Düsterer Zukunftsentwurf

27.05.2011
Im satirischen Roman "Subs" entwirft Thor Kunkel eine düstere Gesellschaft der Zukunft mit Herren und Untergebenen. Darin verpackt er eine Diagnose des bereits bestehenden modernen Sklaventums - als verstörende und teils sehr komische Kultur- und Zivilisationskritik.
Willkommen in der "schönen neuen, neoliberalen Welt": "Sklavin gesucht!" ist das Inserat überschrieben, das der gut situierte Berliner Schönheitschirurg Dr. Claus Gordian Müller-Dodt, verheiratet mit der Rechtsanwältin Evelyn, eines Tages in der Zeitung aufgibt. Prompt melden sich zwei Bewerber in der Villa in Grunewald und werden umgehend als "Haushaltssklaven" angestellt, um zu putzen, kochen, waschen und zu bügeln. Butler- und Chauffeurdienste verrichten die 18-jährige Lana und der weitaus ältere Herr Bartos für das vermögende Ehepaar. Im Gegenzug dürfen sie umsonst in einer Anliegerwohnung der "bürgerlichen Hochburg" wohnen und bekommen ganz so wie im alten Rom zu essen. Sklaven im 21. Jahrhundert?

Gewiss doch, man kann es auch vornehmer mit einem Begriff aus der rollenspielverliebten sadomasochistischen Szene sagen: Subs. Subs ist die Kurzform von "Subordinates" (Untergebene) – oder von "Subhumans" (Untermenschen): "Natürlich ist ein Mensch zuallererst Mann oder Frau, doch in zweiter Instanz ist er Sub oder Dom, Sklave oder Herr, und die ganze Humanduselei ist nichts weiter als Utopie."

Thor Kunkels satirischer Roman ist eine Dystopie, ein düsterer Zukunftsentwurf, der über weite Strecken genauso gut als provokante Gegenwartsdiagnose gelesen werden kann. Längst leben wir in einem Land, so lautet sein Subtext, das auf (osteuropäische) Sklaven angewiesen ist. Man blicke nur auf die vielen Illegalen, die bei uns die Drecksarbeit verrichten – ob in der häuslichen Pflege oder auf dem Bau. Überall werden sie benötigt, die "Balkanmenschen" oder auch "Mietneger", die – schwarz, versteht sich – das Schwimmbad im Garten bauen und sich als "Sexsklavinnen" (hier "Fucktotum" genannt) verdingen.

Das Skandalon bei Kunkel besteht darin, dass sie dies aus freien Stücken tun – weil sie lieber in angenehmer Umgebung einem zynischen "Turbo-Hedonisten"-Paar zu Diensten sind als sich, notdürftig vom Staat alimentiert, auf Hartz-IV-Basis durchschlagen zu müssen. Kunkel entführt uns in die Welt der wahren Asozialen – der dekadenten Reichen, die sich längst abgenabelt haben vom Gemeinwesen und in ihren "gated communities", ihrem "Wellnest" stolz ein Dasein als "Nichtbürger" führen.

Er zeigt uns die Welt, wie sie ist: voller "Unappetitlichkeitssendungen" im TV, mit "medialen Selektions-Shows", in denen eine "Laber-Dompteuse" wie Heidi Klum den Ton angibt. Ist nicht Dieter Bohlen der Deutschen liebster Dominus, vor dem sie sich demütigen in der Hoffnung, ein Superstar oder Top-Model werden zu können? Lebt nicht der "Amüsierfaschismus" (Peter Sloterdijk) unserer Casting-Gesellschaft von der Selbst-Kasteiung? Von Züchtigung, Selbsterniedrigung und – freiwilliger Selbstversklavung?

Diese Fragen richtet Kunkel an uns mit seinem Roman, der ein im besten Sinne verstörendes Stück mitunter sehr komischer Kultur- und Zivilisationskritik ist. Jenes perverse Spiel, welches "Subs" als Fiktion ausmalt, treibt lediglich etwas auf die Spitze, was in der Realität bereits in Ansätzen vorhanden ist.

Besprochen von Knut Cordsen

Thor Kunkel: Subs
Roman
Heyne Hardcore, München 2011
448 Seiten, 19,99 Euro
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