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Wohnen
Neue Bauformen braucht das Land

Deutschland ist gesellschaftlich und demografisch im Umbruch. Darauf habe der Wohnungs- und Städtebau bislang fast gar nicht reagiert, kritisiert Niklas Maak in seinem Buch "Wohnkomplex". Architektur gehe alle an, weshalb endlich wieder mehr über Baukultur nachgedacht, gesprochen und gestritten werden sollte.

Von Monika Dittrich | 19.01.2015
    15 Quadratmeter: So viel Wohnfläche hatte ein Bundesbürger 1950 zur Verfügung. Mittlerweile hat sich die durchschnittliche Wohnfläche in Deutschland verdreifacht, auf etwa 45 Quadratmeter pro Person. Und noch etwas hat sich rasant verändert, so FAZ-Journalist und Buchautor Niklas Maak im Deutschlandfunk:
    "Eine Stadt wie Berlin hat nur noch 20 Prozent der Bewohner in Familien organisiert. Die anderen 80 Prozent sind Alleinstehende, Alleinerziehende, Rentner, Menschen, die in Gruppen wohnen möchten. Und es wäre die große Aufgabe der Zukunft, um diese Wohnwünsche, um diese Lebensformen, die sich stark geändert haben, etwas Neues herumzubauen."
    In fast jedem zweiten deutschen Haushalt lebt heute nur eine einzige Person. Doch der Wohnungs- und Städtebau habe auf diesen gesellschaftlichen Wandel bisher fast gar nicht reagiert, kritisiert Niklas Maak. In den Speckgürteln der Städte wüchsen noch immer die gleichförmigen und langweiligen Reihenhaussiedlungen in die Breite, billigst gebaut für maximale Rendite. Maak sieht hier nicht nur ein baukulturelles und ästhetisches Problem. Er legt auch auf überzeugende Weise dar, wie Innenstädte veröden, wenn immer mehr Menschen rausziehen und warum die Ökobilanz einer dicht bebauten Stadt besser ist als die matratzendick gedämmten Neubauten am Stadtrand:
    Eine "Entpolitisierung des Baudiskurses"
    "Der Klimawandel und die soziale Spaltung der Gesellschaft werden dadurch verschärft, dass zu viele Menschen von einem Haus im Grünen träumen oder sich in den überteuerten Stadtzentren keine Wohnung leisten können und deshalb wegen ein paar Quadratmetern Rasen vor die Stadt ziehen und mit einem Familienauto zur Arbeit pendeln, das (…) die Luft und die Ruhe zerdieselt, derentwegen man aufs Land zog."
    Obendrein sei dieses Land dann ja ohnehin kein richtiges Land mehr, wenn Millionen dorthin zögen. Es sei allenfalls seine "suburbanisierte, überfüllte, vollkommen verbaute Schrumpfform", schreibt Maak, der bei der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" das Kunstressort leitet. „Warum wir andere Häuser brauchen“, heißt sein Buch im Untertitel. Und das ist vor allem eine bitterböse Abrechnung mit der naturgemäß auf Gewinn fixierten Bauindustrie. Deren Häuser beurteilt der Autor als zumeist hässlich und an den Bedürfnissen vorbei geplant. Ebenso hart geht er mit der Politik ins Gericht, die dem Gebaren der Bauträger und Projektentwickler nichts entgegensetze.
    "Weil der radikalen Ökonomisierung des Bauens die Entpolitisierung des Baudiskurses gegenübersteht. Es gibt jenseits der Universitäten und Fachtagungen keine breitenwirksame Diskussion über die Frage, wie die Plätze aussehen sollen, auf denen wir uns treffen wollen, was unsere Städte und Häuser bieten sollen – und wer verhindert, dass diese Häuser und Städte gebaut werden können."
    Neue Bauformen im Ausland
    Es gibt sie schon, wenn auch selten, diese neuen und besseren Häuser, die urbanes Wohnen möglich machen, mit kurzen Wegen zur Arbeit und zum Einkauf, wo Familien und Alleinstehende, Rentner und Studenten zu Nachbarn werden können. Maak zeigt Beispiele von Baugruppen in Berlin und Kollektivarchitektur in Amerika. Viel Vorbildliches hat er auch in Japan gefunden:
    "Da werden Häuser gebaut, auf dem Gelände eines Einfamilienhauses stehen plötzlich neun Minihäuser, die kleine Höfe zueinander haben, wo man sich treffen kann, wo man mal gemeinschaftlich kochen kann, da werden neue Formen ausprobiert, die eventuell auch dem Leben der Menschen viel angemessener sind als das, was wir bisher kennen."
    Was wir in Deutschland kennen, ist vor allem die Funktionstrennung in "Schlafburgen einerseits und Arbeitswelten andererseits". Das geltende Baurecht unterstützt diese Aufteilung. Sie entspricht der Vorstellung einer ebenso strikten Trennung des Öffentlichen vom Privaten.
    "Früher waren die Dinge räumlich klar aufgeteilt. Geschäfte wurden im Büro, auf der Straße, im öffentlichen Raum gemacht, das war das Draußen (…). Das Haus, und darin vor allem das Schlafzimmer, waren Orte des Rückzugs, der Intimität, der Nicht-Kommunikation: das Innere. Die Revolution der Kommunikationstechnologie (…) hat diese (…) Ordnung durcheinandergebracht. Was heißt privat und öffentlich sein: Was tut jemand, der in seinem privaten Zimmer sieben Stunden lang Mails und SMS verschickt, geskypt und telefoniert hat, wenn er ohne Smartphone auf die Straße geht?"
    Ein Plädoyer für eine Mischung
    Geht dieser Mensch dann aus dem privaten in den öffentlichen Raum, fragt der Autor, oder ist es nicht eher umgekehrt? Die Sphären verschwimmen – und das muss für das Wohnen und Leben kein Nachteil sein. Warum also die räumliche Trennung zwischen Wohnen und Arbeiten aufrechterhalten? Verdichtungen und Überlagerungen seien ja gerade attraktiv, argumentiert Maak. Er plädiert für mehr Mischung und Heterogenität – in jeder Hinsicht. Er denkt dabei an die quirligen Städte Südeuropas, blickt aber auch in die Vergangenheit:
    "Das Berlin der Zwanzigerjahre, das auf alten Fotos als glitzerndes, funkelndes Dickicht aus Kaffeehäusern, Neonreklamen, Ampeln, Trambahnen, Fuhrwerken, Pelzmänteln, Autos, Hüten, Elektrizität, Hektik, Liebe und Zigarrenqualm erscheint, war das Ergebnis einer irrwitzigen Kompression. (…) Diese Massen, die ins Zentrum strömten, brachten ein Durch- und Übereinander der sozialen Schichten und kulturellen Rituale mit, eine chaotische Verdichtung, die das Gegenteil der Bebauung innerstädtischer Leerflächen mit gepflegt-hochpreisigem Zombifikations-Urbanismus war. Natürlich gab es im Berlin der Zwanzigerjahre noble Wohnbauten. Aber gleich daneben, dahinter, unter dem Dach, lebten Menschen mit deutlich weniger Geld, die Bars und kleine Läden eröffneten."
    Der Autor zeigt sehr anschaulich, dass Architektur kein Spezialgebiet für Spezialisten ist – sondern uns alle angeht. Architektur muss reagieren auf den gesellschaftlichen, den demografischen, ja sogar auf den digitalen Wandel. Niklas Maak geht es weniger um die atemberaubenden Museen, Stadien und Shoppingmalls der Stararchitekten, sondern um die Städte und Häuser, in denen ganz normale Menschen leben und arbeiten. Er schreibt elegant und witzig; die Lektüre ist ein großes Vergnügen. Seinem klugen und kundigen Buch sind viele Leser zu wünschen, damit endlich wieder mehr über Baukultur nachgedacht, gesprochen und gestritten wird.
    Niklas Maak: "Wohnkomplex. Warum wir andere Häuser brauchen", Carl Hanser Verlag, 320 Seiten, 21,90 Euro