Ein Ball, ein Spiel, ein Sieger

Von Reinhard Kreissl · 27.06.2008
Als Teilzeit-Wiener und Berufs-Mobiler ist man in diesen Tagen Opfer an- und abschwellender Erregungen: Die Skala der öffentlichen und veröffentlichten Gefühle rund um die Fußball-Europameisterschaft reicht von siegesgewissen Cordoba-Rufen vor dem Spiel gegen die Deutschen bis hin zur Schlagzeile über revoltierende EM-Fans, die sich nach dem Ausscheiden ihrer Mannschaft aus dem Wettbewerb beklagen, das Bier des Monopolanbieters sei teuer und wässrig.
In Amsterdam hingegen fällt der EM-Rummel kaum ins Gewicht, zu bunt ist diese Stadt schon unter Normalbedingungen. Lediglich der Taxifahrer verwickelt einen in eine Diskussion über die deutsch-niederländische Erbfeindschaft, die in jedem Spiel zwischen den beiden Mannschaften eingebacken sei – eine wunderbare Formulierung für die Langlebigkeit nationaler Ressentiments. In der Schweiz hingegen wird der Weg ins Hotel zum Spießrutenlaufen zwischen angereisten und angeheiterten Fans der gerade aktiven Teams. Bunt gekleidete Figuren fallen hier einfach schneller auf als in Amsterdam. Lediglich Barcelona strahlt, zumindest in der Vorrunde, noch ein gewisses nonchalantes Desinteresse an dem Spektakel aus. Die Stadt ist gerade fest im Griff einer Fahrraddemo für eine alternative Verkehrspolitik. Erst beim Rückflug meldet sich die EM zurück. Die Landung am Wiener Flughafen verzögert sich durch den Stau im Luftraum um eine halbe Stunde.

Für den Normalverbraucher ist dieses Spektakel eine Aneinanderreihung von Nebenfolgen: Staus, Verspätungen, Umwege und verschärfte Kontrollen der üblichen Unverdächtigen. Das Ausmaß der Kontrolle übersteigt das der Erregung um ein Vielfaches.

National gefärbte Erregungen konzentrieren sich offensichtlich nur auf das unmittelbare Spielgeschehen, das profitabel in den Fanzonen der UEFA vermarktet wird. Die lokalen Medien tun das ihre, um die Volksseele mit den passenden Gefühlen zu versehen und die oft eher gelangweilt bis genervt wirkende Bevölkerung für die Ehre auf dem Spielfeld zu gewinnen. Sieht man von einigen durchaus handgreiflichen Konfrontationen zwischen Siegern und Verlierern unmittelbar nach den Spielen ab, so erinnert das Ganze eher an die Love Parade mit Verkleidung in den Landesfarben – Nationalismus als Themenparty!

Bemerkenswert ist dabei die Kombination aus hedonistischem Massenspektakel und hemmungslos harmlosem Umgang mit den Nationalfarben. Als die Mannschaften von Polen und Österreich gegeneinander spielten, war die Wiener Innenstadt einheitlich in Rot-Weiß-Rot getaucht. Wer sich da nun in eine polnische und wer in eine österreichische Fahne gewickelt hatte, war nicht zu entscheiden. Auch für die Unterscheidung der Schlachtrufe braucht es ab einem gewissen Alkoholisierungsgrad der umherziehenden Fans ein geschultes Ohr.

Besorgt zeigte sich da eher noch die Politik. Ein übereifriger Mitarbeiter der Verwaltung erstattete im Vorfeld Anzeige gegen Autofahrer, die sich eine österreichische Fahne ans Auto klemmten. Das sei eine missbräuchliche Verwendung von Hoheitszeichen und daher zu ahnden. Der Mann wurde schnell zurückgepfiffen. Ansonsten verläuft an der Schlachtlinie zwischen den traditionellen Gegnern offensichtlich alles friedlich. Die Gelegenheit ordentlich einen drauf zu machen, sich außerhalb der Zeit wie beim Rosenmontagsumzug zu verkleiden und mit dem Büroanzug auch kollektiv die guten Manieren abzulegen, scheint attraktiver zu sein als der Marsch gegen die feindlichen Fans hinter dem Kriegsbanner der eigenen Mannschaft.

Geschichte wiederholt sich heutzutage nicht mehr als Farce, sondern eher als Grillparty mit Dosenpfand. Bald ist alles vorbei und dann wird sich außer dem Schatzmeister der UEFA und all jenen, die an den Spielorten das Ganze finanziert haben, wohl niemand mehr an dieses Spektakel erinnern.


Reinhard Kreissl: geb. 1952, Soziologe und Publizist. Studium in München, Promotion in Frankfurt/Main. Habilitation an der Universität Wuppertal. Kreissl hat u.a. an den Universitäten San Diego, Berkeley und Melbourne gearbeitet. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen verfasst und schrieb regelmäßig für das Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung". Buchpublikationen u. a.: "Die ewige Zweite. Warum die Macht den Frauen immer eine Nasenlänge voraus ist". Gerade erschienen ist bei Diedrichs im Hugendubel Verlag "Feinde. Alle, die wir brauchen". Kreissl lebt in München und Wien.
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Reinhard Kreissl© privat