"Ein bisschen Anarchie täte uns allen auch ganz gut"

Bernd Böhlich im Gespräch mit Britta Bürger |
Dass man auch im Alter den Mut haben soll, sehr unvernünftig zu sein, dazu wolle er mit "Bis zum Horizont, dann links!" aufrufen, erklärt Regisseur Bernd Böhlich. Seit vielen Jahren habe er daran gearbeitet, die Misere der letzten Lebensjahre als unterhaltsame Komödie zu erzählen, so Böhlich.
Britta Bürger: Der Regisseur und Drehbuchautor Bernd Böhlich ist bekannt dafür, dass er den Leuten sehr genau aufs Maul schaut. Das hat er vielfach im "Polizeiruf 110" bewiesen, in den Fernsehfilmen mit Horst Krause, aber auch in dem Kinoerfolg "Du bist nicht allein" mit Axel Prahl. In seiner neuen Tragikomödie nimmt er das Leben im Seniorenheim unter die Lupe und lässt die Alten rebellieren. "Bis zum Horizont, dann links!" heißt der Film, über den wir gleich mit Bernd Böhlich sprechen.
Der Regisseur Bernd Böhlich hat auch das Drehbuch geschrieben, schönen guten Tag, Herr Böhlich!

Bernd Böhlich: Einen wunderschönen guten Tag!

Bürger: Die unbefriedigenden Zustände in den deutschen Altersheimen, das Abschieben alter Menschen, die Sinnlosigkeit des Dahinvegetierens, das ist ja eine Ebene des Films, die Sie auch sehr drastisch zeigen: die Probleme mit dem Gebiss, mit der Toilette, der fehlenden Intimsphäre, Konfrontation mit verwirrten Zimmernachbarn. Woher kam der Impuls, die Misere zum Ausgangspunkt einer Komödie zu nehmen?

Böhlich: Mich hat das schon viele Jahre beschäftigt: Also, wie geht man mit der Zeit um, die einem dann bleibt, wenn das sogenannte Berufsleben abgeschlossen ist? Das ist ja auch eine Zeitspanne, die im Grunde genommen auch immer länger wird, und da kann es ja jetzt nicht nur darum gehen, dass man das irgendwie verwartet und zu Ende bringt. Mir war auch klar, dass ich es jedenfalls nur in einem Erzählton machen möchte, der unterhaltsam ist.

Also, ich fühle mich da jetzt nicht als Ankläger von teilweise sicherlich sehr problematischen Zuständen oder so, sondern mir ging es darum, dass man Leute jetzt auch nicht verschreckt. Ich muss jetzt nicht in den ersten Minuten des Films, muss das jetzt nicht alles nach, weiß ich nicht, Medizin riechen und düstere Bilder sein, sondern das soll schon ein Film sein, in den man auch gerne reingeht.

Bürger: Ja, wobei Sie diese Wirklichkeitsebene dann ja doch auch relativ schnell verlassen. Also, schon ganz am Anfang, im Heim, wird es lustig, beim Heimalltag, den Sie da beobachten, wenn die zum Beispiel ihre Gymnastikstunde machen und die männlichen Bewohner vor allen Dingen hingehen anscheinend wegen des Hüftschwungs von Amelie, gespielt von Anna-Maria Mühe mit einem kurzen Kittel. Das ist dann lustig, noch realistisch, weil Sie die alten Lustmolche in dem Heim vorführen.

Aber ich habe mich schon gefragt, warum Sie da nicht auf dieser Wirklichkeitsebene geblieben sind, sondern dann doch schnell drastisch umschwenken, durchaus auch mit Klamauk, indem die Alten dann eben bei einem Ausflug eine Maschine entführen und sich nach Griechenland fliegen lassen. Warum?

Böhlich: Na ja, diese Entführung ist sicherlich sehr überhöht, das ist auch sehr drastisch. Für mich ist das auch so was wie eine Metapher, dass man im Alter auch den Mut hat, sehr unvernünftig zu sein. Ich meine, wir leben alle in sehr engen Regeln und unsere Alltage sind alle immer sehr strukturiert und, und, und, und, und. Und ich finde, ein bisschen Anarchie täte uns allen auch ganz gut. Ich habe das jetzt gerade auch wieder in Berlin erlebt, als wir die Premiere dort hatten, da waren mehrere Seniorinnen da, die in Berlin jetzt ein Haus besetzt haben, die eben einfach sagen, ja, wir greifen jetzt auch mal zu anderen Mitteln. Natürlich ist eine Hausbesetzung nicht vergleichbar mit einer Flugzeugentführung, aber ein bisschen Unvernunft, finde ich, tut dann schon auch mal gut.

Bürger: Sie haben schon vor zehn Jahren, habe ich gelesen, versucht, dieses Drehbuch unterzukriegen. Warum war das so schwer?

Böhlich: Das war deshalb so schwer, weil ich im Sommer 2001 damit fertig war und dann sind da in New York so ein paar Idioten in diese Twin Towers reingeflogen. Und danach kam ich mit einem Drehbuch, Komödie Flugzeugentführung! Da sagten die Förderer – und Kino in Deutschland ist eine Sache, die man sich eben, die man ja zusammensetzen muss aus verschiedenen Fördertöpfen –, die sagten: Nein, also, das ist jetzt nun, finden sie einfach geschmacklos, in dieser Zeit eine Komödie zu machen, in deren Mittelpunkt eine Flugzeugentführung steht!

So, und dann vergingen ein paar Jahre und dann habe ich mich an die Lufthansa gewandt und, weil, man braucht ja diese Maschine. Also, das Ganze spielt ja überwiegend in einem Flugzeug und die Lufthansa hatte, also, die Pressestelle hatte das gelesen, sagte, ja, wir haben uns da wirklich auch, wir haben uns gut amüsiert, aber wir würden uns niemals an so was beteiligen, weil, das ist einfach Image-schädigend. Und dann war es eine Gruppe aus der Schweiz, denen so ein Flugzeug gehört, und die sagten, ja klar sind wir dabei!

Bürger: Hatten Sie damals schon dieselben Schauspieler im Sinn?

Böhlich: Also, Otto Sander war von Anfang an gesetzt, Anna-Maria Mühe, Stadlober, das waren so, ja, das war der Kern. Und dann hat es sich natürlich über die Jahre zwangsläufig verändert, ist ja klar. Ich meine, das ist dann einfach auch was ganz anderes, wenn Sie sich mit jüngeren Schauspielern verabreden und sagen, du, also, in dem Jahr klappt es jetzt nicht, aber vielleicht in zwei Jahren! Also, das sagen Sie jetzt einem 90-Jährigen, der sagt Ihnen natürlich auch: Gott, ja, mag ja sein, aber wer weiß, was mit mir in zwei Jahren ist! So, da muss jemand jetzt nicht unbedingt unter der Erde liegen, aber es kann ja einfach sein, dass er hinfällig ist!

Bürger: Zum Filmstart der Seniorenkomödie "Bis zum Horizont, dann links!" sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Regisseur und Drehbuchautor Bernd Böhlich. Die Alten im Film, das ist ja seit einer Weile richtig ein Trend. Ich erinnere mich an "Wolke 9" von Andreas Dresen, an Leander Haußmanns "Dinosaurier", auch an Wolfgang Murnbergers "Die Spätzünder", dann gibt es internationale Produktionen wie "The Best Exotic Marigold Hotel" und den Film "Und wenn wir alle zusammenziehen?". Und in den meisten dieser Filme brechen die Alten tatsächlich aus, aus diesem für sie vorgesehenen Schema. Ist das nicht im Grunde die Wunschvorstellung der erst mittelalten Regisseure? Sie selbst sind 55, also, auch die Angst vor dem eigenen Altern?

Böhlich: Es ist vor allen Dingen die Sorge, dass man sein Leben jetzt nicht unbedingt in so einer Monotonie beschließt. Und das scheint mir eben auch das größte Problem in den Heimen zu sein. Ich bin ja sehr viel rumgefahren, habe mich mit Leuten unterhalten, habe mir Heimordnungen durchgelesen. Also, der Eindruck ist ja immer der gleiche: Es ist ein Leben in ganz starren Regeln. Und dieses Reglement, das macht eben diesen Alltag so furchtbar monoton. Wer ist denn gerne um 18:00 Uhr Abendbrot und geht eine Stunde später ins Bett? Das ist einfach lächerlich!

Und dass das so ist, hat eben viele Ursachen. Also, das Personal ist teilweise, ist schlecht bezahlt, es gibt zu wenig Leute, so eine Schwester ist dann auch schnell überfordert, die will das dann einfach, die will dann so einen Tag eben auch mal beschließen. Und das alles wirkt sich eben aus dann auf die älteren Leute, die in so einem Heim leben, und die fühlen sich dann eben wirklich abgeschoben. Es ist dort, wo diese Grundversorgung gewährleistet ist, dort müsste es jetzt eigentlich erst mal losgehen!

Bürger: Eine Schauspielerin wie Angelica Domröse, die auch eine dieser Heimbewohnerinnen spielt und die wir vermutlich alle noch als junge Paula vor Augen haben, die bekommt hier seit vielen Jahren mal wieder eine große Kinorolle. Wie hat Angelica Domröse auf dieses Drehbuch reagiert?

Böhlich: So, dass sie ohne Zögern zugesagt hat, was mich natürlich sehr gefreut hat. Und für mich war das, aber auch alle anderen Begegnungen, waren ganz zauberhaft, weil es eben Schauspieler sind, die in meiner Kindheit in Filmen eine große Rolle gespielt haben, die ich dann über viele, viele Jahre aus dem Gedächtnis verloren habe, beziehungsweise die eben auch selber gar nicht mehr so präsent waren in dieser Medienlandschaft.

Und ich mag so was sehr, ich mag das gerne, dass man dann so Biografien auch wieder aufgreift. Ich sehe auch gerne Schauspieler, die ich über viele Jahre vielleicht fast vergessen hatte, so jemanden auch wie Ralf Wolter! Ich meine, ich war ein kleiner Junge, da habe ich diese Karl-May-Filme quasi verschlungen und dann treffe ich diesen Schauspieler, der jetzt 85 ist, und drehe mit dem einen Film! Das sind sehr schöne Situationen, die ich da gerne mag.

Bürger: Sie zeigen ja beides: die durchaus noch eitlen Gealterten und andere, deren Gesichter gelebtes Leben spiegeln. Wie war das beim Dreh, legen alte Schauspieler besonderen Wert darauf, wohlwollend in Szene gesetzt zu werden, gab es Widerstand in irgendwelchen Szenen?

Böhlich: Nein, Widerstand gab es nicht. Es war ein wahnsinniges hohes Maß an Professionalität, also, das hat mich schwer beeindruckt, muss ich sagen. Weil, diese ganze Dreherei war für alle Beteiligten auch eine ziemlich körperliche Belastung. Dieses Flugzeug steht eben in einem Museum, in Dessau, im Junkers-Museum steht dieses Flugzeug, und sämtliche Innenaufnahmen haben dort stattgefunden.

Und das ist körperlich, das ist einfach wirklich sehr, sehr anstrengend! Also, morgens um neun in dieses Flugzeug zu steigen und die nächsten acht bis zehn Stunden in diesem Hohlkörper miteinander zu verbringen ... Das ist wahnsinnig heiß da drinnen, das ist dann stickig irgendwann mal durch die Scheinwerfer, durch die vielen Leute und so weiter, also, das ist alles, war das nicht so ganz einfach, und ich habe gestaunt und habe das bewundert, mit welcher Konzentration da alle zu Werke gegangen sind und nicht genörgelt, nicht gejammert haben, toll vorbereitet waren.

Otto Sander, der quasi so der Häuptling ja dieser ganzen Truppe ist, der hatte sich vorher einen Coach genommen, der hatte das Drehbuch komplett im Kopf, diese 160 Seiten! Also, das ist alles von einer Ernsthaftigkeit und Professionalität gewesen, das hat mich schwer beeindruckt, muss ich sagen, und auch der kollegiale Umgang untereinander, mit welchem Respekt da miteinander gespielt wird. Aber nicht zuletzt – das klingt jetzt alles so ein bisschen sehr so nach preußischer Disziplin, ja, aber es hat auch allen einen Riesenspaß gemacht, weil natürlich alle – da muss man jetzt kein Prophet sein – wussten, in dieser Konstellation wird man jetzt nicht noch mal zusammenkommen!

Bürger: Heute startet Bernd Böhlichs neue Seniorenkomödie mit großer Schauspielerbesetzung in den Kinos, "Bis zum Horizont, dann links!". Herr Böhlich, ich danke Ihnen fürs Gespräch!

Böhlich: Ja, bitte schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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