"Eigentlich geht es da zu wie im Reagenzglas"

Moderation: Joachim Scholl · 14.08.2013
Einer der großen Kunstgriffe, die die Serie "Breaking Bad" aufrechterhalte, sei, dass sie leicht und mit extrem viel Humor erzählt ist, meint unser Kulturredakteur René Aguigah. Das sei eine Art Fernsehen, von der man wünscht, dass jeder sie sich mal anschaue.
Joachim Scholl: Er hat so ziemlich alle amerikanischen Fernsehpreise gewonnen, die es gibt, und ein weltweites Millionenherr von Fans wartet sehnsüchtig auf die nächste Staffel, auf die Fortsetzung der TV-Serie "Breaking Bad". Seit dem Wochenende laufen die letzten Folgen der letzten Staffel im amerikanischen Fernsehen, aber auch im Internet, auf Pay-TV-Foren kann man in Deutschland schon jetzt verfolgen, wie die Geschichte ausgeht.

Und was bisher geschah, erzählt Hendrik Evert:

Scholl: Hendrik Evert über "Breaking Bad", die Fernsehserie. Ab dieser Woche laufen die letzten acht Folgen, und wegen des riesigen Erfolges sind sie auch in Deutschland bei diversen Streamingdiensten schon zu sehen. Im Studio ist jetzt der Kollege René Aguigah, Abteilungsleiter Kultur in unserem Programm und "Breaking Bad"-Fan der ersten Stunde, willkommen!

René Aguigah: Hallo!

Scholl: Was macht, Herr Aguigah, diese Fernsehserie so besonders, was fasziniert Sie daran?

Aguigah: Bei mir war es so, dass in der ersten Stunde der Serie ich eigentlich noch gar nicht so fasziniert war. Also am Anfang war gar nichts faszinierend. Ich hab mir die erste, allererste Folge angeschaut, ich glaube, knapp eine Stunde Fernsehen ist das, und dachte dann nachher, das ist ganz toll gemacht, aber eigentlich haben die die Geschichte ja schon zu Ende erzählt. Fast alles, was wir gerade gehört haben in dem Beitrag, der das zusammengefasst hat, ist schon in der ersten Folge enthalten. Und für mich haben sich da zunächst mal keine weiteren Fragen aufgemacht. Wie will man daraus 50, 60 Stunden Fernsehen generieren.

Dann habe ich doch ein bisschen weiter geguckt, zwei, drei, vier Folgen, und bin dann tatsächlich in den Sog gekommen, in den Strudel gekommen. Und als ich jetzt, aus diesem Anlass unseres Gesprächs hier, nachgedacht hab, warum eigentlich bin ich so süchtig geworden, so in diesem Strudel versunken, sind mir drei Sachen eingefallen. Das Erste oder wie es angefangen hat bei mir, war wohl, dass man tatsächlich eine Anzahl von moralischen Problemen, die so alle unlösbar scheinen, mitmacht mit dem Helden, mit Walter White. Wenn man so will, eine Serie von moralischen Dilemmata.

Das fängt damit an, wenn ich jetzt Krebs, eine Krebsdiagnose kriege, meine Krankenversicherung zahlt nicht dafür - ist es dann moralisch okay, mir das Geld illegal zu beschaffen. Wenn ich das jetzt über Drogenherstellung mache, bin ich dann nicht eigentlich schon drin im Drogendealen? Wenn ich mit einem Drogendealer zu tun habe, der mich mit Gewalt bedroht, darf ich mich dann nicht auch mit Gewalt wehren?

Und mir nichts, dir nichts hat Walt - Whitman hätte ich fast gesagt - Walter White also einen dieser Drogenbosse tatsächlich an der Kandare, in seiner Gewalt und muss sich überlegen, weil dieser Boss zu viel über ihn, den Täter weiß, bring ich den jetzt um oder nicht, räum ich den aus dem Weg oder nicht. Und solche Dilemmata kann man extrem gut nachvollziehen, mitfiebern, und zwar unter anderem deshalb, weil Walter White als wahnsinniger Normalo eigentlich dargestellt wird, mit so einem karierten Hemd, das Hemd steckt in einer ausgebeulten Jeans.

Der Mann ist Lehrer, so ein bisschen spießig, ein bisschen gedemütigt. Und wenn einem als Zuschauer das zu blöd ist und man sich eigentlich erhaben fühlt über diesen wahnsinnig spießigen Walter White, dann gibt es immer noch an dessen Seite Jesse Pinkman, der ist wahnsinnig jung und cool und frech. Und so hat man praktisch zwei Seiten, wenn man so will, seiner selbst, um sich zu identifizieren, das zieht einen rein. Darf ich die zwei anderen Punkte noch schnell sagen, Sie gucken schon halb auf die Uhr ...

Scholl: Nein, nein, ich hab nur gelacht, als Sie gerade Walt Whitman gesagt haben, das ist ein Insiderjoke - Walt Whitman spielt als Autor, als großer amerikanischer Autor eine kleine Rolle in diesem Film, es geht um ein Buch, aber das ist jetzt, glaube ich, wirklich zu speziell. Fahren Sie fort.

Aguigah: Es gibt zwei weitere Punkte, die sind schnell erzählt, die mich jedenfalls sehr gefesselt haben. Das eine ist, dass die Handlung dieser Serie dann doch überhaupt nicht vorhersehbar ist, zumindest für mich. Immer wieder treiben die Autoren der Serie - Vince Gilligan sollte man einmal nennen, das ist der Showrunner, der über ein Team von sechs Autoren wacht und das steuert - ...

Scholl: Der hat sie erfunden, die Serie.

Aguigah: ... treiben es immer wieder an einen Punkt, an dem man denkt, es kann nicht zu Ende gehen, so wie ich nach dieser ersten Folge. Die treiben es aber immer weiter, und man ahnt nicht, wohin eigentlich. Und der dritte Punkt ist, dass diese Serie es schafft, es tatsächlich zu so einer eigenen Ästhetik zu bringen. Also, man erkennt tatsächlich die Bilder als Bilder von "Breaking Bad" wieder. Das hat was zu tun mit Tempo, hat was zu tun mit Kameraeinstellungen und nicht zuletzt, glaube ich, mit Farben.

Scholl: "Breaking Bad", die letzten Folgen der TV-Serie sind angelaufen. Wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit René Aguigah aus unserer Kulturredaktion.

Zu den Farben kommen wir noch, weil das ist auch wirklich ein ganz interessanter Punkt, aber erst mal zu dem allgemeinen, ja, auch diesem Trend amerikanischer Fernsehserien. Seit Jahren haben sie Konjunktur, von den "Sopranos", "The Wire", "Mad Men" heißen sie, "Homeland", um nur vier berühmte zu nennen, und man interpretiert diese Serien gerne so als moderne Renaissance des epischen Erzählens wie im Roman des 19. Jahrhunderts.

Also eine breite, ausführliche Entwicklung von Handlung, von Figuren, Milieus. Wie ist das bei "Breaking Bad"?

Aguigah: Also zunächst mal muss man Ihnen ganz zustimmen, "Breaking Bad" gehört in diese Reihe, gehört in diese Reihe von neuem amerikanischem Qualitätsfernsehen, Autorenserien. Und das ist übrigens auch genau der Grund, warum wir jetzt hier darüber reden. Nicht, weil das irgendwie so hip ist, eine neue Sendung zu kennen, sondern weil das eine Art von Fernsehen ist, von der man tatsächlich wünscht, dass jeder sie sich mal kurz anguckt. So wie man auch manchem Buch wünscht, dass jeder mal kurz reinguckt oder es vielleicht sogar noch Theaterinszenierungen gibt, von denen man wünscht, dass man sie sich anguckt.

Denn diese Sorte Fernsehen und auch diese Serien, die sagen was aus über unsere Zeit. Ich bin mir nicht sicher, ob nun das breite, epische Erzählen, das es ist, was die alle verbindet und - also bei der Serie "The Wire", das könnte man jetzt lang erzählen, das schaffen wir nicht. Da trifft das, glaube ich, zu, das ist so eine Art Übersetzung des realistischen 19.-Jahrhunderts-Romans in die Gegenwart.

Bei "Breaking Bad", glaube ich, funktioniert das anders. Das sind ja gar nicht so wahnsinnig viele Figuren, die da über Jahre hinweg erzählt werden, und deren Entwicklung, sondern im Prinzip sind das eine Handvoll von Figuren, die da beschrieben werden über ein oder zwei Jahre erzählter Zeit, und richtig untersucht wird aber nur einer. Das ist eben dieser Protagonist, Walter White, und ich glaube, dass das Entscheidende nicht ist, also so psychologisch feinsinnig einfühlsam zu erzählen, sondern eigentlich kann man sagen, funktioniert die Untersuchung dieses Walter White so ähnlich wie ein chemisches Experiment. Also Walter White, diese Figur kann man sich vorstellen als einen Stoff, den man sich unter dem Mikroskop anguckt. Man tut immer wieder neue Zutaten über die Geschichte da rein, und dann passieren bestimmte Sachen und der Typ verändert sich von, ganz am Anfang, dem eben beschriebenen Normalo zum völlig skrupellosen Gangster. Also eigentlich geht es da zu wie im Reagenzglas, wenn man so will.

Scholl: Mit durchaus Knallgaseffekten und völlig unvorhersehbaren, schockierenden Reaktionen. Lassen Sie uns noch mal, Herr Aguigah, auf die Vielfältigkeit dieses moralischen Dilemmas kommen, in das die Zuschauer mit hineingezogen werden. Am Anfang sympathisiert man ja mit diesem kranken, geschurigelten Helden, drückt ihm die Daumen, dass er nicht geschnappt wird, und man verdrängt, dass er Drogen herstellt, die Menschen in den Abgrund reißen. Im Fortgang der Geschichte wächst die Distanz zu dieser Figur, weil Walter immer skrupelloser wird und richtig gemein sogar, was dann den Titel auch der Serie immer glaubhafter macht, "Breaking Bad", also "Böse werden".

Was ist das eigentlich für ein Effekt, dass man sich trotzdem nicht losreißen kann, obwohl man die Hauptfigur eigentlich überhaupt nicht mehr leiden kann?

Aguigah: Ja, also, wie man den Effekt jetzt nennen kann auf einen Punkt, weiß ich nicht. Man kann es so beschreiben, genauso, wie wir es vorhin schon versucht haben. Zuerst ist er sehr, sehr nahe an einem dran, dann macht er diese Entwicklung durch. Und man kommt aber interessanterweise doch nicht in so eine ganz große Distanz, dass man denkt, okay, einer von vielen Bösewichten.

Ich glaube, das liegt daran, dass diese Serie einen nicht mit einem fertigen Bösewicht konfrontiert, sondern man beobachtet die ganze Zeit, wie das Bösewichthafte eigentlich entsteht. Und der behält die ganzen Züge, die er zu Beginn hat, mit denen ich mich identifiziert habe, ja bei.

Scholl: Die letzte Staffel nun hat insgesamt 16 Folgen, und es wird echt finster, was die Handlung angeht, aber auch die gesamte Atmosphäre wird in so ein permanent düsteres Licht getaucht, und Sie merken, Herr Aguigah, ich biege ein in das Thema, über das sie noch gerne etwas sagen möchten, weil es Sie sehr fasziniert, nämlich die Farben dieser Serie. Sie haben auch gesagt, diese Produktion bringt sozusagen eine ganz eigene "Breaking Bad"-Atmosphäre hervor.

Aguigah: Ja, man könnte viel über die Atmosphäre und Ästhetik sagen, das werden wir leider nicht mehr schaffen, aber einfach auf das Stichwort "finster" muss man sagen, insgesamt gibt es natürlich ganz, ganz viele Bilder, wo tatsächlich wie Film-noir-mäßig der Held ganz, ganz dunkel ist, und das ist für Fernsehen relativ untypisch, eine Sache, die wir eher aus dem Kino kennen.

Gleichzeitig gibt es fast überbelichtete, superhelle Bilder, nicht aus der Stadt, sondern vor allen Dingen aus der Wüste in New Mexico, wo auch große Teile des Films spielen. Und wo wir jetzt schon mal über Farben reden, muss ich doch auch drauf aufmerksam machen, dass man das eigentlich, dieses Spiel von dunkel und hell, von hyperbunt und grau in grau - ganz am Anfang ist dieser Lehrer halt vor allem in Beige- und Grautönen, also eben so langweilig, wie er eigentlich anfangs war.

Das kann man eigentlich metaphorisch verstehen. Denn diese Serie ist keinesfalls einfach nur düster und depressiv und deprimierend oder so. Also, einer der großen Kunstgriffe, die diese Serie über 50, 60 Stunden Fernsehen aufrechterhält, ist gerade, dass sie auch leicht erzählt ist und mit extrem viel Humor erzählt, und interessanterweise - Farbe - schwarzem Humor, sondern tatsächlich auch leichtem Augen-Zwinkerhumor.


Scholl: "Breaking Bad" - das Finale der TV-Serie, jetzt im amerikanischen Fernsehen, seit gestern auch auf diversen Bezahl-Onlineforen in Deutschland.

René Aguigah, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Aguigah: Bitte!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Deutschlandradio Kultur-Redakteur René Aguigah auf dem Blauen Sofa während der Leipziger Buchmesse 2013
René Aguigah auf dem Blauen Sofa während der Leipziger Buchmesse 2013© Deutschlandradio - Stefan Fischer
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