"Eignet Euch die Aneigner an!"

22.11.2012
Für Krysmanski existiert "Richistan", das Reich der Superreichen. Außerhalb staatlicher und demokratischer Kontrolle agieren ihm zufolge wenige Einzelpersonen und Entscheider in Großkonzernen. Er diagnostiziert globale "Plutokratie" und die "Refeudalisierung" der Gesellschaft.
Jeder weiß, dass es die "0,1 Prozent" gibt - aber nur aus den Medien. Denn mit den Abramowitschs und Albrechts, den Buffets und Gates', den Kladdens und Fielmanns, die im Reichsten-Ranking von Forbes auftauchen, haben die wenigsten vom Rest der Welt je zu tun. Selbst Hans Jürgen Krysmanski kennt nur einen Milliardär persönlich. Allerdings interessiert den Soziologen der aufwendige Alltag der Superreichen kaum, so sehr es ihn verstört, dass in New York Eigentumswohnungen für über 50 Millionen Dollar weggehen und Privatjachten bisweilen weit teurer sind. Er will vielmehr wissen: "Wie nützlich sind die Milliardäre? Haben sie eine legitime Rolle in der Welt?" Oder kurz: "Gibt es eine 'global herrschende Klasse'?" Für Krysmanski, der in der Rosa-Luxemburg-Stiftung und bei Attac mitwirkt, ist die Sache klar.

Indessen lassen sich Superreiche ungern in die Karten schauen. Treibt sie doch laut Krysmanski um, "ihre zentrale und weitgehend abgedunkelte Stellung in praktisch allen Gesellschaften, also quasi ihre planetarische Stellung, zu verteidigen". Da bleibt Platz für blühende Phantasien. Doch Krysmanski verzichtet, so gut es geht, auf grobe Verschwörungstheorien. Er untersucht das opake Machtzentrum der Superreichen, das auf dem Wirtschaftsforum in Davos und auf den Bilderberg-Konferenzen immerhin in Umrissen erkennbar wird, indem er die internationale Presse auswertet, die Reichtumsforschung hinzuzieht und die Literatur von Karl Marx bis Jean Ziegler referiert. Ganze Seiten sind reine Zitat-Collagen, Kurse in Kapitalismus-Theorie inklusive. "0,1 Prozent" versteht sich als "Teil eines offenen Projekts" - und so wirkt das Buch auch. Allein die Zahl der Superreichen! Aus 0,1 werden hier 0,01, dort 0,001 Prozent. Wenige tausend sollen's sein, dann wieder "100.000" Personen. Oder mehr.

Aber gut. In der Hauptsache präsentiert Krysmanski gemischte Belege für die Weltmacht des Geldes und die "Herrschaft der wenigen über die vielen". Die Superreichen sind demnach samt den CEO's der Großkonzerne in exklusiven Netzwerken aktiv. Sie lassen Banken und Hedge Fonds für sich arbeiten und kaufen sich Kompetenz ein, um sinistre Finanzprodukte kreieren zu lassen und sich juristisch zu schützen. Sie entlohnen Lobbyisten-Heere, um Politik und Gesetzgebung zu manipulieren. Einige, wie der Luxushotel-Bewohner Nicolas Berggruen, leben als staatenlose Nomaden praktisch nur im Geld-Raum. Hinter einflussreichen Think Tanks (zumal in den USA) agieren Geldgeber, die ihr Interessenkalkül mit freundlicher Gemeinsinns-Attitüde tarnen. Und so weiter.

Für Krysmanski existiert "Richistan", das Reich der Superreichen, folglich außerhalb staatlicher und demokratischer Kontrolle. Er diagnostiziert globale "Plutokratie" und die "Refeudalisierung" der Gesellschaft. Den 99,9 Prozent aber ruft Krysmanski gut marxistisch zu: "Expropriiert die Exproriateure! Oder auch: Eignet euch die Aneigner an!" - Trotz mancher Wirrnis ist "0,1 Prozent" ein erträgliches, wenn auch analytisch keineswegs bahnbrechendes Buch. Die meisten Leser dürften Krysmanskis Ärger und Ohnmacht teilen. Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass das Geld notorisch zu denen fließt, die ohnehin darin schwimmen! Ist es aber. Denn die Geld-Kanäle selbst werden nach den Plänen der Superreichen gebaut.

Besprochen von Arno Orzessek

Hans Jürgen Krysmanski: "0,1 Prozent - Das Imperium der Milliardäre"
Westend Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012
240 Seiten, 19,99 Euro
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