Duale Ausbildung

Azubis international

Zwei Jugendliche stehen in einer großen Halle an einem Computerbildschirm.
Auszubildende des Siemens-Konzerns in Berlin © dpa / picture alliance / Soeren Stache
Von Susanne Arlt · 21.01.2014
Das duale Ausbildungssystem ist für viele Europäer interessant geworden. Der Siemens-Konzern, der viele Niederlassungen in den EU-Staaten hat, holt die ausländischen Azubis für drei Jahre zu sich nach Berlin.
"Welches Maß soll es hier oben sein?"
Markus Hädrich beugt sich nach vorn, inspiziert die Handteller große Stahlplatte, die der junge Auszubildende in seinen Händen hält. Zwölf Bohrlöcher sind zu sehen.
"12,4 wird es? Hmm."
Der Ausbildungsleiter für Mechatronik schaut skeptisch, hält ein Millimetermaß an das Bohrloch. Exakt 12,4 Millimeter. Markus Hädrich klopft dem jungen Mann mit den rotblonden Locken anerkennend auf die Schulter. Nicht jeder Azubi kriegt gleich auf Anhieb so akkurat eine Spitzsenkung für eine Senkschraube hin. Aber Julek, Anfang 20, ist ja auch kein gewöhnlicher Auszubildender.
"Weißte Bescheid, Julek, alles okay? ‒ Ja, jaaa. ‒ Wenn nicht, fragste mich noch mal, viel Spaß."
Unheimlich fit und motiviert
Julek stammt aus Polen. Seit ein paar Monaten lernt er mit 15 Mitstreitern aus der EU das deutsche duale Ausbildungssystem kennen: die Praxis im Betrieb, die Theorie in der Berufsschule. Seit einem Jahr bildet der Siemens-Konzern in Berlin junge Frauen und Männer zum E-Techniker oder Mechatroniker aus. Auch wenn es mit der Sprache anfangs hapert, die europäischen Kollegen sind unheimlich fit und motiviert, sagt Ausbilder Markus Hädrich. Solch ein Engagement wünscht er sich manchmal auch von den Deutschen:
"Die haben von ihren Eltern mitbekommen: Wenn du jetzt dahin gehst, zeige dich von deiner besten Seite. Dann haben sie ein ziemlich hohes Bildungsniveau, was sie von Hause aus mitbringen. Also wir haben nicht den klassischen Zehnte-Klasse-Deutschen, sage ich jetzt mal, sondern die haben natürlich alle Abitur oder sind schon zum Teil studieren gegangen. Von der rein intellektuellen Seite sind sie wesentlich erfahrener und beschulter und somit können sie auch die Dinge besser umsetzen."
"Welche Gruppe betreust du gerade aktuell? ‒ Die Industriemechaniker …"
Stefanie Ackermann schaut fast täglich in der Lehrwerkstatt vorbei, tauscht sich mit den Ausbildern aus. Die Siemens-Mitarbeiterin hilft ihren europäischen Schützlingen auch in persönlichen Angelegenheiten. Ob Heimaturlaub, Arztbesuch, Freizeitvergnügen, vieles managt sie in den ersten Monaten noch mit.
"Tschuldigung. Haben Sie was Neues zu meiner Flugreise? ‒ Flugreise, meinst du die Heimreise…"
4,5 Millionen Euro gibt der Konzern für einen European-Jahrgang aus. Er will in gute Nachwuchskräfte investieren und den jungen Menschen aus der EU eine Zukunftsperspektive bieten. Schließlich hat Siemens zahlreiche Landesgesellschaften in Spanien, Polen oder Griechenland.
Stefanie Ackermann: "Die Arbeitslosigkeit ist sehr groß und da hat Siemens im letzten Jahr das Programm gestartet. Wir wollen etwa 30 jungen Europeans eine Möglichkeit hier in Deutschland bieten, eine Ausbildung zu machen, die auch abschließt mit der deutschen IHK-Prüfung und dann ihnen natürlich die Möglichkeit einräumen, auch wieder in ihre Landesgesellschaften zurückzugehen."
Mancher Azubi ist überqualifiziert
Ob Nicos nach seiner dreijährigen Ausbildung wieder nach Athen zurückkehren wird? Der 24-jährige schaut unentschlossen aus. Diese Ausbildung als Elektriker für Betriebstechnik sei auf jeden Fall ein Glücksgriff, sagt er:
"Es ist toll. Weil es ist eine sehr gute Ausbildung. Wir haben viele neue Dinge gelernt über Elektronik und nächste Woche, wir werden zur Fabrik gehen. Das ist sehr interessant, weil, wir werden wie das funktioniert lernen."
Dabei ist Nicos völlig überqualifiziert. In Athen hat er erfolgreich Computertechnik studiert und bewirbt sich mit einem guten Abschluss in der Tasche als IT-Spezialist. Auch in Griechenland bekam er Angebote, 40 Arbeitswochenstunden für 400 Euro. Brutto versteht sich. Hier in Berlin ist es viel besser für mich, betont er. Hinter ihm an einer Werkbank sitzen ein Lette, ein Tscheche, ein Italiener, ein Engländer und zwei Spanier. Sie denken vermutlich genauso wie Nicos.
Markus Hädrich und Rodrigo: "Wie heißen die Senkungen hier noch einmal? ‒ Zapfenflachesenkel ... ‒ Senkung, nicht Senkel … wie tief soll die hier sein? ‒ 4,7. ‒ Und hast du getroffen? Schauen wir mal, für mich erstmal perfekt. Gut."
Ausbilder Markus Hädrich nickt anerkennend. Rodrigo lächelt stolz zurück. Der gebürtige Spanier trägt einen Blaumann und raspelkurze Haare, ist von eher kleiner Statur. Er drückt den Hebel von der Standbohrmaschine langsam nach unten. Millimeter um Millimeter frisst sich der Bohrer in die glänzende Stahlplatte rein.
"Entweder studieren oder nichts machen"
Eine halbe Stunde später steht der 20-jährige in der Kantine, reiht sich ein in die Schlange vor der Essensausgabe. Seine Miene hellt sich erst auf, als er Oscar an der Kasse trifft. Sein Landsmann ist bereits im zweiten Lehrjahr. Für Rodrigo hat er eine Art Patenschaft übernommen. Er nimmt ihn mit zum Basketballspielen oder begleitet ihn zum Arzt. Oder sie sprechen über die spanische Fußballliga, wenn das Heimweh sie packt. Denn eigentlich sind Oscar und Rodrigo nicht freiwillig in Berlin:
"Ja, das Bildungssystem in Spanien, das ist auch was falsch gemacht ist. Weil entweder studieren oder nichts machen. Es gibt kein Niveau dazwischen. Jetzt dieses Jahr hat die Regierung gesagt, dass wir das deutsche Modell nehmen, aber es ist noch nicht verbreitet."
Ihre Ausbildung wollen die beiden erst einmal in Deutschland erfolgreich beenden. Danach stehen ihnen ganz sicher viele Türen offen.
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