Egozentrisch, sexbesessen und naiv

11.09.2007
Die achtziger Jahre aus der Perspektive eines jungen Mannes aus begütertem Elternhaus. In dem Roman "Karlmann" zeichnet der Autor Michael Kleeberg das Porträt eines vom Sexus Getriebenen - und entwirft damit zugleich das Panorama einer äußerst verlogenen Gesellschaft.
Michael Kleebergs Roman "Karlmann" beginnt im Juli 1985 am Tag, an dem Boris Becker in Wimbledon siegte und endet im September 1989. Mit Charly Renn, der eigentlich Karlmann heißt, hat die Literatur ein stark egozentrisches, sexbesessenes und naives Mannsbild dazubekommen.

Charly ist der Typ von nebenan. Jeder kennt diese Typen, die – auch wenn die Emanzipation der Frau, wenn der Lauf der Welt gegen sie steht – immer wieder ihre Frauen betrügen und nicht nur im Pirelli-Kalender auf Brüste stieren. Solche Kerle betreiben ihre Geschäfte mehr oder weniger erfolgreich, peitschen ihre Autos über die Straßen, treffen sich mit ihren alten Kumpels und lassen sich, wenn sie sich wieder mal schwach fühlen, von der Mama den Kopf kraulen. Ego und Potenz sind Charlys Kapital.

Dass er am Tag von Boris Beckers Sieg Christine heiratet und vorher Christines Freundin Ina vögelt, ist Kleebergs kräftig effektvoller Einstieg in ein umfassendes Seelenportrait, in dem Charly selbst spricht und zwar so viel, dass man annehmen muss, der achtundvierzigjährige Michael Kleeberg habe mit diesem Buch der Spezies Mann eine große Denkschrift verpassen wollen. "Karlmann" ist viel weniger ein Buch über die achtziger Jahre als ein Roman über den vom Sexus getriebenen Mann.

Im September 1989 spielt Boris Becker immer noch erfolgreich Tennis, aber Charly hat verloren: Seine Frau hat ihn verlassen. Seinem Vater, der ihm zur Hochzeit den Geschäftsführerposten einer Opel-Vertragswerkstatt in Nordenstedt schenkte, hat er ein formelles Kündigungsschreiben in den Briefkasten geworfen. Charly – der keine Frau ansehen kann, ohne dabei ihre Sexqualitäten zu taxieren, der kein Unrechtsgefühl hat, wenn er Christine betrügt, weil er sie mit bequemer Treuherzigkeit liebt – liebt, wie ein Mann seine Frau eben liebt.

Kleeberg entwirft das Panorama einer verlogenen Gesellschaft, in der Charly nicht der schlimmste Finger, aber doch ein ziemlich schlimmer ist. Er schildert ausgiebig sexuelle Praktiken und in den besten Passagen des Romans den Arbeitsalltag in der Opel-Werkstatt, der Charly demütigt und zugleich überfordert. Zu den klassischen Problemen des jungen Manns gehört der Vater-Konflikt, der Kampf um Anerkennung. Anerkennung, um die – wie es heißt – drei menschlichen "Grundantriebe": Liebe, Anerkennung und der Wunsch nach "Partizipation".

Michael Kleebergs Portrait eines jungen Mannes aus begütertem Haus ist angelegt wie ein Tennis-Match. Die Zeichen stehen auf Wettkampf und Sieg. Charly hat den Partner aus den Augen verloren. Er hat alleine gespielt und die sich ankündigende Niederlage übersehen. "Karlmann" ist ein wuchtiger Roman über die Schwierigkeiten, ein Gleichgewicht zwischen der eigenen Person und den anderen zu finden.

Rezensiert von Verena Auffermann

Michael Kleeberg: "Karlmann"
DVA München 2007
471 Seiten, 22,95 Euro