Ehrgeiz und Selbstbeherrschung

Rezensiert von Cora Stephan · 03.08.2007
Hillary Rodham Clinton, die Frau, die womöglich die erste US-Präsidentin wird, verdankt ihre Popularität ausgerechnet den Fehltritten ihres Mannes. Die Biografie der beiden "New -York-Times"-Reporter Jeff Gerth und Don van Natta zeichnet aber nicht nur das Bild Hillary Clintons, sondern ebenso der amerikanischen politischen Kultur.
"’Ich habe Fehler eingestanden’, sagte Bill. ‚Ich habe zugegeben, dass ich in meiner Ehe Leid verursachte.’
So lernte Amerika die Frau an seiner Seite kennen."

Und das ist vielleicht das Bitterste im Leben von Hillary Rodham Clinton, der Frau, die womöglich die erste amerikanische Präsidentin wird: dass sie ihre Popularität ausgerechnet den Fehltritten ihres Mannes verdankt, dass sie erst dann als Mensch neben und unabhängig von Bill Clinton kenntlich wurde, als sie ihre schlimmste Demütigung erfuhr.

Umso schlimmer für eine Frau, deren Ehrgeiz stets hoch entwickelt war und die schon in frühen Jahren den Plan fasste, eine Präsidentendynastie zu begründen: in einem "20-Jahre-Projekt" planten Bill und Hillary Clinton acht Jahre Präsidentschaft für ihn – und danach acht Jahre Präsidentschaft für sie.

Dieser kühne Plan sei bislang geheim geblieben, erklären die beiden Autoren einer unautorisierten Biographie Hillary Clintons. Nun ist er raus, pünktlich zur Kandidatur der ersten Frau für das amerikanische Präsidentenamt. Ob sie es wird?

Wer skeptisch war, ist es nach der Lektüre dieses Buchs nicht minder. Nein, Jeff Gerth und Don van Natta sind nicht bösartig. Aber sie gehören auch nicht gerade zum Fanclub, außerdem hat Hillary Clinton ihnen jede persönliche Auskunft verweigert.

Sicher, die Autoren wahren die Höflichkeit, aber sie zeichnen die Ehefrau des ehemaligen US-Präsidenten zugleich als übermäßig ehrgeizig, eher verklemmt, notorisch misstrauisch, uncharismatisch, unemotional und ohne echte politische Überzeugungen. Sie sei, kurz gefasst, nicht authentisch:

"Dass sie sich weigerte, in ihr Inneres zu schauen, half ihr durch ein Leben voller unglaublicher Erfolge, aber ebenso großen Kummers. Aber sie führte auch zu einem leicht gezwungenen, künstlichen Verhalten, einem starken Hang zur Arroganz, dem Glauben, dass die Regeln für sie nicht gelten, und der Ansicht, dass jeder, der nicht mit ihr übereinstimmt, ihr Feind sein müsse. Es ist eine große Herausforderung, die Amerikaner zu bitten, das authentische Selbst eines Menschen besser kennen zulernen, der in gewisser Hinsicht ganz bewusst darauf verzichtet hat, es selbst kennen zulernen."

Das ist ein bitteres Resümee. Und es ist in dieser Form gewiss ungerecht. Denn die Biografie der beiden Reporter der New York Times zeichnet nicht nur das Bild Hillary Clintons, sondern ebenso der amerikanischen politischen Kultur. Wer nachzuvollziehen versucht, was jemand mitgemacht haben muss, der in der Politik erfolgreich sein will, den überfällt unweigerlich Mitleid: Die Wahlkämpfe in Amerika sind, weit mehr noch als hierzulande, Stimmungswahlkämpfe; die Kandidaten sind abhängig von der Demoskopie und den Meinungsmachern.

Da kann ein falscher Zungenschlag den Beginn der Katastrophe ankündigen. Insofern darf man es als ein Wunder bezeichnen, dass Hillary Rodham Clinton, die Anwältin aus Arkansas, in ihrer politischen Karriere bis heute überlebt hat. Denn ihr Werdegang führte über mehr als einen Abgrund.

Sie stammt aus einem vom Vater republikanisch geprägten bürgerlichen Elternhaus und entwickelte sich durch die Bürgerrechts- und Antivietnamkriegsbewegung nach links. Sie war engagiert im guten amerikanischen Sinn und glaubte, als Rechtsanwältin für gesellschaftlichen Wandel kämpfen zu können.

Bill und sie

"schlossen eine Partnerschaft mit zwei unglaublich kühnen Zielen: die Demokratische Partei zu revolutionieren und Bill zum Präsidenten zu machen. ... Ein bemerkenswerter Zeitplan für zwei junge Leute Mitte 20. Und sie waren sich einig, dass nur ein Weg dorthin führte: sie mussten alles tun, um Wahlen zu gewinnen und ihre Gegner zu schlagen. Bill würde natürlich das öffentliche Gesicht des Projekts sein, und Hillary würde hinter den Kulissen wirken und die Fäden in der Hand halten."

Dass sie eine engagierte, ja brillante Anwältin gewesen sei, bezweifeln beide Autoren, nicht ohne Evidenzen.

Dafür spielte sie eine entscheidende Rolle, als Bill 1980 bei dem Versuch, als Gouverneur von Arkansas wiedergewählt zu werden, eine bittere Niederlage erlitt. Ohne sie hätte Clinton seine politische Wiederauferstehung verpasst, die ihn Jahre später ins Weiße Haus nach Washington führte.

Doch

"die Spannung zwischen den Vorteilen, die es hatte, dass sie mit ihrem Mann in Verbindung gebracht wurde, und Hillarys Wunsch nach einer eigenen Karriere blieb ein zentrales Dilemma für beide."

Als Bill Clinton am 20. Januar 1993 in das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten eingeführt wurde, sollte die First Lady Hillary mit der Gesundheitsreform eine ihr angemessene, eine Jahrhundertaufgabe übernehmen. Sie scheiterte indes nicht nur an der Dimension dieses Projekts und an den von ihr unterschätzten politischen Widerständen, sondern ebenso an der mangelnden Sensibilität der beiden Clintons für die Tatsache, dass Bill, aber nicht Hillary gewählt worden war.

Ab Weihnachten 1993 steckte Hillary in einer tiefen Depression. Gründe dafür gab es reichlich: etwa die Arbeit Kenneth W. Starrs als Sonderermittler der Untersuchungen gegen Bill Clinton und schließlich die Monica Lewinsky-Affäre, die 1998 kulminierte. Dass und wie sie in dieser bedrohlichen Krise auf der Seite ihres Mannes blieb, hinterließ in der Öffentlichkeit tiefen Eindruck:

"Der Mut, den sie angesichts des Verrats ihres Mannes zeigte, war echt, und ihr Schmerz ebenfalls. Ihre Verletztheit wirkte nicht aufgesetzt. Hillary wirkte endlich nicht mehr unfehlbar."

Hillary war plötzlich in den Umfragewerten beliebter als ihr Mann – nicht als kämpferische First Lady, sondern als Opfer; "nicht, weil sie etwas getan, sondern weil sie all das ertragen" hatte. Für eine ehrgeizige Frau dürfte das die schlimmste Kränkung gewesen sein.

Schwer einzuschätzen, welche Verletzungen all das hinterließ.

Ihre Kandidatur für den amerikanischen Senat im Jahre 1999, behaupten die beiden Autoren, rettete ihre Ehe. Bill Clinton, einst derjenige, der den Zwanzigjahresplan der beiden fast vereitelt hätte, ist heute ihr stärkstes Kapital. Hillarys politisches Comeback und ihr Kampf um die mächtigste Position in der westlichen Welt ist generalstabsmäßig vorbereitet und findet in ihrem Ehemann, dem immer noch überaus beliebten Ex-Präsidenten, eine verlässliche Stütze.

Mit Geduld und Zähigkeit hat Hillary Clinton sich vorgearbeitet und gibt sich heute pragmatisch, angepasst und an Umfragewerten orientiert. Als das größte Hindernis auf dem Weg zur Macht könnte sich ihr Verhältnis zur Irakpolitik der Bushregierung erweisen. Erst hatte sie bedingungslos zugestimmt – eine künftige amerikanische Präsidentin muss auch Härte zeigen können. Mittlerweile gerät sie nicht nur durch die Realitäten und durch die veränderte Stimmungslage, sondern auch durch die Frauen unter Druck, auf deren Stimmen sie angewiesen ist.

Auf der Suche nach einem neuen Thema entdeckte sie jüngst das Klima. Ein Herzensthema oder bloß ein gefundenes Fressen? Die Autoren unterstellen Hillary Opportunismus. Doch muss man nicht wendig bis zur Selbstverleugnung sein, wenn man etwas werden will in einer Stimmungsdemokratie? Es ist nicht Hillary Clintons persönliches Problem allein, dass nicht kenntlich wird, wofür sie steht – die Wähler überall auf der Welt wünschen das Unmögliche: eine authentische Person, die es allen recht macht. Das fordert die Lüge geradezu heraus.

Bush wird sein Alkoholismus, Clinton seine Sexgeschichten verziehen – aber verzeiht man Hillary Rodham Clinton den Ehrgeiz und die Selbstbeherrschung? Und ertragen es ihre Wähler, dass sie ihnen Angst macht – nicht nur den Männern, auch den Frauen?

"Niemand wird so genau beobachtet wie ich. Ich darf mir keinen einzigen Fehler erlauben. Ich nicht. Jeder darf das, aber ich nicht. Und das ist auch gut so. Genauso bin ich, und damit lebe ich."

Eine Garantie für Erfolg ist das nicht. Erst recht nicht für so etwas wie Lebensglück.


Jeff Gerth/Don Van Natta Jr.: Hillary Rodham Clinton - Ihr Weg zur Macht
Aus dem Amerikanischen: Michael Bayer, Karlheinz Dürr, Dagmar Mallett, Ursel Schäfer, Heike Schlatterer
Piper Verlag, München 2007
Hillary Rodham Clinton: Ihr Weg zur Macht
Hillary Rodham Clinton: Ihr Weg zur Macht (Coverausschnitt)© Piper