all die Klischees, denen man im Umgang mit 1968 so unvermeidlich zu begegnen gezwungen ist. Ja, die Bilder von nackten Kommune-Mitgliedern üben auch damals schon einige Anziehungskraft und Faszination aus. Im Unterschied zu der Verklärung oder Abscheu, mit denen ihn heute meist begegnet wird, ist den Protagonisten von "Das Geschäftsjahr 1968/69" aber einigermaßen klar, dass mehr über Love-Ins geredet wird, als dass sie wirklich stattfinden.

Das ist so angenehm unaufgeregt wie historisch akkurat. Wenn all die Leute, die heute behaupten, damals mitdemonstriert zu haben, wirklich auf die Straße gegangen wären - die Bewegung hätte wahrscheinlich die Größe bekommen, die ihr heute immer untergeschoben wird. Sind sie aber nicht. Sie haben eher Firmen gegründet, kleine Erfolge gehabt und sind dann doch gescheitert. Die Popkultur, die dabei entstand, samt ihrer Versprechen und Verheißungen, gibt es aber heute noch.

Bernd Cailloux: Das Geschäftsjahr 1968/69. edition suhrkamp, 254 S., 10 Euro.