E-Mobilität in Deutschland

Immer noch in der Nische: Wo bleibt der E-Auto-Boom?

10:42 Minuten
Ein blaues Elektroauto lädt an einer Ladesäule.
E-Autos müssen geladen werden - die Infrastruktur besteht, kann aber noch besser werden. © Eyeem / Andrius Aleksandravičius
Von Vivien Leue · 24.10.2019
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Die Zahl der Elektrofahrzeuge in Deutschland wächst. Jedoch viel langsamer, als Politik und Autoindustrie sich das wünschen. Wer aber den Umstieg auf den rein elektrischen Antrieb gewagt hat, ist meist sehr zufrieden mit dieser Art der Fortbewegung.
"Ich finde, es fährt super."
"Ich finde, er fährt viel cooler. Es macht viel mehr Spaß."
Wenn Ilka und Tobias Hahn über ihr Elektro-Auto sprechen, klingt immer noch Freude mit – darüber, dass sie sich vor zwei Jahren nach langem Überlegen entschieden haben, den "kleinen Flitzer" zu kaufen, wie Ilka Hahn das Auto liebevoll nennt.
"Das ist ja ein sehr kleines Stadtauto und man zieht an der Ampel aber jeden damit ab."
Die beiden Düsseldorfer – Mitte Vierzig, zwei Kinder – leben generell umweltbewusst. Da kam das Thema Elektroauto schon recht früh auf. Aber erst vor zwei Jahren gab es dann wirklich Modelle, die bezahlbar waren und den Anforderungen der Familie gerecht wurden:
"Wir wollten halt schon ein Auto, mit dem man am Wochenende auch mal wegfahren kann, also kein reines Stadtauto."

Bis zu 300 Kilometer Reichweite im Idealfall

300 Kilometer Reichweite hat das Elektroauto der Hahns, im Idealfall. Wenn es kalt draußen ist, oder mit Tempo 130 auf der Autobahn sind es deutlich weniger. Geladen wird das Auto hauptsächlich in der eigenen Garage, außer die Familie ist für längere Fahrten unterwegs.
"So die ersten zwei Wochenendfahrten, da guckst du nur auf den Kilometeranzeiger, wieviel Reichweite noch drin ist", erinnert sich Tobias Hahn.
Ilka Hahn sagt, sie sei erst zweimal mit dem Wagen länger unterwegs gewesen. "Und mich stresst das schon. Weil ich nicht nebenher auf die App gucke, sondern dann an den Rand fahre, dann gucken muss, ist das eine langsame oder schnelle Tankstelle, ist der Stecker der richtige für mich und klappt das alles."
Denn statt Benzin oder Diesel tankt ein E-Auto eben Strom, und den gibt es noch nicht an jeder Ecke. Laut dem Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft stehen aktuell knapp 21.000 öffentliche Ladepunkte in Deutschland bereit. Rein statistisch gesehen reicht das zwar locker aus, um die rund 100.000 angemeldeten E-Autos in Deutschland regelmäßig zu laden.

Nervige Suche nach der Ladesäule

Aber wer in ländlichen Regionen oder in Ballungsgebieten mit relativ vielen E-Autos unterwegs ist, dem kann es durchaus passieren, dass er etwas suchen muss, bis er eine freie Ladesäule findet, sagt Reinhard Kolke.
"Unsere Untersuchungen zeigen tatsächlich, dass die existierende Infrastruktur häufig noch Mängel hat", berichtet der Leiter Test und Technik beim ADAC. "Die Ladesäulen werden nicht gefunden, sind nicht betriebsbereit, teilweise hat man extrem hohe Kosten, obwohl man nur wenige Kilometer lädt. Das heißt, die Einheitlichkeit der Preissysteme ist noch nicht gegeben, so wie ich das heute bei den Tankstellen sehe."
Nur an wenigen Ladesäulen können Autofahrer ganz unkompliziert per EC-Karte bezahlen, die meisten verlangen eine eigene Chipkarte oder Handy-App.
Die Stiftung Warentest spricht von einem Preis-Chaos. Denn nicht überall ist die Abrechnung nach Kilowattstunde möglich, an vielen Ladesäulen zahlen Nutzer Pauschaltarife – egal, ob sie die Batterie volltanken oder nicht.
Um die meisten Ladestationen überhaupt benutzen zu können, muss man sich registrieren und dann zum Beispiel eine Chipkarte nutzen. "Das ist eigentlich kein Problem mehr. Wir haben drei oder vier", schildert Tobias Hahn seine Erfahrung. "Es gibt so zwei, drei, das sind die großen Anbieter – und mit denen geht’s immer."
Wenn seine Frau sich an die erste Zeit mit dem E-Auto erinnert, sagt sie: "Das hat mich am Anfang auch gestresst, die Tatsache, wie zahle ich, welche von diesen Chipkarten muss ich nehmen, habe ich auch die richtige für Holland, für Belgien, für was auch immer."

Laden daheim oder beim Arbeitgeber

Allerdings gehen Experten davon aus, dass nur 20 Prozent der Ladevorgänge an solchen öffentlichen Ladepunkten stattfinden, 80 Prozent dagegen am Arbeitsplatz oder in der heimischen Garage, wie bei den Hahns. Statistisch gesehen fahren die meisten Autos pro Tag nicht mehr als 50 Kilometer weit, deshalb muss üblicherweise im Alltagsbetrieb auch gar nicht unterwegs geladen werden.
Die Zweidrittel der Deutschen, die in einem Mehrfamilienhaus wohnen, haben es aber trotzdem mit dem Strom-Tanken noch schwer, zumindest, wenn sie nicht am Arbeitsplatz laden können: Laut ADAC haben viele Tiefgaragen bisher noch nicht einmal Steckdosen.
Und für die Installation einer sogenannten Wallbox, die schnelles Laden ermöglicht, braucht es – noch jedenfalls – die Zustimmung des Vermieters oder der Eigentümergemeinschaft. In der Praxis eine hohe Hürde.
"Die Akteure müssen ihre Hausaufgaben machen", fordert ADAC-Test-Leiter Reinhard Kolke und meint damit sowohl die Autohersteller als auch den Gesetzgeber, die Kommunen und die Politik.

"Stromer" oft günstiger als Verbrenner

Dennoch: Kolke ist überzeugt, dass das E-Auto mittlerweile eine ernstzunehmende Alternative zum klassischen Verbrenner ist und die Lade-Infrastruktur zwangsläufig besser werden wird.
Das E-Auto sei ein ganz normales Fahrzeug, "wo man in den ADAC-Autokosten schaut: Lohnt es sich hinsichtlich der Reichweite und Kosten im Vergleich zu Benzin- oder Dieselauto auf das Elektroauto zu setzen? Und viel häufiger kommt man dann zum Ergebnis: Ja, es lohnt sich."
Das bestätigt der Leiter des Kompetenzzentrums Elektromobilität NRW, Matthias Dürr. Im Düsseldorfer Wirtschaftsministerium erklärt er, dass vor allem die Batterie-Entwicklung eine Erfolgsgeschichte sei – und die wachsende Reichweite der Autos der Elektromobilität jetzt den nötigen Schub bringen wird: "In den nächsten zwei, drei Jahren werden wir einen exponentiellen Anstieg an neuen Fahrzeugmodellen und damit auch der Verbreitung der Elektromobilität sehen."
Zwar fahren aktuell in Deutschland nur knapp drei Prozent der Autos – insgesamt gut 100.000 – rein elektrisch. Damit ist die Bundesregierung von ihrem Ziel, bis 2022 eine Million E-Autos auf deutschen Straßen zu haben, noch weit entfernt.
Aber der promovierte Elektro-Ingenieur und Batterie-Experte Dürr ist trotzdem überzeugt: "Es gibt vom Privatnutzer, betrieblichen Nutzer, Handwerker immer mehr Anwenderfälle, wo wir heute nachrechnen können: Es gibt ein alternatives, adäquates Elektroauto, was ihr nutzen könnt, und das rechnet sich auch."

Knallharte Kalkulation ist das beste Kaufargument

Es sind diese finanziellen Vorteile, die bisher noch fehlten, künftig aber zum Kauf eines Elektroautos anregen könnten. "Es hilft nicht, die Leute zu überreden, 'Macht das mal!', und mit der moralischen Keule zu kommen und zu sagen: 'Bitte seid umweltfreundlicher', sondern das Auto muss praktisch einen Vorteil für den Nutzer ergeben."
In Hilden bei Düsseldorf hat der Bäckermeister und Unternehmer Roland Schüren diese Rechnung schon vor einigen Jahren gemacht- und für sich erkannt:
"Elektromobilität ist ein Wirtschaftlichkeits-Booster speziell für Bäckereien. Wir haben ja schon lange nur Erdgasfahrzeuge gehabt und haben jetzt die Erdgasfahrzeuge Zug um Zug auf Elektro umgestellt."
Zwei elektrisch angetriebene Lieferwagen der Bäckerei Schüren stehen auf dem Firmengelände. Sie sind in einem kräftigen Grün gestrichen, die Modellbezeichnung BV1 ist an mehreren Stellen deutlich zu lesen.
Bäcker Schüren hat den Lieferwagen mitentwickelt, den er nun einsetzt. © Ihr Bäcker Schüren
Schüren leitet die Bio-Bäckerei-Kette "Ihr Bäcker Schüren", ein Familienbetrieb in vierter Generation. "Jetzt müssen wir ein Stück zur Seite gehen, weil da kommt ein Elektroauto, das hören wir nicht."

Strom vom Solardach

Fast lautlos fährt ein elektrischer Lieferwagen auf das Gelände. Es ist ein Samstagvormittag. Brot, Brötchen und Kuchen sind ausgeliefert, die Fahrzeuge werden jetzt gereinigt und dann für die nächste Tour wieder aufgeladen – mit Strom, der größtenteils von der Photovoltaikanlage auf den Dächern des eigenen Firmensitzes kommt.
"Wir wissen genau, wie viel Kilometer jedes Auto jeden Tag fahren muss zu den Filialen. Die Reichweite ist vollkommen ausreichend", sagt Schüren. "Und immer wenn das Auto Feierabend hat, hat auch die Backstube Feierabend. Und die ganze Photovoltaik hier auf den Dächern produziert dann eben für die Autobatterie."
Ein weiterer Vorteil: Elektro-Autos können anders als konventionelle Verbrenner viel flexibler gestaltet werden – Motor und Kühler sind kleiner, es fehlt der Tank und die Batterie kann dort platziert werden, wo sie am besten hinpasst. Bei Pkw ist das häufig im Boden der Fall, bei Schürens Elektro-Liebling, dem Lieferwagen BV1, sitzt die Batterie im Fahrerhaus.

Nutzer haben Lieferfahrzeug mit entwickelt

"Das ist ein echter 3,5-Tonner mit 1,5 Tonnen Zuladung. Das kriegen sie mit keinem Verbrennungsmotor hin."
Schüren hat den Lieferwagen vor gut zwei Jahren eigens kreiert, zusammen mit ein paar Dutzend, meist mittelständischen Unternehmern. Den Unterbau liefert die Deutsche-Post-Tochter Streetscooter, eine weitere Firma die Ladefläche.
Auch Unternehmer Schüren glaubt, dass sich die Elektromobilität durchsetzen wird – allemal bei Handwerkern und ihren Flotten, denen in manchen Städten das Diesel-Fahrverbot droht. Denn lokal stoßen die E-Autos kein Kohlendioxid aus.
Und auch ihre gesamte CO2-Bilanz – von der Herstellung bis zum Nutzungsende des Fahrzeugs – ist mehreren Studien zufolge besser als die eines Verbrenners. Und zwar umso mehr, je grüner der getankte Strom ist, und je länger das Fahrzeug in Betrieb ist. "Es müssen Fahrzeuge her, die man kaufen kann, die nicht super teuer sind. Alles andere kommt von alleine. Auch die Ladeinfrastruktur."
Schüren hat seinen Teil schon dazu beigetragen. Er betreibt an seinem Firmensitz in Hilden einen der deutschlandweit größten privaten Ladeparks: Gut ein Dutzend Ladestationen – die sich zum Teil auch ganz problemlos mit EC-Karte bedienen lassen.
Jeden Samstagvormittag treffen sich dort am Ladepark Hilden Elektroautofahrer aus der Region zum Stammtisch. Sie fahren elektrisch, "weil es einfach Spaß macht", sagt ein Mann. "Man muss es einmal erlebt haben und dann ist man davon geflasht."
Ein anderer Mann sagt: "Seit vier Jahren bin ich elektrisch unterwegs und habe noch keinen erlebt, der gesagt hat, ich habe die Entscheidung bereut."

E-Auto passt zu 90 Prozent der Fahrten

Zurück in Düsseldorf bei Ilka und Tobias Hahn. Die beiden haben ihre Entscheidung, den kleinen Elektro-Flitzer zu kaufen, auch nicht bereut. "Ich war jetzt zweimal in der Inspektion und das macht echt Freude", sagt Tobias Hahn. "Denn ich habe beides Mal knapp unter 100 Euro für die Inspektion bezahlt. Weil da nichts zu machen ist."
Auch das Strom-Tanken ist meist um einiges günstiger als der Preis für Diesel oder Benzin. Allerdings: Für lange Urlaubsfahrten haben die beiden dann doch noch einen konventionellen Kleinbus mit Verbrennungsmotor.
"Jetzt eintausend Kilometer nach Österreich möchte ich damit nicht fahren. Mit unserem nicht, dafür ist die Batterie zu klein."
Ilka Hahn pflichtet ihrem Mann bei: "Ja, ich glaube, als Familienkutsche, um weite Strecken in den Urlaub zu fahren, ist es zu umständlich."
"Aber es stimmt. 90, vielleicht sogar 95 Prozent der Fahrten, kann man mit dem machen."
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