"Terror" auf deutschen Bühnen

Die Bundeswehr vor dem Theatergericht

Nico Holonics (l.) als Bundeswehrsoldat Lars Koch und Max Mayer als sein Verteidiger Biegler während einer Probe am Schauspiel Frankfurt für das Stück "Terror" von Ferdinand von Schirach.
"Terror" am Schauspiel Frankfurt mit Nico Holonics (links) und Max Mayer © picture alliance / dpa / Schauspiel Frankfurt / Birgit Hupfeld
Von Bernhard Doppler · 19.12.2015
"Terror" ist das Erstlingsdrama des Strafverteidigers und Literaten Ferdinand von Schirach. Schon sieben deutsche Theater spielen dieses Gerichtsstück um den Abschuss eines Flugzeugs. Bernhard Doppler hat alle Inszenierungen gesehen, um die Begeisterung zu verstehen − und er traf auch den Autor.
Bei der Uraufführung am Schauspielhaus Frankfurt, zeitgleich mit der Uraufführung in Berlin, wurde von Schirachs Erstlingsdrama "Terror" Heinrich von Kleists "Zerbrochener Krug" vorangestellt. Und an den Gerichtsrat Walter, der dort die einzelnen Gerichte des Gerichtssprengels visitiert, musste ich bisweilen denken, als ich mir die sieben Inszenierungen, zu denen es "Terror" inzwischen gebracht hat, besucht habe − in Berlin, Frankfurt, Düsseldorf, Aachen, Göttingen, Celle und Baden-Baden.
Das Stück ein Mitbestimmungsstück. Denn das Urteil über den Kampfpiloten soll das Publikum wie Geschworene im Gericht treffen. Das geht durchaus unterschiedlich von sich: Mal werden Stimmzettel vergeben und ausgezählt wie in Aachen, mal geheim abgestimmt wie in Frankfurt, manchmal sogar zweimal vor der Aufführung und nach den Plädoyers wie in Baden-Baden, oder es werden Tonscherben in einen Beutel geworfen und das Urteil wortwörtlich auf einer Waage abgewogen. Hat das Theater keine Meinung? Gibt es die Meinung dem Publikum ab?
Ich treffe Ferdinand von Schirach im Caféhaus:
"Diese Ergebnisse sind sehr interessant, aber nicht entscheidend, entscheidend ist nur das Reden darüber. Sie können als Schriftsteller nur Fragen stellen, es gibt keine Antworten, die Sie den Leuten diktieren können. Das ist ja lächerlich."
Im Foyer im Baden-Baden, wo man schon zu Stückbeginn die Meinung abfragte, hatten 79 Prozent für "unschuldig" plädiert. Ein Besucher ist darüber entsetzt:
"Das halte ich für total verkehrt. Die Menschen werden nicht von Terroristen getötet, sondern von der Bundesrepublik Deutschland getötet. Das darf nicht sein. Ich bin Berufspilot außer Dienst. Ich habe lange in der Luftaufsicht in Baden-Baden gearbeitet und habe diese Terroranschläge mitbekommen, die Verschärfungen im Luftsicherheitsgesetz."
Der Verlag Kiepenheuer & Witsch hat die Abstimmungsergebnisse aller Aufführungen gesammelt und aktualisiert sie ständig. Fast immer wird für "unschuldig" plädiert, bis auf drei Aufführungen in Berlin, aber an der Zahl für "unschuldig" (59 Prozent) hat sich nach den Terroranschlägen vom 13.11. in Paris kaum etwas geändert.
Die Idee dieser Zählung kam übrigens von der Dramaturgie Göttingen. Die Dramaturgin Sara Örtel:
"Das fing eigentlich schon relativ früh in der Probenarbeit an, dass die beiden Schauspieler, die den Staatsanwalt und den Verteidiger spielen, gesagt haben: Das wird sich dann schon zeigen, wenn wir auf der Bühne stehen, wer das bessere Schlussplädoyer hat, wer die Zuschauer für sich gewinnt. Die haben das eigentlich als kleinen Wettstreit für sich genommen, nicht nur, was ist der bessere Text, sondern wer ist der Schauspieler, der am Abend das Publikum für sich gewinnt."
Doch die Leistung der Schauspieler ist wohl kaum ausschlaggebend. Nur in Göttingen ist der Staatsanwalt übrigens Mann. In Düsseldorf brilliert Nicole Heesters als Staatsanwältin. Doch auch dieser Publikumsliebling vermochte sich noch nie bei der Abstimmung durchzusetzen.
In Baden-Baden soll getwittert werden
Auch Regisseure haben in Schirachs Stück wenig Möglichkeiten, sich zu profilieren. In Baden-Baden soll während der Vorstellung das Handy eingeschaltet sein, damit die Zuschauer auch während der Vorstellung auf eine Leinwand twittern und SMS senden können. Und am weitesten geht das Schlosstheater in Celle: Videoeinspielung von den Erinnerungen der Schauspieler an 9/11, eine Drehbühne, die das Gericht aus immer wieder neuer Perspektive zeigt, ein Kinderchor zwischen den Szenen und die Rede des norwegischen Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg, sich nicht durch den Attentäter Breivig einschüchtern zu lassen.
In Aachen wird in der Inszenierung von Elina Finkel besonders konsequent auf alle bisweilen humoristischen Details über das Gebaren am Gericht, die Schrullen des Verteidigers etc. verzichtet und nur der abstrakte Kernkonflikt dargestellt. Und in Göttingen wird der Gerichtsfall geradezu als antikes Drama verhandelt.
Sara Örtel: "Für unsere Inszenierung ist der Ansatz, das Ganze auf einer stark minimalistischen Bühne zu spielen − vor dem Eisernen Vorhang. Unsere Bühne ist eine große, hohe, sehr stilisierte Treppe, inspiriert von der philosophischen Schule in Athen, wo Gericht unter freiem Himmel, auf der Treppe gehalten worden ist."
Die Kopplung mit Kleist überzeugt
Was man vermisst, wenn man sieben Mal "Terror" sieht, was stört, ist, dass es jedes Mal die gleichen oft ein wenig schulmeisterlichen Belehrungen und Argumente der Verteidigung und der Anklage sind. Gäbe es nicht noch ganz andere?
Am meisten überzeugt die Frankfurter Aufführung, weil sie "Terror" mit den gleichen Schauspielern im gleichen Raum mit Kleist Komödie über die Wahrheitsfindung koppelt und somit auch grundsätzlich der Legitimität des Gerichts befragt. Ist nicht auch der Gerichtsrat Walter allzu sehr dem System verhaftet? Durch die Koppelung mit Kleist gewinnt auch Schirachs Stück auf einmal doppelten Boden.
Intendant Oliver Reese, der beide Stücke auch inszeniert hat:
"Ich denke, wenn sie über die Lüge sprechen, dass das in der Tat das geheime Thema ist. Und wir haben mit Juristen gesprochen, Richtern, Staatsanwälten, Jura-Professoren − und das eine von den vielen Dingen, die ich gelernt habe, ist, dass es vor Gericht keine Wahrheit gibt."
Mehr zum Thema