Dunja Hayali und Michel Abdollahi bei den Lessingtagen

"Wenn ich nicht online bin, ist das ein richtig tolles Land"

Dunja Hayali und Michel Abdollahi auf einer Bühne
Michel Abdollahi und Dunja Hayali bei den diesjährigen Lessingtagen. © Axel Schröder
Von Axel Schröder  · 20.01.2019
Die Journalisten Dunja Hayali und Michel Abdollahi haben die diesjährigen Lessingtage mit Plädoyers für eine offene Gesellschaft eröffnet. Dabei warnten sie vor einer Übernahme neu-rechter Narrative aus Sozialen Medien und vor einer Verrohung der Sprache.
Dunja Hayali nahm die Überschrift der Eröffnungsfeier zu den Lessing-Tagen wortwörtlich. Der Titel "Plädoyers für eine offene Gesellschaft" beinhalte, analog zum Plädoyer im Gerichtssaal, dass es eben auch eine Anklage geben muss, in diesem Fall eine "Anklage gegen die offene Gesellschaft":
"Gibt es sie nicht, die Menschen, die quasi als selbsternannte Staatsanwälte auftreten und die Öffnung zu mehr Pluralität lautstark anklagen? Sie begründen es damit, dass mehr Öffnung zerstörerisch wirkt, weil sie den Bestand gefährdet, Traditionen zerstört, den Terror holt, Gewalt und Vergewaltigung verbreitet. Die Auswirkungen dieser Anklage sind seit einiger Zeit immer lauter zu hören, aber auch zu spüren. Und die Prozessordnung spielt dabei im Grunde keine Rolle mehr. Jedes Mittel scheint dabei erlaubt. Da wird gebrüllt, beleidigt, herabgewürdigt und willkürlich jeder zum Verbrecher erklärt, der dem eigenen Maßstab nicht genügt."

Verrohung in den Sozialen Medien

Gebrüllt, beleidigt und herabgewürdigt werde vor allem in den Sozialen Medien: auf Twitter und Facebook. Wie weit die Verrohung von Diskurs und Sprache auf diesen Plattformen schon gediehen ist, erlebt die im nordrhein-westfälischen Datteln geborene Fernsehjournalistin Hayali fast täglich:
"‘Du arabisches Stück Scheiße‘, ‚Du Musel-Fotze‘, ‚Du Stück Vieh‘, ‚Du gehörst abgeschlachtet!‘, diverse Vergewaltigungswünsche bis hin zu Morddrohungen sind keine Seltenheit. Und warum? Es ist der Name, die Herkunft meiner Eltern, weil ich eine Frau bin, weil ich für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeite, weil ich Borussia Mönchengladbach-Fan bin? Das kann eigentlich nicht sein. Und ich sag Ihnen was: Allein so eine Bemerkung in den Sozialen Medien kann schon reichen, um an den Pranger gestellt zu werden."

Warnung vor Übernahme neu-rechter Narrative

Dunja Hayali warnt davor, neu-rechte, rechtsextreme Narrative zu übernehmen. Dass Angela Merkel Flüchtlinge nach Deutschland eingeladen hätte, sei so ein Narrativ, das, stetig wiederholt, irgendwann verfange und vielen mittlerweile als Wahrheit gilt. Ein Patentrezept zur Verteidigung der offenen Gesellschaft lieferte Dunja Hayali nicht. Helfen könne aber ein Blick ins Grundgesetz: "Ein Grundgesetz, dessen erster Artikel besagt: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und zwar nicht nur die des Deutschen!"
Dunja Hayali steht an einem Redepult.
Dunja Hayali warnte in ihrer Eröffnungsrede vor der Übernahme rechtsextremer Narrative.© Axel Schröder
Michel Abdollahi, auch er arbeitet als Fernsehjournalist, unterstrich Hayalis Warnungen vor einer Diskursverschiebung hin zu rechtsextremen, ausländerfeindlichen Positionen. Das Undenkbare, das Unsagbare, so Abdollahi, müsse auch weiter undenkbar und unsagbar bleiben. Er forderte, den gesellschaftlichen Diskurs vom Kopf wieder auf die Füße zu stellen. Dem Anspruch der AfD, wie auch immer geartete "deutsche Werte" zu verteidigen, hielt er eine gänzlich andere Sichtweise entgegen:
"Nach dem Ausschlachten der Attacke auf den Bremer AfD-Chef Magnitz durch die AfD selbst und die damit verbreiteten Lügen und Verschwörungstheorien, ihr Jubel, wenn die Täter Migranten oder Ausländer sind, ihr Schweigen, wenn der Täter Biodeutscher ist – sie werden dadurch einfach disqualifiziert. Diese Menschen sind nicht Teil unseres Wertesystems. Und dann sollte man sie das auch überall spüren lassen, statt ihnen die Möglichkeit zu geben, Kommentarspalten in Sozialen Medien zuzumüllen oder ihre rassistische Hetze über die Medien weiter zu verbreiten."

Rechtspopulistische Sprache schleicht sich in den Alltag ein

Wie sich die Sprache von Rechtspopulisten in den Alltag einschleiche, mache der Begriff der "links-grünen Versifftheit" klar. Der Begriff stammt von Jörg Meuthen, einem der Bundessprecher der AfD. Abdollahi drehte den Spieß um und postete im Internet einen Beitrag über "rechts-braun versiffte" Ideen.
"Das hat den Leuten überhaupt nicht gefallen! ‚Was fällt dir ein, du dummer, dummer Ausländer, uns als ‚rechts-braun versifft‘ zu beleidigen? Das kann ja nur von euch links-grün versifften Leuten kommen!‘ – Und das meinen die auch so! Die sind sich gar nicht darüber im Klaren, dass ‚links-grün versifft‘, dass das keine richtige Wortwahl ist. Merken es aber erst bei sich selber, wenn man über ‚rechts-braun versifft‘ mit ihnen spricht."
Einig waren sich Dunja Hayali und Michel Abdollahi darin, dass es an der Zeit sei, weniger auf die von Rechtspopulisten angefachten Debatten einzusteigen. Stattdessen sollten wieder die viel drängenderen Probleme in den Blick genommen werden. Vor allem müsse aber den Menschen klar gemacht werden, dass die schrillen Diskurse, die Wutausbrüche und Hasswellen in Sozialen Medien eben kein Spiegelbild des gesamtgesellschaftlichen Diskurses sind, sondern dessen Zerrbild.
"Wenn ich nicht online bin, ist das ein richtig, richtig tolles Land, in dem ich lebe!", sagte Michel Abdollahi.
Michel Abdollahi steht an einem Redepult.
Michel Abdollahi machte in seiner Eröffnungsrede auf das langsame Sich-Einschleichen rechtspopulistischer Sprache in den Alltag aufmerksam.© Axel Schröder
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