Durchgeplant bis aufs letzte Komma

22.04.2008
Dieser Mann hat alles richtig gemacht. Zumindest drängt sich dieser Eindruck zunächst auf. Thomas Pletzinger - 33 Jahre alt, Westfale, Amerikanist, Absolvent des Leipziger Literaturinstituts und mittlerweile in Berlin lebend - hat in seinem Debüt "Bestattung eines Hundes" genau das getan, was gemeinhin von der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur gefordert wird.
Er hat sich einen Plot ausgedacht mit internationalen Schauplätzen. Er hat verschiedene Zeitebenen entworfen und ineinander gebaut. Er hat seinen Helden und Ich-Erzähler, den Ethnologen Daniel Mandelkern, in eine veritable Lebenskrise hinein katapultiert. Er hat diesem Helden eine zweite Hauptfigur hinzugefügt, in der er sich abwechselnd spiegelt und bricht. Beide Protagonisten besitzen genau das richtige Maß an Weltläufigkeit und akademischer Bildung. Und er hat jede Menge Bezüge auf andere Werke als Unterfutter beigemischt, zum Beispiel auf Max Frisch und Uwe Johnson. Vielleicht hat Thomas Pletzinger einfach zu viel richtig gemacht?

Doch von Anfang an. Daniel Mandelkern bricht eines Morgens unvermittelt aus seiner Hamburger Altbauwohnung auf, wo er mit seiner Frau und Vorgesetzten Elisabeth lebt, und fährt zum Flughafen. Zwar reist er in beruflicher Mission – Elisabeth, Feuilletonchefin einer Wochenzeitung, hatte ihn tags zuvor mit einem Porträt eines mysteriösen Kinderbuchautors namens Svensson betraut, für das er nach Lugano fahren muss – aber die abrupte Abreise ohne Verabschiedung ist dennoch eine Kurzschlusshandlung: Die Ehe scheint in eine Sackgasse gekommen zu sein.

Daniel, 32, entzieht sich dem Kinderwunsch seiner Frau. Elisabeth, fünf Jahre älter, blass, langgliedrig, rothaarig, ist der Prototyp einer Karrieristin der Jahrtausendwende: Sie weiß genau, wo es langgeht, und versucht, pragmatisch ihre Interessen durchzusetzen.

Daniels Auftrag entpuppt sich als ein Spiegelkabinett und bringt seine biografischen Verstrickungen auf den Punkt. Zwar trifft er am Hafen von Lugano tatsächlich auf Svensson und begleitet ihn in ein halbverfallenes Haus am See, landet aber im selben Moment in einem Spiel aus Projektionen und Erfindungen.

Von einem Interview kann keine Rede sein. Svensson, Verfasser eines anrührenden Bilderbuches über einen kleinen Jungen, der den Tod seines besten Freundes verkraften muss, macht ihn zum Element seiner eigenen Beziehungskonstellationen, und Daniel hat keine Kraft, sich dem Sog des fremden Lebens zu entziehen.

Er lernt die anziehende Tuuli und ihren Sohn Samy kennen. Er beobachtet den Hund Lua, einen ehemaligen Polizeihund, der nur noch drei Beine hat. Er phantasiert über den Verbleib von Svenssons Freund Felix. Schließlich beginnt er, in einem Manuskript zu lesen, das er in einem alten Koffer seines Gastgebers findet. Die Rahmenhandlung wird also durchbrochen von einer zweiten Geschichte, die von Svensson, Felix und Tuuli in New York zum Zeitpunkt von Nine-Eleven handelt und von einem Aufenthalt in Brasilien.

Am Ende weiß Daniel alles über Svensson, seine Lieben und das verlorene Bein seines Hundes, und er weiß auch, dass er kein Porträt schreiben wird und nicht weiter für seine Frau arbeiten will. Das Buch endet mit einer Schleife, die zum Anfang zurückführt: mit sieben Postkarten, die Daniel an Elisabeth schreibt.

Manches an "Bestattung eines Hundes" ist geglückt. Die Konstruktion mit den ineinander geblendeten Lebensläufen entfaltet eine gewisse Spannung, die Schilderung New Yorks am 11. September 2001 hat Prägnanz und Atmosphäre, und vor allem die Frauenfiguren gelingen Pletzinger. Elisabeth entwickelt gleichermaßen sympathische und abstoßende Seiten, und man kann die Ambivalenz des Helden unmittelbar nachvollziehen, auch die Verführungskraft der ätherischen Tuuli teilt sich mit. Komplexe Bauweise, urbane Sujets, funktionierende Figuren – woran hapert es also?

Gerade das Durchdachte und Virtuose der Konstruktion hat etwas Störendes. Und das liegt an Folgendem: Das Buch ist durchgeplant bis aufs letzte Komma. Alles ist Berechnung, nichts ist unmittelbar.

Immer wieder erstarrt die Handlung, entwickelt etwas Künstliches und erinnert mehr an akademisch abgefederte (die ethnologischen Recherchemethoden!) Schaufenster-Deko. Von epischer Kraft kann keine Rede sein. Der Roman hat keine tragfähige innere Dynamik, nichts Mitreißendes, nichts tatsächlich Existenzielles, obwohl Letzteres immer wieder betont wird.

Das zweite große Problem ist die Sprache: Pletzingers Coolness wirkt aufgesetzt und forciert, die Masche, besonders wichtige Bemerkungen in Klammern zu setzten, nutzt sich rasch ab. Zwar hat "Bestattung eines Hundes" für ein Debüt bemerkenswert viel zu bieten. Aber vielleicht hätte Pletzinger es einfach etwas weniger richtig machen sollen.

Rezensiert von Maike Albath

Thomas Pletzinger: Bestattung eines Hundes
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008
347 Seiten, EUR 19,95