Dienstag, 26. März 2024

Archiv

Biotechnologie
Wie Google & Co das Leben verlängern wollen

Der Mensch, der ewig lebt. Der nicht stirbt. Und das auf dieser Erde. Einige Technologie- und Internetkonzerne suchen nach der Wunderpille gegen das Altern. Doch was für die einen ein Traum ist, ist für andere eine Horrorvision. Theologen und Humanbiologen haben ethische Bedenken und sagen: Google & Co werden mit ihren Projekten scheitern. Nichts ist so sicher wie der Tod.

Von Burkhard Schäfers | 19.05.2016
    Rentner fährt mit seinem Rollstuhl über einen Flur in einem AWO Seniorenzentrum.
    Rentner in einem Seniorenzentrum. Wollen wir ewig jung sein? (dpa-Zentralbild / Jens Wolf)
    Kann und darf ein Unternehmen das: Die Wunderpille der ewigen Jugend finden? Gar den Tod besiegen? Calico, vor gut zwei Jahren als Tochter des Internetkonzerns Google gestartet, gehört jetzt zu Alphabet. In dieser Holding-Gesellschaft hat Google seine Geschäftsfelder neu geordnet. Nicht irgendwer also will das Leben verlängern, sondern einer der mächtigsten und reichsten Konzerne der Welt. Dafür hat Calico führende Wissenschaftler geholt. Ihr Chef, der Molekularbiologe Arthur Levinson, hat schon früher erfolgreiche Krebsmedikamente entwickelt. Jetzt sagt er typischen Alterskrankheiten den Kampf an: Krebs, Herz-Kreislauf-Krankheiten, Demenz und Diabetes.
    Martin Denzel arbeitet am Max Planck Institut für die Biologie des Alterns in Köln. Der Humanbiologe blickt mit seinen Kollegen neugierig nach Kalifornien. Wie genau und mit welchen Zielen Calico ihr Geschäft mit dem Tod betreibt, ist nicht öffentlich. Ein Interview wollte die Biotech-Firma nicht geben.
    "Calico ist eine sehr interessante Entwicklung in unserem Feld in letzter Zeit. Denn es ist ein Zusammenschluss von sehr ernst zu nehmenden Wissenschaftlern und Managern aus dem Biotech-Bereich in den USA. Und mit dem Geld und dem Knowhow von Google natürlich. Letztlich ist die Vision von dieser Firma sicherlich die, das menschliche Altern zu verlangsamen. Ob sie in der Lage sein werden, es zu stoppen, wage ich zu bezweifeln. Aber es ist natürlich gut, sich hohe Ziele zu setzen. Ich denke, dass dort sehr gute Wissenschaft gemacht wird."
    Lebenserwartung verdoppelt
    Wenn also der Tod nicht komplett besiegt wird, so soll er doch hinausgezögert werden, soweit es geht, Ende offen. Google-Gründer Larry Page gibt sich längst nicht mehr mit dem zufrieden, wodurch sein Unternehmen bekannt wurde: Der Suchmaschine fürs Internet. Immer wieder betont Page, er wolle die Welt besser machen und die Lebensqualität der Menschen steigern. Projekte, in die hunderte Millionen Dollar fließen, die aber erst mal keine Gewinne abwerfen.
    Google-Mitbegründer Larry Page
    Google-Mitbegründer Larry Page: Er will die Lebensqualität der Menschen steigern, sagt er. (picture alliance / dpa / Christoph Dernbach)
    "Speziell im Fall von Calico denke ich, dass es der dortigen Wissenschaft sehr viele Freiheiten geben wird. Die Manager von Google haben ja gesagt, dass Calico sich nicht unbedingt schnell selbst tragen muss, und ich denke, es geht um eine langfristige Planung dort. Das ist eine Gelegenheit für Forschung, risikoreiche und vielversprechende Projekte zu verfolgen, die man sich sonst oft einfach nicht leisten kann."
    Schon vor Google hat die moderne Medizin das Sterben hinausgezögert und die Grenzen immer weiter verschoben. Ein Ende ist derzeit nicht in Sicht. Jedes Jahr wächst die Lebenserwartung um drei bis vier Monate.
    "Die Lebenserwartung von Menschen in westlichen Ländern ist eine erstaunliche Entwicklung gewesen: Seit der Industriellen Revolution 1840 ist die Lebenserwartung in westlichen Ländern linear angestiegen. 1840 war die Lebenserwartung ungefähr 40 Jahre, und jetzt ist sie um die 80 Jahre."
    Utopie der ewigen Jugend
    Forscher aus Biotechnologie, Medizin und Genetik versuchen, das Lebensende weiter und weiter hinauszuzögern. Dann wären 100-Jährige irgendwann nichts Besonderes mehr. Nach erstem Anschein ein reizvolles Versprechen. Bei genauerem Hinsehen drängen sich aber doch ein paar Fragen auf. Sagt Reiner Anselm, evangelischer Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
    "An welcher Stelle soll eigentlich das Aufhalten des Alterns ansetzen? Möchte man eigentlich dauerhaft pubertär sein? Eher nicht. Möchte man dauerhaft in diesen Schwierigkeiten der Identitätsfindung, der Adoleszenz der Anfang zwanziger Jahre sein? Vielleicht auch nicht. Im Makromaßstab scheint mir das ein ganz komisches Ziel zu sein und auch irgendwie utopisch."
    Was also ist mit der Vision von Calico, den Tod herauszufordern? Handelt es sich um Genialität oder Größenwahn? Ist es nicht berechtigt, sich Hoffnungen zu machen?
    "Wir haben ja in vielen Bereichen Tendenzen, die religionsäquivalente Vorstellungen haben. Ob jetzt Ernährung zur Religion wird oder Gesundheit, Fitness. Da passt Calico natürlich gut rein. Der Gedanke, man hätte so etwas wie einen Jungbrunnen, gehört ja zum Überlieferungsgut, zumindest unserer westlichen Kultur. Es leistet einem Optimierungs- und Normierungswahn Vorschub, der schon seine Schwierigkeiten entfalten kann. Weil er natürlich einen bestimmten Zeitpunkt, einen Zustand unseres Körpers, unserer Biografie zur Norm erklärt und der soll dann aufrechterhalten werden. Jeder, der dem nicht entspricht, aus welchen Gründen auch immer, ist irgendwie defizitär."
    Permanente Selbstoptimierung
    Jung, dynamisch, gesund – so wollen die meisten Menschen gern sein. Der Wunsch sei zunächst nicht verwerflich, sagt der evangelische Theologe:
    "Das ist der dynamische Mensch, der sich selbst optimiert. Man soll das nicht pauschal verteufeln. Nur muss man fragen: Wollen wir uns eigentlich permanent selbst optimieren? Oder sind wir auch ganz gerne mal faul und akzeptieren, dass wir bestimmte Einschränkungen haben? Das macht ja auch unsere Individualität aus. Hinter diesem Optimierungswahn ist ja auch eine faktisch ganz hohe Normierung. Das sind komische Vorstellungen, deren Konsequenzen, wenn man sie durchdenkt, in keiner Weise wünschenswert sind."
    Zitatschild
    "Der Tod muss abgeschafft werden": Schild des Professors, Künstlers und Kunsttheoretikers Bazon Brock (Andreas Main)
    Calico möchte Alterskrankheiten besiegen. Hat der Mensch die Pflicht dazu?
    "Ich denke nicht, dass er eine Pflicht zum Fortschritt hat. Aber er hat eine Pflicht, Leiden zu vermindern."
    Wie so oft, wenn es um Fortschritt geht, liegen Risiken und Hoffnungen nah beieinander: Den Tod besiegen und ewig leben? Wer sich auf das Gedankenspiel einlässt, wird es vielleicht erst einmal charmant finden: Sehen, wie die Welt in 100 Jahren aussieht. Immer wieder Neues lernen. Vielleicht mehrere Berufe haben. Und Zeit, alle Länder zu bereisen. Aber dann: Soll und kann sich das unendlich fortsetzen?
    "Natürlich ist die Erfahrung, dass die eigenen Kräfte weniger werden, dass man bestimmte Dinge nicht mehr machen kann, eine, die man nicht gerne macht. Und das würde man gerne aufhalten. Diese Mikroperspektive ist das eine, und dann gibt es aber die Makroperspektive, aus der man sagen muss: Unsere Endlichkeit hat auch was Befreiendes."
    "Du gehst zu den Würmern"
    Der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn:
    "Wenn wir unsterblich wären, wäre dieser Planet völlig überbevölkert, wir Lebenden auf Dauer privilegiert. Zu Ende gedacht heißt das: Wir sind der Mittelpunkt der Schöpfung. Vor uns war nichts wie wir, und nach uns kommt nichts, wie wir sind. Ich halte das für hybrid und für unethisch."
    Daran anknüpfend zitiert er Senecas Werk 'De brevitate vitae – Von der Kürze des Lebens':
    "Da gibt er die folgende Empfehlung: Lebe so, als ob der heutige Tag dein letzter wäre."
    Das Sterben ist aber nicht nur individuelles Schicksal. Es hat eine gesamtgesellschaftliche Tragweite. Schon die jüdischen Gelehrten des Altertums fanden deutliche Worte für die Endlichkeit des Lebens, berichtet der jüdische Historiker:
    "Da gibt es einen talmudischen Satz: Bedenke, woher du kommst und wohin du gehst. Du kommst aus einem Tropfen und gehst zu den Würmern."
    Nach dieser alten Überlieferung ist das Leben endgültig zu Ende. Der Glaube an die Auferstehung ist jüngeren Datums. In der Religion, im persönlichen Glauben finden viele Menschen Trost.
    "Es gibt ja empirische Studien, die eindeutig belegen, dass gläubige Menschen leichter sterben. Zurück zum Ursprung – das hat überhaupt nichts Beängstigendes, das hat etwas Anspornendes. Oder nehmen Sie einen großen Denker wie Martin Buber. Der beschrieb das erwartete Sterben wörtlich als: Ich falle in Gott hinein."
    Was aber ist mit denen, die nicht glauben? Oder denen, die zweifeln? Mit dem Verlust der Religion haben viele eine Quelle des Trostes verloren.
    "Das ist einerseits eine große Befreiung der Menschheit, natürlich. Aber ob man dadurch mehr Seelenfrieden im irdischen Dasein hat, das wage ich zu bezweifeln. Die Befreiung von den religiösen Institutionen ist auch ein Schritt – ein dramatischer Schritt – in Richtung Todesangst."